Karin Bucha Staffel 3 – Liebesroman. Karin Bucha
Hagenhof ist wieder in tiefe Schweigsamkeit versunken. Von allen Seiten spürt Hagen, wie man ihn beobachtet. Manchmal hat er sogar das Gefühl, man gehe ihm aus dem Wege. Er wird langsam empfindlich, wird gereizt und beginnt grundlos loszuschreien.
Frau Irenes leidumschattetes Gesicht fällt ihm schon lange auf die Nerven. Ihr einst so herzliches Verhältnis scheint getrübt.
Eines Morgens beim Frühstück hält er die unbehagliche Stille nicht mehr aus. Er wirft die Serviette auf seinen Teller und springt hoch.
»Zum Donnerwetter!« schreit er sie unbeherrscht an. »Was habe ich eigentlich verbrochen, daß Sie mit einem Leidensgesicht herumlaufen und mir wie ein lebendig gewordener Vorwurf gegenübersitzen.«
Kaum hat er es gesagt, bereut er seine Heftigkeit. Sie ist bis in die Lippen erblaßt. Noch ehe sie antworten kann, stammelt er ein beschämtes »Verzeihen Sie, Frau Irene.«
Er legt von hinten seine Hände auf ihre Schultern und neigt sich etwas über sie.
»Warum sagen Sie kein Wort, Frau Irene?«
Seitwärts sieht sie zu ihm auf. »Soll ich Ihr Leid noch vergrößern? Mit einem Kranken geht man behutsam um –«
»Sagen Sie doch gleich mit einem Verrückten«, stößt er heftig hervor. Sie schüttelt den Kopf.
»Sie sind wirklich krank, Herr Hagen, krank an der Seele, und Sie tun nichts, daß Sie wieder gesunden. Überwinden Sie sich, bezwingen Sie Ihren unbändigen Stolz. Ich weiß nicht, was zwischen Ihnen und Christine vorgefallen ist. Es kann ja nur ein Mißverständnis sein.«
Er wandert ein paarmal im Zimmer umher. Am Kamin bleibt er stehen und blickt aus finsteren Augen zu ihr hinüber.
»Nein! Das können Sie nicht wissen, Frau Irene. Ich will es Ihnen sagen, Christine Velding ist die berühmte Schauspielerin Chris Velden –«
Ein kleiner Schreckenslaut läßt ihn unterbrechen. Frau Irene preßt die Hand gegen den Mund.
»Sie hat mich getäuscht, getäuscht auch dann noch, als sie wußte, daß ich beinahe an der Flucht meiner ersten Frau zugrunde gegangen bin. Sie kannte meine Abneigung gegen alles, was mit Theater und Film zu tun hat. Sie hat aber dennoch geschwiegen.«
»Vielleicht aus übergroßer Liebe zu Ihnen«, wagt Frau Irene zu bemerken. Sein Mund verzieht sich verächtlich.
»Liebe ist Vertrauen. Ohne Vertrauen keine Liebe. Sie hat meine Liebe durch ihr Täuschungsmanöver getötet.«
Sie schüttelt traurig den Kopf. »Das haben Sie bei Ihrer ersten Frau auch behauptet. Und als das Telegramm kam, daß sie in Not wäre, vergaßen Sie alles und fuhren unverzüglich los. War das keine Liebe?«
Sein Blick wird starr. »Sie verwechseln die Gefühle. Ich hielt es für meine Menschenpflicht zu helfen, einem Menschen zu helfen, den ich einmal sehr geliebt hatte, und der in seiner Not nach mir rief.«
»Und – wenn Christine Sie rufen würde?« Ihre Stimme ist leise, aber eindringlich. »Würden Sie dann auch zu ihr gehen?«
»Sie kennen doch das Sprichwort von dem gebrannten Kind, Frau Irene. Ich alberner Idiot habe ein zweites Mal den Worten einer Frau geglaubt, als sie mir von Liebe sprach. Natürlich war Christine bereit, ihrer Kunst zu entsagen.«
Er macht ein paar ziellose Schritte ins Zimmer. »Inzwischen habe ich mich erkundigt und erfahren, daß Chris Velden zu den größten Künstlerinnen gehört. Sie ist keine zweite Edith. Edith war eine schlechte Schauspielerin und konnte trotzdem nicht ohne Theaterluft leben. Das sollte bei einer echten, wirklich großen Künstlerin anders sein? Niemals glaube ich daran. Eines Tages wäre sie mir ebenfalls davongelau-
fen.«
»Man weiß das nicht.« Immer noch kann sie ihn nicht verstehen.
»Könnten Sie nicht auch glücklich sein, wenn Christine als Ihre Frau in ihrem Beruf weitergearbeitet hätte?«
»Nein!« Mit einem Ruck verhält er den Schritt. »Niemals werde ich mich davon überzeugen können. Außerdem könnte ich nicht teilen. Entweder alles – oder nichts.«
Welch ein schrecklicher Dickkopf, denkt sie wehmütig.
»Hoffentlich stehen Sie nicht ein zweites Mal vor der niederschmetternden Tatsache: Zu spät! Ein furchtbares Wort, Herr Hagen. Es dürfte Sie ein Leben lang verfolgen.«
Wortlos verläßt er das Wohnzimmer. In den Ohren klingt es nach: Zu spät! Er ist geneigt, abermals hart aufzulachen. Er wird sich nicht vor der Zukunft fürchten, wenn sie auch immer tiefer in Einsamkeit führt. Auch das Wort: Zu spät! wird seine Grundsätze nicht erschüttern können.
*
Die Aufnahmen zu dem Film »Verschenktes Leben« sind im vollen Gange.
Christine lehnt in einem bezaubernden Abendkleid aus kostbarem Mate-
rial am Flügel. Alles ist zur Aufnahme bereit. Totenstille herrscht im Atelier. Ronald, die Mütze mit dem Schirm auf dem Kopf, gibt ein Zeichen. Die Klappe fällt.
»Achtung! Aufnahme!«
Verträumt klingt unter den Händen des Pianisten das Vorspiel auf, und dann setzt Chris Velden mit ihrer weichen Stimme ein.
Chris Velden singt, wie man sie noch nie gehört hat. Alles blickt wie gebannt auf die schöne Frau, deren tiefblaue Augen in eine unbestimmte Ferne gerichtet sind, entrückt, alles um sich vergessend.
Sie schreckt leicht zusammen, als ein spontaner Beifall aufklingt.
Ronald geht mit großen Schritten auf Chris zu und zieht ihre Hand an seine Lippen.
»Du warst wundervoll, Chris. Die Szene sitzt. Wir brauchen sie nicht zu wiederholen.«
Gleichgültig nickt sie und geht an ihm vorbei in ihre Garderobe. Sie muß sich für die nächste Szene umkleiden.
Vor dem Ankleidespiegel nimmt Chris Platz. Ein paar Minuten lehnt sie sich mit geschlossenen Augen zurück. Wenn sie wüßten, daß sie ihr eigenes Leben spielt, daß ihr Herz wirklich einen tiefen Schmerz trägt.
Doch! Einer weiß es. Ferdinand Ronald! Sie haßt ihn beinahe, obgleich er sie mit der Geduld behandelt, die man für ein krankes Kind aufbringt.
So tief versunken ist sie in ihre Gedanken, daß sie Ronalds Eintritt überhört hat.
»Chris!«
Sie öffnet die Augen und sieht Ronald näher kommen. Ihre Züge werden verschlossen, feindselig.
»Bitte!«
Sie beginnt, mit fahrigen Bewegungen auf ihrem Toilettentisch zu hantieren. Ihm wirft sie keinen Blick zu.
»Wollen wir nicht endlich Frieden schließen, Chris«, bittet er sie mit heiserer Stimme. »Unsere Zusammenarbeit leidet darunter.«
Blitzschnell fährt sie herum. »Bist du nicht mehr mit meinen Leistungen zufrieden?«
»Aber nein, Chris.« Seine Augen suchen einen Halt in dem Raum und finden ihn nicht. Auf ihrem schönen Gesicht mit den flammenden Augen bleibt sein Blick haften. »Du bist wunderbar, Chris, wunderbarer denn je –«
»Ach«, macht sie wegwerfend und dreht sich um.
»Es ist die reine Wahrheit. Alle sind sie begeistert von deinem Spiel«, verteidigt er sich ungeduldig wie stets, wenn sie dieses Thema berühren.
»Chris!«
»Wenn du zufrieden bist mit mir, dann ist es gut«, sagt sie hastig.
»Ich – ich wollte dich um etwas bitten, Chris.« Das klingt fast demütig.
Sie horcht auf. »Ja – um was?«
»Ingeborg läßt dich herzlich um deinen Besuch bitten. Das wollte ich dir nur noch sagen.«
Abermals reißt es sie herum. »Das kann ich nicht«, stößt sie erregt hervor.