Katzentisch. Lida Winiewicz

Katzentisch - Lida  Winiewicz


Скачать книгу
der Farb! Die Spitzhütls sind seit Jahren mit den Gasslhubers befreundet.«

      »Und wer sind die Gasslhubers?«

      »Den Gasslhubers gehören die vereinigten Waffelfabriken.«

      »Du magst doch keine Waffeln.«

      »Darum geht es nicht.«

      »Um was geht’s?«

      »Die Gasslhubers sind reich. Reiche Leute kennen reiche Leute. Die haben Beziehungen.«

      »Die Spitzhütls sind reich?«

      »Die Spitzhütls nicht.«

      »Ja, aber – du sagst doch –«

      »Kind, dreh mir das Wort nicht im Mund um! Oma Spitzhütl war zwanzig Jahre Kinderfrau bei den Gasslhubers, sie hat den Junior praktisch allein großgezogen, reiche Leute haben keine Zeit, die müssen Geld verdienen, du weißt ja, wie das ist.«

      »Woher soll ich das wissen, bitte?«

      »Sei still, mach mich nicht nervös. Ich schwanke zwischen Karpfen und gebratener Gans.«

      »Warum machst du nicht Knofel-Spaghetti? Aglio e olio. Klingt gut. Und kostet nicht viel.«

      »Ach Kind …«

      Tante Hella mustert mich betrübt.

      Ich sage: »Tante, ich kapier’s nicht. Warum musst du etwas kochen, das den Tafelspitz übertrifft?«

      »Weil die Spitzhütls ihrerseits dann wieder was kochen müssen, was teurer war als meine Gans.« »Verstehe ich nicht.«

      »Denk doch nach! Auf die Weise tauscht man ewig Essenseinladungen aus, kann nicht aufhören, weil man ja dann in der Schuld des anderen stehen würde, und sollte man – Gott behüte – eines Tages irgendwas brauchen, ist man in Kontakt.«

      »WAS brauchen?«

      »Mein Gott, Kind, überleg doch: Gesetzt den Fall, dein Onkel Ernst würde entlassen.«

      »Warum sollte er entlassen werden? Er ist seit achtzehn Jahren beim ›Eisernen Ritter‹!«

      »Ja, und? Was sind heute achtzehn Jahre? Die Zeiten ändern sich! Die Jüngeren drängen nach! Der Wettkampf ist unerbittlich! Und sollte es je so weit kommen – ich möchte den Teufel wirklich nicht an die Wand malen, glaub mir –, dann könnten ihm die Gasslhubers möglicherweise helfen.«

      »Nur, um an die Gasslhubers im Notfall heranzukommen, hältst du dir die Spitzhütls warm?«

      »Ab und zu leiste ich ihnen kleine Gefälligkeiten.« »Dann stehen sie in deiner Schuld? Und müssen nötigenfalls auch etwas für dich tun?«

      »Sehr richtig. Merk dir, mein Kind: Man muss sich die Menschen verpflichten. Und jetzt geh ich auf den Naschmarkt.«

      Tante Hellas Gans, lange her, war eine Sensation. Frau Spitzhütl sah sich genötigt, das Ereignis mit einer indonesischen Reisplatte zu übertrumpfen (sechzehn selbst gemachte Saucen), und das war das Ende der kulinarischen Eskalation.

      Onkel Ernst verstarb unerwartet, vor Dienstschluss, beim Schraubenzählen. »›Fünfundachtzig‹ war sein letztes Wort«, berichtete Kollege Gratzl, der einen Schock erlitt und daraufhin dem Arbeitsplatz mit ärztlichem Attest eine volle Woche fernblieb.

      Tante Hella erholte sich rascher.

      Sie lud die Spitzhütls nie wieder ein.

      Und Gasslhuber Junior sitzt immer noch im Gefängnis wegen betrügerischer Krida.

       Sprachhemmung

      »Zehn Deka Putensülzchen!«

      »Was haben S’ g’sagt?«

      Ich war zu leise.

      Manche Wörter bringe ich nicht heraus, zum Beispiel PUTENSÜLZCHEN, ÖSTERZOLA, SCHAUMA. Wortschöpfungen aus der Werkstatt Sprachgefühlsmäßig gestörter Marketingspezialisten.

      »Putensülzchen!«, schreie ich, grimmig. »Zehn Deka!«

      »Etwa so viel?«

      Die Verkäuferin nimmt ein Stück zwischen Daumen und Zeigefinger.

      »Zehn Deka eben«, sage ich. »Ich weiß nicht, wie viel das ergibt.«

      »Ich auch nicht«, sagt das Mädchen.

      »Sie sind die Verkäuferin!«

      »Woher soll ich wissen, wie viel ich wegschneiden muss?«

      Ich glaube, ich bin bei Ionesco.

      »Wenn ich mehr als zehn Deka abschneid«, erläutert das Mädchen, »und Sie bestehen auf zehn Deka, dann bleibt mir ein Streiferl übrig! Das steck ich mir dann an den Hut!«

      »Sie könnten’s ja selber essen.«

      Sie macht ein Gesicht, als wäre »Putensülzchen« Gift.

      »Ich möchte trotzdem zehn Deka.«

      Die Verkäuferin nimmt ein Messer, säbelt, legt das Stück auf die Waage und sagt:

      »Sieben Deka. Soll ich was dazugeben?«

      »Nein, danke.«

      Nur weg von hier, weg, der Teufel hole das Putensülzchen.

      Eine Frage allerdings kann ich mir nicht verkneifen:

      »Wenn’s zu viel gewesen wäre – was hätten Sie dann gemacht?«

      Sie schaut mich an, als sei ich ein Stück ihres Wurstsortiments, das plötzlich zu sprechen begänne.

      »Was weggeschnitten natürlich! Was haben denn Sie gedacht?«

       Amnesie

      Ein Ober, der alles verwechselt und trotzdem nichts notiert, ist eine Art Don Quijote: Er weigert sich, die Wirklichkeit anzuerkennen. Vermutlich lebt er in dem Wahn, sein Gedächtnis sei intakt.

      Ich bin einem solchen Kellner ein einziges Mal begegnet:

      Bestellte ein Gast Spaghetti, bekam er Würstel mit Saft, wartete jemand auf Beuschel, brachte der Mann Kaiserschmarren, freute sich wer auf ein Schnitzel, saß er bald vor Nudelsalat.

      Proteste fruchteten nichts. Der Ober trug die Speise stillschweigend wieder hinaus und servierte wenig später irgendetwas anderes Falsches.

      Die Fassung verlor er erst, als ich ihn fragte: »Verzeihung, was muss ich bei Ihnen bestellen, dass Sie mir ein Gulasch bringen?«

       TGV

      Der französische TGV – TRAIN Á GRANDE VITESSE, zu Deutsch: Hochgeschwindigkeitszug – schafft, auf speziellen Strecken, 300 km pro Stunde und versteht sich als Luxuszug.

      Tickets nur mit reserviertem Sitzplatz, eine Mahlzeit inklusive.

      Ich fahre Paris–Le Mans.

      Die hübsche Stewardess, neckisches Schiffchen am Kopf, lächelt vor sich hin, wirkt aber ansonsten funktionslos. Das Essen serviert ein Ober.

      Das Menü, auf einem Tablett, besteht aus einer winzigen Vorspeise (Lachs), Beefsteak mit Reis und Gemüse und einem Klacks Crème brûlée.

      Fleisch, Reis und Gemüse sind kalt. Nicht einfach kalt, fast gefroren. Frisch aus dem Tiefkühlfach.

      Ich wende mich an den Ober.

      »Entschuldigung. Ein Versehen. Das Essen ist kalt.«


Скачать книгу