Leni Behrendt Staffel 1 – Liebesroman. Leni Behrendt
ich weiß«, wurde er barsch unterbrochen. »Und zwar, daß ich nicht zugeben werde, daß dieses schöne Gut verkauft wird. Kannst du die Zinsen nicht pünktlich aufbringen, dann werde ich sie dir eben stunden – basta!«
»Das will Edzard nicht.«
»Ach was, grüne Jungen haben gar nichts zu wollen. Mag er lieber Gott danken, daß mir mein Kind nicht genommen wurde – sonst –«
»Laß mir den Jungen in Ruhe. Er ist wahrlich genug für etwas gestraft, was er gar nicht verbrach. Sieh ihn dir doch an, was in den sechs Wochen aus ihm geworden ist. Das Herz im Leib könnte sich einem umdrehen vor Jammer.«
»Das machen bei ihm die Gewissensbisse.«
»Gewissensbisse –?« brauste Bertram jetzt auf. »Warum sollte er denn welche haben, wenn ich fragen darf! Daß deine hysterische Tochter ihn als ihr Eigentum betrachtete, dafür kann er doch wahrlich nichts. Laß dir erklären…«
»Danke. Was ich wissen muß, hat meine Tochter in ihren Fieberphantasien hinlänglich erklärt.«
»Na also! Du stehst auf der Seite deines Kindes, ich auf der des meinen. Somit wäre wohl jeder Kommentar überflüssig.«
»Das scheint es tatsächlich zu sein.«
Eine steife Verbeugung. Sander ging – und der Graf stöhnte gepeinigt auf.
*
Fast drei Jahre waren vergangen. Drei Jahre, wo man bei dem Industriellen Sander das Sprichwort anwenden konnte: Wer Tauben hat, dem fliegen Tauben zu. Denn sein Reichtum mehrte sich. Was er auch beginnen mochte, das glückte, scheffelte Geld noch und noch.
Und bei den Sölgerthurns? Da konnte man mit dem Sprichwort sagen: Wer Unglück haben soll, stolpert im Grase, fällt auf den Rücken und bricht die Nase.
Denn was man in Rautenau auch tat, immer stand ein Unstern darüber. Verregnete Ernten, Viehseuchen, tödliche Krankheiten in der Pferdezucht und noch so manches Erschütternde mehr. Es schien fast, als hätten sich alle Teufel gegen die Sölgerthurns verschworen.
Der Vater, der Sohn und der treue Verwalter kämpften verbissen, gönnten sich weder Rast noch Ruh. Aber ach, wie ein Schreckgespenst standen die enormen Zinsen hinter ihnen, duckten und traten sie.
Was sollte man nun noch tun, um diesem Moloch zu opfern? Man hatte es ja bereits mit Lindgau getan, das, wie man wußte, der über sie triumphierende Geldmann Sander erworben hatte.
Was Rautenau noch retten könnte, wäre eine reiche Heirat des jungen Grafen. Und dieser hätte sich bestimmt dazu entschlossen, wenn er nur Gelegenheit gehabt hätte. Aber im Umkreis gab es keine solche Erbin, und sie anderswo kennenzulernen, war nicht möglich, weil der Mann nicht weiter als bis zur Stadt kam.
Mit Sanders kam man nur noch auf den Geselligkeiten zusammen, von denen man sich nicht ausschließen konnte. Man sprach dann natürlich miteinander, um dem Klatsch keine Nahrung zu bieten, kam aber über das Konventionelle nicht mehr hinaus.
Daher wurde auch Doro nie erwähnt. Was Sölgerthurns von ihr wußten, hörten sie durch andere. Aber auch die konnten nur erzählen, daß das vielgeliebte Töchterlein noch immer im Süden weilte und von den Eltern jeden Monat auf einige Tage besucht wurde. Wenn diese nach Hause zurückkehrten, schwiegen sie sich aus in tausend Sprachen, wie man so sagt.
Es war an einem Tag zu Anfang Mai, als der junge Graf das Bankhaus verließ, wo er einige Überweisungen angeordnet hatte. Lappalien gegen die Riesensumme, die man jedes Vierteljahr zahlen mußte. Aber man hatte es wenigstens schaffen können – Gott sei Dank!
Rasch schritt er die Hauptstraße hinunter, um zum Parkplatz zu gelangen, als ihm das Ehepaar Sander in Begleitung einer jungen Dame entgegenkam. Nun, so fremd geworden war man sich nun auch wieder nicht, um mit kurzem Gruß aneinander vorüberzugehen. Das ging schon wegen der Menschen nicht, denen man ja ständig etwas vormachen mußte.
Ergo blieb man stehen, begrüßte sich artig – und dann verharrte Edzard vor der jungen Dame in tadelloser Verbeugung.
»Tatsächlich, er kennt mich nicht mehr«, traf da ein silbernes Lachen an sein Ohr. »Muß ich mich aber sehr verändert haben! Rate mal, wer ich denn wohl sein könnte, Freund Edzard?«
»Doro…?« fragte er unsicher – und da lachte sie wieder.
»In Lebensgröße. Aber kommt in das Café, vor dem wir gerade stehen. Die Passanten bekommen nämlich schon Augen auf Stielchen.«
Damit schob sie ganz ungeniert die Hand unter seinen Arm, zog ihn mit sich fort – und den Eltern blieb nichts anderes übrig, als ihrem eigenwilligen Töchterlein zu folgen.
Das Café war gut besetzt. Man mußte an vielen Tischen vorübergehen, bis man einen freien fand. Es war sehr still in dem weiten Raum, selbst die Musik spielte in dem Moment nicht.
»Das reinste Spießrutenlaufen«, bemerkte Doro mit spöttischem Lächeln. »Da haben die Leutchen jetzt wieder mal was zu klatschen.«
Man nahm Platz und gab dem Ober die Bestellung auf. Doch während die andern es bei einem Kännchen Kaffee bewenden ließen, verlangte Doro noch zwei Windbeutel mit recht viel Sahne dazu.
»Ich mag die doch so schrecklich gern«, plauderte sie unbefangen, während die Eltern verlegen lächelten und der Graf den Eindruck machte, als wäre er von einem Eiswall umgeben. Er steckte eine Zigarette in Brand, legte sich im Sessel zurück und betrachtete sein Gegenüber verstohlen.
Das sollte die vermickerte Dörth sein, diese kleine jämmerliche Heuschrecke? Kaum zu glauben! Denn was da saß, war ein rassiges Geschöpf mit dem sicheren Auftreten der jungen Dame von Welt. Wunderbar gewachsen, ein feines Gesicht mit einem leicht hochmütigen Ausdruck. Die einst so fahlblauen Augen schienen die leuchtenden Bläue des Himmels zu haben, das einst so stumpfe, schüttere Haar glänzte wie Altgold in dicken, vielleicht sogar natürlichen Locken. Und die Kleidung war von ausgesuchter Eleganz.
Dazu schien diese bezaubernde junge Dame von einer herzerfrischenden Natürlichkeit zu sein – und mit gutem Appetit gesegnet. Denn nachdem sie die beiden Windbeutel genießerisch verzehrt hatte, bestellte sie beim Ober zwei weitere nach, und die Mutter sagte vorwurfsvoll:
»Dörth, du kannst wieder einmal kein Maß halten.«
»Aber Ma, wenn es mir doch gut schmeckt. Doch so seid ihr nun. Es ist noch gar nicht so lange her, daß ihr mich direkt anflehtet, doch um Himmels willen zu essen. Und nun ich es tu’, ist es auch nicht gut. Man kann euch aber auch nichts recht machen. Wenn das so weitergeht, entfleuche ich und krieche wieder unter die Flügel meiner guten Jo. Bei der konnte ich machen, was mir paßte.«
»Als ob du das nicht schon immer getan hättest«, bemerkte trocken der Vater, der sich gar nicht wohl in seiner Haut fühlte.
Da hatte man sich nun des Görs wegen mit den Sölgerthurns, mit denen man jahrzehntelang in treuer Freundschaft verbunden gewesen war, entzweit – und nur weil so eine überspannte kleine Person in Hirngespinsten schwelgte. Und nun schleifte sie den Mann, vor dem sie sich doch eigentlich hätte schämen müssen, ins Café und tat so harmlos wie ein Kind, das kein Wässerchen trüben konnte.
Was machte man da bloß mit dem Gör, das da in aller Seelenruhe saß und genießerisch die Windbeutel aß?
Dabei summte sie das Lied mit, das die Kapelle gerade spielte und das ihre damaligen Fieberphantasien ganz durchzogen hatte wie ein blutroter Faden.
Und ich wußte, es ist vergeblich, sein Herz zu hüten. Silberne Nacht von Sankt Michele, silberne Nacht im Paradies.
Das letzte kam nur noch wie ein sattes, zufriedenes Grunzen – denn der vierte Windbeutel war verzehrt.
»Um Gottes willen, Dörth!« wehrte die Mutter entsetzt, als das Töchterlein sich wie suchend umsah.
»Du willst doch nicht womöglich noch mehr Windbeutel bestellen?«
»Och, verdrücken könnte ich schon noch welche, aber ich will dir das ersparen.