Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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zu sorgen. Damit führte sie die Herrin des Schillingshofes wie eine Pflegebefohlene durch den Gang und die Treppe hinauf.

      Die Druntenstehenden stoben auseinander, Mamsell Birkner verbarg ihr verstörtes Gesicht und die in Tränen schwimmenden Augen im Taschentuch, während der Bediente Robert mit einem hämischen Lächeln an ihr vorüber in die Küche hinabrannte, um seiner Pflicht nachzukommen... Der Gärtner und der Stallbursche traten heraus auf die Freitreppe, um nach dem Stallgebäude zu gehen, wo sie ihre Wohnung hatten. Sie gingen an Donna Mercedes vorüber, ohne die an die Wand geschmiegte Dame zu bemerken.

      »Die muß springen!« sagte halblaut der Gärtner, mit dem Daumen über die Schulter zurück nach der Wirtschaftsmamsell zeigend, die auf die Kinderstube zuging, jedenfalls, um Hannchen ihr Herz auszuschütten. – »Die muß springen, da hilft kein Gott! ... Sie ist die einzige Protestantische im Schillingshofe – sie und das Hannchen ... Die beiden sind der Gnädigen immer ein Dorn im Auge gewesen; aber sie hat sich doch nicht getraut, die Leute, die der Herr beschützt, so mir nichts dir nichts aus dem Hause zu jagen ... Nun ist sie aber wieder in Rom und gar im Kloster gewesen – Herrgott, das sieht ihr ein jeder auf hundert Schritt an! Sie müssen die Frau dort ganz rebellisch gemacht haben, und Fräulein von Riedt sieht auch aus wie ein Bild ohne Gnade – da gibt's keine Rettung mehr für die arme Birkner!«

      Sie gingen die Stufen hinab, und Donna Mercedes trat in das Haus ... Ein starker Moschusduft hauchte sie an – er mochte das Lieblingsparfüm einer der heimgekehrten Damen sein. Es kam ihr vor, als sei plötzlich ein grauer Schleier über alles Licht, über den ganzen Schillingshof gesunken, als müßten die heidnischen Karyatiden von der Decke und die Statuen eiligst aus ihren Nischen herabsteigen, um sich zu verstecken. Wie war es überhaupt möglich, daß sie bis heute ihren Platz behaupten konnten, daß die bigotte Frau sie nicht längst im fanatischen Eifer herabgestürzt hatte? – In dieser Nacht schloß Donna Mercedes die Augen nicht – sie suchte ihr Bett nicht einmal auf. Es bedurfte ihrer ganzen Geistesschärfe, ihrer vollen inneren Kraft, um sich über alles das, was auf sie einstürmte, emporzuarbeiten und den klaren Überblick zu gewinnen. Gerade jetzt galt es, auszuharren und fest auf dem Posten zu bleiben – gerade jetzt, wo vom Klostergut eine Hand – wenn auch noch scheu und widerstrebend – herübergriff und Fühlung suchte mit den Kindern des Verstoßenen.

      So hatte sich die junge Dame, bald lautlos im Salon auf und ab wandelnd, bald in die Fensternische geschmiegt und den Blick auf das Bild des toten Bruders geheftet, gestählt und gefestet; vor allem gegen das Heer von Anfechtungen, das sie unausbleiblich erwartete, seit sie in das Gesicht der heimgekehrten Frau vom Hause gesehen ... Und als die Hängelampe am Deckengebälk des Salons knisternd erlosch, und ein blaßrosiger Schein den dämmernden Morgenhimmel überflog, da lag auf dem schönen Frauenantlitz der erkämpfte frühere Ausdruck rücksichtsloser Entschlossenheit.

      26.

       Inhaltsverzeichnis

      Mit Tagesanbruch wurde es lebendig im Schillingshof. Die Dienerschaft, die noch gestern auf den Zehen gegangen war, polterte treppauf, treppab und trabte mit gewichtigen Absätzen geräuschvoll über die Marmorfliesen der Flurhalle. Im Vorgarten rasselten eiserne Rechen über die Kieswege – einige Taglöhner rafften unter Anführung des Gärtners das Stroh weg, ängstlich sorgsam, auf daß auch nicht ein Halm an dem blanken Geröll hängen bleibe. Die Röhren des Zierbrunnens wurden auch aufgeschraubt, und brausend fuhren die so lange gefangengehaltenen Wasserstrahlen in die sonnendurchleuchtete, blaue Morgenluft hinein.

      Donna Mercedes sah vom Fenster aus ruhig und gelassen der Wiederherstellung der früheren Ordnung zu. – José hatte in der Nacht prächtig geschlafen; er war frisch und sichtlich gestärkt erwacht, und das Geräusch in und außer dem Hause schien ihn nicht weiter zu behelligen. Die kleine Paula aber jubelte über die springenden Wasserstrahlen, wie über ein neues Spielzeug. Sie war nach dem Frühstück auf Tantes Lehnstuhl in der Fensternische geklettert und ergötzte sich unermüdlich an den plätschernden und zerstäubenden Wassern, denen das Sonnenlicht ein köstliches Regenbogengeflimmer entlockte.

      Die Kleine sah aus in dem mächtigen Bogenfenster wie ein winziges Blumenelfchen. Mit den nackten Schultern aus dem losen, blauen Kleidchen schlüpfend, das an seinem Ausschnitt das Spitzengekräusel des Batisthemdchens sehen ließ, stützte sie die kleinen Arme auf den Fenstersims, und das Blondhaar fiel ihr volllockig in die Stirn und an den Schläfen hinab über Schultern und Rücken. Donna Mercedes stand neben ihr im frischen weißen Morgenkleide; ihre Hand glitt mechanisch über das Lockengewoge des Kindes, während die dunklen Augen ziellos in den weiten Himmel hineinschweiften.

      Da trat die Herrin des Schillingshofes, in Fräulein von Riedts Begleitung, hinter dem nächsten Buschwerk hervor. Sie war in derselben Kleidung wie gestern abend. Das goldene Kreuz funkelte ihr auf der Brust, und in den graubekleideten Händen hielt sie ein Buch in violettem Samteinband. Die Damen kamen jedenfalls schon aus der nahen Benediktinerkirche, wo sie ihr Morgengebet verrichtet hatten.

      In der klaren, scharfen Morgenbeleuchtung erschien die Baronin fast noch abstoßender als gestern beim Lampenlicht. – Kränklichkeit, vor allem aber wohl eine leidenschaftliche, wenn auch mit großer Kunst verheimlichte Natur – wie Felix stets behauptet – hatten an diesem Gesicht verhäßlichend gearbeitet – die Züge waren schlaff und verwüstet wie die einer Greisin.

      Fräulein von Riedt sah abgewendet und aufmerksam über den Rasen hin, auf dem die Arbeiter noch beschäftigt waren; die Augen der Baronin aber überflogen verstohlen die Fensterreihe der nördlichen Erdgeschoßwohnung ... Einen Augenblick blieben diese glanzlosen Augen an dem Bogenfenster hängen, hinter dessen Scheiben die Dame mit dem Kinde stand – sie wurden weit und starr wie in plötzlicher Überraschung; aber fast ebenso schnell zuckte ein feindseliger Strahl herüber. Es lag etwas Duckmäuserisches in der Art, wie diese Frau den Kopf senkte und beschleunigten Schrittes weiterging, als habe sie nichts gesehen.

      Später kam der behandelnde Arzt; aber nicht direkt von der Straße, sondern aus dem ersten Stock – die Gnädige hatte ihn schon in aller Frühe in ihre Gemächer gerufen, wie er sagte. Er war der Hausarzt im Schillingshofe – ein braver, gerader Mann, auf dessen Gesicht heute ein kaum zu unterdrückender Ärger lag. Er riet denn auch Donna Mercedes im Laufe des Gespräches, vorläufig jede Begegnung mit der Baronin zu vermeiden; sie lasse es sich nicht ausreden, daß der Typhus in ihrem Hause sei, und zeige eine geradezu wahnwitzige Furcht vor der Ansteckung. In der Flurhalle sähe es aus, als würden den griechischen Götterbildern Weiheopfer dargebracht, so dampfe es in dicken, blauen Wollen aus rings aufgestellten Kohlenbecken. – Mit welchem spöttischen Lächeln er das sagte!

      Seinen kleinen Patienten fand er in der Genesung auffallend vorgeschritten; »aber,« sagte er mit aufgehobenem Drohfinger und bedeutungsvollem Nachdruck zu Donna Mercedes – »ich muß dringend bitten, daß Sie sich durch nichts, durch gar nichts bestimmen lassen, das Kind in seiner Ruhe zu stören! Ich mache Sie, gnädige Frau, für jede nachteilige Veränderung im Befinden des Genesenden verantwortlich!« – Was alles mußte der Mann soeben im ersten Stockwerk gehört und erlebt haben! – Das schien ihn jedoch nicht im geringsten zu beeinflussen. Er hatte den kleinen Knaben sehr lieb gewonnen, und für Donna Mercedes zeigte er große Verehrung – er war liebenswürdiger als je und gestattete heute auch auf Josés Bitten endlich, daß die Tante zum erstenmal wieder auf dem Flügel spiele.

      Donna Mercedes setzte sich an das Instrument und schlug einige gedämpfte Akkorde an. Sie war keine Meisterin; eine brillante Technik besaß sie nicht. Ihre feurige Natur sträubte sich gegen den Zwang des geduldigen Übens, wie das Steppenroß gegen den Zügel – aber eine Art wilder Genialität durchglühte ihren Vortrag; sie fühlte unter den Tönen die Seelenfesseln springen, wie wenn sie draußen mit tiefatmender Brust in das Weite hineinstürmte ... Und deshalb hatte sie ihren Flügel mitgenommen – auf einem anderen Instrument spielte sie niemals.

      Ein Freudenschimmer überflog ihr schönes Gesicht, als sie die Finger zum erstenmal nach so langer Entbehrung wieder auf die Tasten legte. Sie spielte »Adelaide« von Beethoven mit vorsichtigem Anschlag, in Berücksichtigung des kleinen Kranken – aber welche


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