Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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droben, selbst die des großen Mittelsaales, sollten weit offen stehen, und während Fräulein von Riedt an ihrer veilchenfarbenen Altardecke sticke, fege die Gnädige ohne Ruh und Rast, ohne Ziel den langen Weg durch die Zimmer auf und ab. Manchmal flüstere sie leise vor sich hin; sie bleibe oft mitten im großen Saal stehen und sehe sich mit einem tückischen Auflachen um, gerade als wolle sie alle die stolzen Herren von Schilling an den Wänden verhöhnen; dem Bilde des alten Freiherrn aber habe sie schon verschiedene Male mit der Faust gedroht und ihm recht derbe Schimpfworts, wie man sie einer solchen Dame gar nicht zutraue, hinaufgerufen – das alles wollte der Bediente Robert beobachtet haben ... Dann und wann hörte man auch durch die offenstehenden Fenster tolles Gelächter und Aufkreischen; »die Gnädige hat ihre Krämpfe,« sagte dann Hannchen gelassen, wenn Donna Mercedes erschreckt zusammenfuhr. Die Dienstboten dagegen beachteten den Lärm kaum – an Krämpfen hatte ja die Gnädige stets gelitten.

      Die Kohlenbecken in der Flurhalle dampften noch tagtäglich, sie sollten vermutlich nicht eher gelöscht werden, als bis Baron Schilling zurückgekehrt war und sich bereuend überzeugt hatte, daß er doch eigentlich seine selbst so kränkliche Gemahlin in augenscheinliche Gefahr, in eine recht peinliche Lage gebracht habe. Im übrigen wurden seine Schützlinge in der Erdgeschoßwohnung zwar in keiner Weise mehr behelligt, aber auch so vollständig ignoriert, als lägen die inneren Läden, das leere, spukhafte Revier von der Außenwelt abschließend, wie immer hinter den Scheiben.

      Donna Mercedes wich stets in die Tiefe des Salons zurück, sobald sie die beiden Damen von der Straße herkommen sah – und sie kamen täglich zweimal, morgens und zur Abendzeit, aus der Benediktinerkirche ... Sie stand ihrem eigenen innersten Wesen wie einem dunklen Rätsel gegenüber. Irgend ein Zug von Sympathie konnte jene Frau allerdings nicht erwecken, die trotz ihrer schlaffen Haltung, ihres müde-schleppenden Ganges dennoch Zoll für Zoll die unumschränkte Beherrscherin des Schillingshofes und dessen, was in ihm lebte und webte, unverkennbar und verletzend herauszukehren wußte. Donna Mercedes hatte auch sonst alle Ursache, der Dame des Hauses zu grollen, welche die gesellschaftlichen Formen, die allereinfachsten Anstandsregeln ihr gegenüber in hochmütiger Willkür völlig aus den Augen setzte – aber das Haßgefühl, das in ihr aufwogte, die heftig schmerzenden Stiche, die ihr Herz durchfuhren und ihr wie in wahnsinnigem Zusammenschrecken das Blut plötzlich stocken machten, sobald die graue Schleppe zwischen den Büschen auftauchte – diese namenlose innere Aufregung war ihr selbst unbegreiflich und verwirrte sie.

      So waren abermals zwei Tage verstrichen, und am dritten befand sich Donna Mercedes vom frühen Morgen an in erwartungsvoller Unruhe – möglicherweise kam Baron Schilling heute zurück. Ob er die Entflohene mitbrachte und ihren Pflichten wieder zuführte? – Die Hoffnung der jungen Dame hatte sich mit jeder Stunde verringert; heute war sie sogar fest überzeugt, daß sie Lucile nicht eher wiedersehen werde, als bis Siechtum und drohender Mangel die Pflichtvergessene unter ihren Schutz zurücktrieben... Gleichwohl harrte sie in unbeschreiblicher Spannung auf Baron Schillings Rückkehr, und da er ihr so fest und entschieden erklärt hatte, das Wiedersehen mit José nur unter den Bäumen des Gartens feiern zu wollen, so konnte sie ebensowenig wie vor einigen Tagen erwarten, daß er, selbst im Besitz dringender Nachrichten, die Erdgeschoßwohnung betreten würde.

      Sie ging deshalb in der Nachmittagstunde, zu welcher Zeit der Erwartete ankommen konnte, nach dem Glashause. Hannchen saß derweil bei José und erzählte ihm Märchen, während sich die kleine Paula unter Deborahs Aufsicht in dem schattigen Fichtenwäldchen hinter dem Atelier tummelte.

      Der Wintergarten war nicht verschlossen, und auch die in das Atelier führende Glastür klaffte; der Gärtner hatte ja auch drüben die Kakteen und Farne zu pflegen und war vermutlich eben hier beschäftigt gewesen – man sah die frischen Spuren der tropfenden Gießkanne auf dem Asphaltboden, und der grüne Vorhang drüben hinter der Glaswand war vollständig zurückgezogen, der ganze weite Raum tat sich auf – ein immer wieder überraschender und blendender Anblick! Donna Mercedes zog ein Buch aus der Tasche und setzte sich auf die eiserne Gartenbank, die, tief in den Pflanzenwald eingerückt, laubenartig überwölbt war. Hier, in dieser traumhaften Stille, umhaucht von der düftereichen, durch die zerstäubenden Wasser gekühlten Luft, konnte sie ungestört und ruhig warten – ruhig? Das Herz klopfte ihr zum Zerspringen; sie versuchte zu lesen, aber sie fand keinen Sinn in den Longfellowschen Versen; ihre Augen schweiften von der Blattseite immer wieder hinüber in das Atelier, in diese Wunderwelt, die auch ein Gedicht war, ein Gedicht, das seine Poesie aus altversunkenen Zeiten, aus weltweiten Fernen geholt und dem, der hier sann und schaffte, eine unerschöpfliche Gedankenfülle zuführte.

      Draußen in seiner Klause schlug Pirat plötzlich mit seiner gewaltigen Stimme an. Donna Mercedes schreckte empor – Fremde näherten sich dem Hause, sie hörte es an der Art und Weise, wie das ungebärdige Tier tobte und lärmte; aber vor dem Glashause wurde kein Schritt laut – der Hund schwieg auch bald wieder, und die junge Dame lehnte sich beruhigt in ihre geschützte Ecke zurück.

      Da bewegte sich der Vorhang droben auf der Galerie – es sah fast gespenstisch aus, wie sich das farbensprühende Gewebe langsam teilte und seitwärts schob und die graue Frauengestalt im Türrahmen zeigte. – Schlaff und zusammengesunken wie immer, aber jetzt auch schleichend, wie ein Dieb, trat die Baronin auf die Galerie heraus. Fräulein von Riedt folgte ihr.

      Die hohe, in schwarze Seide gehüllte Gestalt der Stiftsdame mit den ernst gebieterischen Augen unter den starken Brauen erschien neben jenem Schattenwesen wie eine Königin. »Mir widerstrebt es, da hinabzugehen,« sagte sie entschieden mit ihrer tönenden, etwas spröden Stimme und streckte den Arm über das Galeriegeländer hinweg. »Ist hier oben alles sorgfältig weggeräumt, wie du dich gestern überzeugt hast, so wirst du im Atelier, wo sozusagen öffentlicher Boden ist, noch viel weniger Aufklärung finden.« Die Baronin überhörte völlig, was ihre Begleiterin sprach. Sie glitt über die Galerie hin und die Wendeltreppe hinab ... Nun sah ja Donna Mercedes die Hausfrau des Künstlers da herabsteigen, wo ihre Phantasie ihr neulich abends ein schlankes, junges Weib mit dem Kredenzteller in den Händen gezeigt hatte – wie so ganz anders war die Erscheinung dort! – Sie sah die Baronin zum erstenmal ohne Hut – was für eine erstaunliche Haarfülle umwogte, lose aufgesteckt, den langen, schmalen Kopf! ... Aber diese wuchtigen Strähne zeigten jenes stumpfe Graublond, dem das Licht vergebens einen goldigen Schein, einen warm leuchtenden Glanz abzulocken sucht. Scharf aus dem Gesicht gestrichen, in ohnehin weit zurückgehender Linie die Stirn umsäumend, ließ es dieselbe allzu frei, zu sehr entblößt erscheinen und machte sie kahl und nüchtern – ob der Schönheitssinn des Malers nie versucht hatte, wenigstens dieser unschönen Eigentümlichkeit durch einen Rat oder einen ausgesprochenen Wunsch abzuhelfen?

      Donna Mercedes atmete kaum in ihrem Versteck. Sie konnte sich jetzt unmöglich erheben, ohne den Damen, denen sie um keinen Preis vor Baron Schillings Rückkehr begegnen mochte, Auge in Auge gegenüberzustehen. Aber sie hoffte entschlüpfen zu können, während die Baronin »nach Aufklärung suchte«, wie Fräulein von Riedt eben gesagt hatte, und deshalb schmiegte sie sich tiefer in die Ecke und lauschte durch das lockere Gegitter des Myrtengesträuches zu ihrer Rechten auf den ersehnten Augenblick.

      Die Baronin blieb am Fuß der Wendeltreppe stehen. »Ich war noch nie hier – noch nie!« sagte sie im Ton tiefer Befriedigung und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, während ihre lange Hand einen weiten Kreis umschrieb. »Ich habe es durchgesetzt, was ich ihm damals versicherte, als er den Grundstein zu dem Hause legen ließ, durchgesetzt bis zu dieser Stunde! Und daß ich in diesem Augenblick mein Gelübde breche, das wird er nie erfahren.«

      Sie schritt tiefer in das Atelier herein und lachte spöttisch auf. »Sieh dich um, Adelheid!« sagte sie zu der Stiftsdame, die zögernd und sichtlich widerwillig ihr gefolgt war. »Ist diese verrückte Einrichtung nicht der reine Blödsinn? ... Darin hat er allerdings recht gehabt – zu solchem Kram würde ich bis in alle Ewigkeit mein Geld nicht hergegeben haben – dazu mußte er selbst verdienen! – Er ist ein sinnloser Verschwender!« unterbrach sie sich selbst erbittert, und das Blut stieg ihr in das Gesicht. »In alte Scharteken und Trümmer steckt er Unsummen, wie er der fremden Gesellschaft im Erdgeschoß die teuersten Weine und Speisen durch die Gurgel jagt!« – In welch grobe Ausdrucksweise verfiel die Entrüstete! Und wie lebhaft wurden ihre Gebärden, wie rasch wandelte sich die müde-schleppende Gangart zum


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