Karin Bucha Staffel 3 – Liebesroman. Karin Bucha
daß er der Sache so viel Bedeutung schenkte. Schließlich war er ja nicht für Leonore Grunert verantwortlich.
Gerade als sie an seinem Tisch vorübertanzte und ihr dunkles Lachen zu ihm drang, stand er schroff auf und trat hinaus in den Abend.
Ganz unbeabsichtigt entfernte er sich immer weiter vom Hotel, wanderte unter einem unwirklich schönen Sternenhimmel Brigittes Pen-
sion zu.
Erst unter ihrem Fenster fand er sich in die Wirklichkeit zurück. Aber nirgends war ein Lichtschein zu sehen. Aber da.
Strantz lauschte angespannt. Das war doch ein Weinen, ein Schluchzen, wie man es zuweilen von Kindern hört.
Brigitte! War das Brigitte? War sie in Not? War sie gar krank geworden?
Ratlos sah er sich um. Unmöglich, sich jetzt Zutritt zu ihr zu verschaffen. Aber die Gewißheit, daß Brigitte litt, legte sich schwer auf sein Herz.
Er wußte nicht, wie lange er so im Dunkeln gestanden hatte. Erst als das Fenster mit leisem Klirren geschlossen wurde, machte er kehrt und ging den Weg zurück.
Ohne wieder die Gesellschaftsräume zu betreten, suchte er sein Zimmer auf.
Der Gedanke an Brigitte ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.
*
Als ein neuer, strahlend schöner Tag zum Fenster hereingrüßte, war auch die Verzweiflung von Brigitte gewichen.
Wie war das nur auf einmal über sie gekommen? Genügte ihr das Kind nicht mehr? Erfüllte es nicht restlos ihr Dasein? Wie aber hätte sonst die Sehnsucht so sehr die Oberhand über sie gewinnen können?
Vielleicht war es besser, sie mied Rudolf Strantz. Er nahm zu sehr Besitz von ihrem Denken, das doch ausschließlich ihrem Kind zu gehören hatte.
Doch gleich darauf rief eine Stimme in ihrem Herzen: Nein! Auch du hast Anspruch auf Glück, du bist ja noch so jung!
Was hatte es also für Zweck, wenn sie Strantz auswich? Die Sehnsucht würde sie doch nie zur Ruhe kommen lassen.
Nur in unnötige Gefahr wollte sie sich nicht begeben und das Herz fest im Zaum halten. Es durfte nicht geschehen, daß sie ein zweites Mal enttäuscht wurde.
Innerlich bedeutend erleichtert, kleidete sie Ursula an, deren Münd-chen keinen Augenblick stillstand.
Immer war es der neue Onkel, ihr großer Freund, wie sie ihn nannte, der eine gewichtige Rolle in ihren Erzählungen spielte.
»Ob er heute wiederkommt, Mami?«
»Er wird wohl nicht immer Zeit für dich haben, Kind«, umging Brigitte eine direkte Beantwortung. Sie ertappte sich jedoch dabei, daß sie den gleichen Wunsch hegte wie ihre Tochter.
»Vielleicht kommt er heute mittag?« überlegte Ursula. Sie hatte die Ärmchen auf den Fenstersims gelegt und das Köpfchen auf die Schulter geneigt. Mit ihren lebhaften Augen sah sie auf den Platz hinunter, der sich vor dem Haus bis zur Hauptstraße erstreckte. »Von dorther muß er kommen, Mami!«
»Wer denn, Ursula?« fragte Brigitte zerstreut.
»Nun, mein großer Freund«, erwiderte das Kind mit merklicher Ungeduld. »Hast du ihn denn schon wieder vergessen?«
Brigitte stand vor dem Spiegel und kämmte ihr Haar. Sie sah, wie glühende Röte langsam in ihre Wangen stieg.
»Aber nein, Kind, ich habe ihn nicht vergessen.«
Ein hörbares Aufatmen kam aus der Richtung, wo Ursula stand.
»Siehst du, ich wußte es doch!« triumphierte die Kleine und strahlte wieder.
Nach einer Weile rief das Kind in großer Aufregung:
»Mami, jetzt bekommen wir Besuch!«
Also hatte Strantz sie doch nicht vergessen! Langsam schritt sie auf das Fenster zu und fühlte, wie ihr alles Blut zum Herzen drängte.
»Vater kommt!« Das Kind umklammerte Brigittes Arm und zog sie rasch vom Fenster fort. »Nun wird er mich wohl wieder mit fortnehmen!« In den großen Augen stand helles Entsetzen. »Aber ich will nicht, Mami! Ich will bei dir bleiben!«
Sie drängte sich schluchzend an Brigitte und barg das erblaßte Gesichtchen in deren Kleiderfalten.
»Aber, Kind!« Erschrocken beugte sich Brigitte zu Ursula hinab. »Vati will dir gewiß nur guten Tag sagen. Diesmal darf er dich bestimmt nicht mitnehmen. Überhaupt niemals wieder.«
»Ich fürchte mich so, Mami! Ich will zu meinem großen Freund gehen!« weinte Ursula ängstlich auf.
Brigitte nahm ihr Kind in die Arme. Sie fühlte das Zittern des zarten Körpers, und maßlose Erbitterung gegen den Mann, der der Vater des Kindes war, erfüllte sie.
Nun tauchte sie wieder auf, die Erinnerung an jene Schreckenstage.
»Laß mich nicht mit ihm gehen, Mami, bitte, liebe Mami!«
Beunruhigend strich Brigitte über Ursulas Wangen.
»Du bleibst bei mir, mein Liebling. Wir gehen hinunter, komm. Weine nicht! Vati wird dich ganz gewiß nicht zwingen, wenn du nicht willst.«
Sie ergriff Ursulas Hand, fühlte aber deren Widerstreben. Wie sollte das wohl später werden? Unmöglich konnte sie das Kind strafen, wenn es nicht aus freiem Herzen zu dem Vater gehen wollte, zumal Ursula ja noch unter den furchtbaren Eindrücken des Unfalles litt.
Auf der Bank, auf der sonst Strantz immer saß, hatte sich jetzt Markhoff niedergelassen.
»Na, ihr Langschläfer!« begrüßte er sie, als bestünde das beste Einvernehmen zwischen ihnen. Er tätschelte dem Kind in väterlichem Wohlwollen die Hand, die ihm Ursula nur zögernd entgegengestreckt hatte.
»Guten Tag, Vati! Ich kann aber nicht mit dir gehen«, sagte sie in ängstlicher Hast und weinerlich verzogenem Mund.
»Das kann ich mir denken«, lachte Markhoff böse auf. »Man hat dich wohl gegen mich aufgehetzt, wie?«
Verständnislos starrte Ursula den Vater an. Ihre Augen füllten sich langsam mit Tränen.
»Nicht wahr, ich darf bei Mami bleiben?« fragte sie.
Brigitte hatte das Gefühl, als hinge des Kindes Seligkeit von der Beantwortung dieser Frage ab.
»Meinetwegen!« sagte Markhoff gönnerhaft, doch mit unterdrücktem Ärger. »Mit Herrn Strantz gehst du doch aber auch aus?!«
Brigitte erblaßte und umschloß die Kinderhand fester.
»Meinst du mit meinem großen Freund?« erkundigte sich Ursula, und ein scheues Lächeln huschte um ihren Mund.
Markhoff überhörte die Frage. Spöttisch lächelnd wandte er sich an Brigitte.
»Übrigens, ich habe mit dir zu reden!«
Eine Falte grub sich steil zwischen Brigittes zart geschwungenen Brauen.
»Mit mir?« Unbehagen stieg in ihr auf. Sie spürte, daß sein Besuch mit Rudolf Strantz zusammenhing. Er hatte sie ja gestern mit ihm gesehen. Was wollte er nur von ihr?
»Geh, spiel ein wenig, Ursula«, forderte sie das Kind auf, das sofort davonsprang, froh, einem bedrückenden Zwang entrinnen zu können.
Mit bösen, zusammengekniffenen Augen sah Markhoff der zierlichen Kindergestalt nach.
»Na, die Liebe zu mir scheinst du in dem Kind nicht gerade besonders zu pflegen«, spöttelte er jetzt boshaft.
Brigitte zuckte leicht zusammen, begegnete aber abweisend und furchtlos seinem Blick.
»Ich beeinflusse Ursula weder im Guten noch im Bösen. Du erntest nur, was du gesät hast.«
»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach er sie ungeduldig. »Auf Seelenkunde verstehe ich mich nicht. Das willst du wohl damit sagen. Na, davon später. Etwas anderes führt