Katzentisch. Lida Winiewicz

Katzentisch - Lida  Winiewicz


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denn? Dass es gut schmeckt?«

      »Nein.«

      »Sondern?«

      »Dass nichts übrig bleibt.«

      »Moment. Sie können die Gäste nicht zwingen, den Teller leer zu essen!«

      »Es geht nicht um die Gäste. Es geht um das Personal. Um fünfhundert Essensportionen Punkt zwölf servieren zu können, braucht man eine Küchenbrigade von mindestens zwanzig Mann. Die müssen auch essen.« »Das heißt, Sie brauchen fünfhundertzwanzig Portionen.«

      »Falsch. Die zwanzig müssen in den fünfhundert enthalten sein. Verstehen Sie?«

      »Nein.«

      »Die Leute kriegen zwar nicht dasselbe wie die zahlenden Gäste, aber das wird nicht extra einkalkuliert, das läuft sozusagen mit.

      Wie sparsam der Küchenchef plant, das macht seine Qualität aus, nicht, wie gut das Essen schmeckt. Über Geschmack lässt sich streiten. Über Bilanzen nicht.«

      Mein Flugzeug wird aufgerufen.

      »In welchem Hotel kochen Sie?«

      »Ich gehe sehr bald in Pension – Gott sei Dank«, setzt er hinzu.

      »Aber wenn Sie bei mir essen wollen –«; er reicht mir seine Karte: FREDS CURRYWURST, BERLIN. GEGENÜBER VOM HOTEL EXCELSIOR.

       Gute Tat

      Während der Besatzungszeit (1945–1955) gab’s in Wien wenig zu essen. Umso willkommener waren Fresspakete aus dem Ausland oder Geschenke von Leuten mit Berechtigungsschein, im PX-Laden einzukaufen, dem Supermarkt der Besatzer.

      Auf diesem Umweg gelangte ich eines Tages in den Besitz einer Hawaii-Ananas.

      Heute gibt’s Ananas in jedem Supermarkt. Damals war die Frucht ein Ereignis.

      Frau Spitz, die Bedienerin, putzte soeben die Küche. Ich kämpfte mit mir. Sollte ich ihr ein Stückchen Ananas opfern?

      Sie hatte das Ding gesehen und große Augen gemacht.

      Ich wollte nicht.

      Nein.

      Warum?

      Ich wollte die ganze essen. Jetzt! Hier! Sofort! Allein!

      Keine Chance, es heimlich zu tun. Teilen oder warten.

      Ich teilte.

      Kein Verzicht ist mir schwerer gefallen. Nicht einmal der vielgerühmte auf ein halbes Haus in Kirchstetten nach Tante Hellas Tod, zugunsten einer entfernten alzheimerkranken Cousine.

      Goldene Ananas!

      Ich machte zwei gleiche Portionen, zog mich ins Schlafzimmer zurück, fraß meine Hälfte auf – Köstlich! Erfrischend! Exotisch! – und fühlte mich wie der Heilige Martin nach Zweiteilung seines Mantels.

      Zurück in der Küche sehe ich den leeren Ananasteller und frage: »Hat’s geschmeckt?«

      »Ja«, sagt Frau Spitz. »Ich bin nicht heikel.«

       Einfallsreichtum

      Sidonie, Tante Hellas Mutter, stickte für ihr Leben gern.

      Tischdecken, Kissen, Blusen, Armlehnenschoner und dergleichen zeugen von ihrer Meisterschaft, bleiben aber schnöde verborgen. Mit Kreuzelstich ist heutzutage nicht mehr viel Staat zu machen. Einmal, erzählt die Familienchronik, stickte Sidonie ein Jahr lang an einer Weihnachts-Tischdecke, einem wahren Wunderwerk: Christbäume, Tannenzweige, Sterne, Lebkuchenkringel und Engel, die Kinder waren entzückt.

      Am 20. Dezember, abends, fand die Generalprobe statt. Sidonie breitete die Kostbarkeit über den Esstisch und erbleichte: Die Decke war zu klein! Sie hatte falsch gemessen. An beiden Schmalseiten der Tafel zeigte sich nacktes Holz.

      Wie das Unikat innerhalb von vier Tagen verbreitern?

      Man ging auf Zehenspitzen.

      Heiliger Abend! Der Festtagstisch erstrahlt, vom Kunstwerk zur Gänze bedeckt. Kein bisschen Holz zu sehen.

      »Fantastisch, Mama! Kompliment! Wie hast du das geschafft? Tag und Nacht gearbeitet?«

      »Nein. Ich habe den Tischler geholt.«

       Selbstachtung

      Bald nach dem Zweiten Weltkrieg bewohnte ich eine Mieterschutzwohnung im dritten Stock eines Wiener Altbaus: hohe Räume, dicke Mauern, kein Lift. Gasheizungen gab es keine. Man musste Kohle schleppen.

      Eine Etage tiefer hauste Frau Eberhard, Kriegerwitwe (Erster Weltkrieg), eine alte, gebrechliche Dame. Ihr weiße Haar, perfekt frisiert, umrahmte ihr Gesicht. Es sah aus wie eine Rose, im Poesiealbum getrocknet.

      Eines Abends im Winter läutete ich an ihrer Türe. Ein Brief, an sie adressiert, war in meinem Postfach gelandet. Es dauerte eine Weile, dann öffnete sie. Ich erschrak. Das Vorzimmer war stockdunkel, die Wohnzimmertür spaltbreit offen. Dort gab es trübes Licht.

      Ich reichte ihr wortlos den Brief.

      »Vielen Dank. Bitte kommen Sie weiter.«

      »Ich möchte nicht stören – «

      »Nein, nein. Ich kriege so selten Besuch!«

      Ich trete ein. Sie schließt die Türe, geht voraus, ich folge.

      Das Wohnzimmer wird zugleich als Schlafzimmer benützt, obwohl die Wohnung, wie meine, aus drei gleich großen Räumen besteht. Ein kleiner eiserner Ofen verbreitet rötlichen Schimmer. Die Türe zum Schlafzimmer ist mit Pferdedecken verhängt.

      »Ich kann nur einen Raum heizen«, erklärt Frau Eberhard.

      Sagte sie »heizen«? Es hat maximal achtzehn Grad. Nahe dem Ofen steht ein schön gedeckter Esstisch: weißes Damasttischtuch, Meißner Porzellan, glänzendes Silberbesteck.

      »Sie erwarten Besuch?«

      »Nein, nein. Ein Gedeck. Nur für mich.«

      »Sie decken für sich allein so wunderschön auf?«

      »Ja«, sagt Frau Eberhard. »Wenn schon Einbrennsuppe mit Schwarzbrot, was anderes kann ich mir nicht leisten, dann wenigstens mit Stil!

      Die Witwenpension ist zu klein. Davon kann kein Mensch leben.

      Also setze ich Prioritäten: Friseur und Tischkultur. Für meine Selbstachtung, verstehen Sie.«

      Ich nehme Platz. Sie serviert. Die Einbrennsuppe schmeckt köstlich. »Man muss sie ordentlich würzen«, erklärt Frau Eberhard. »Mit Kümmel und Majoran.«

      Seither sind Jahrzehnte vergangen.

      Und manchmal, wenn ich mein Fertiggericht aus dem Plastikbehälter löffle (drei Minuten Mikrowelle), und dabei die zweihundertste Folge der WEGE ZUM GLÜCK konsumiere, denke ich an Frau Eberhard.

      Zum Friseur sollt ich auch wieder einmal.

       Gastlichkeit

      Italien, Mitte August.

      Der Express Florenz–Rom quillt über.

      Im Besitz einer Platzkarte zwänge ich mich durch den Zugkorridor, vorbei an Touristen, Nonnen, Riesenrucksäcken, Kindern, ältlichen Engländerinnen mit Thermos und Reiseführer.


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