Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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      Der heimkehrende Mann hatte einen Strahl von Wiedersehensfreude auf seinem Gesicht. Er trug die kleine Paula auf dem rechten Arm, und mit dem linken drückte er das Kind fest und zärtlich an seine Brust... Pirat hatte sich neben ihm durch die Türöffnung gedrängt und schoß über die Galerie und die Wendeltreppe herab – wie ein Rasender stürzte er auf die Baronin zu, aus deren Händen das Kuvert eben auf den Boden niederflatterte.

      Sie stand wie schreckerstarrt; allein die Besonnenheit kehrte ihr rasch zurück – ihre erste Bewegung war, die Schranktür verstohlen zuzudrücken – in dem Augenblick jedoch, wo sie sich scheinbar unwillkürlich hinüberbog, fuhr der Hund an ihr empor, als gelte es, einen Dieb von dem Eigentum des Mannes da droben abzuwehren.

      »Willst du mich von dem Ungetüm zerreißen lassen?« rief sie empört nach der Galerie hinauf.

      Ein kurzer, scharfer Zuruf von oben hatte das Tier schon wieder die Treppe hinaufstürmen gemacht. Baron Schilling wies es mit einer Armbewegung in das Zimmer zurück und schloß die hinter dem Vorhang befindliche Tür.

      »Es tut mir leid, daß du dich erschreckt hast, Klementine,« sagte er, die Stufen herabsteigend. Noch trug er das Kind, das die Ärmchen um seinen Nacken geschlungen hatte und sein kleines Gesicht so fest an seine gebräunte Wange schmiegte, daß sich die blonden Locken mit seinem Barte mischten. »Der Hund ist nur scheinbar gefährlich, nur plump und übereifrig, aber er beißt nicht – er ist ja der Spielgefährte der Kinder,« fuhr er fort, indem er seiner Frau näher trat – sein Blick streifte das hinabgeflogene Kuvert und den geöffneten Schrank, und ein Zug von Ironie ging durch sein Gesicht. – »Ich konnte nicht ahnen, daß du zurückgekehrt bist, noch weniger aber durfte ich voraussetzen, dich hier, hier – es ist wirklich eine seltsame Überraschung, Klementine! – zu finden; ich würde sonst dem ungebärdigen Tier nicht gestattet haben, mich zu begleiten.«

      Er neigte leicht und kalt grüßend den Kopf vor Fräulein von Riedt und reichte seiner Frau die freie Linke hin.

      »Solange du das Mädchen da auf dem Arme hast, fällt es mir nicht ein, dir die Hand zu geben,« sagte sie eisig. »Ich mag beim Wiedersehen keine Fremden um mich haben.«

      Bei diesen Worten wandte er den Kopf zur Seite und während sich seine Brauen zusammenzogen, fixierte er mit einem spöttisch scharfen, sprechenden Blick die Stiftsdame, die mit untergeschlagenen Armen schweigend und unbeweglich auf ihrem Platze verharrte.

      »Adelheid ist keine Fremde –« fuhr die Baronin auf.

      »Und Lucians Kind, mein kleiner Liebling hier, steht mir sehr nahe,« ergänzte er gleichsam mit großer Ruhe. Er stellte die Kleine mit zärtlicher Behutsamkeit auf den Boden und nahm ihr Händchen fest in seine Linke – seiner Frau bot er die Hand nicht wieder.

      Ihre schwachen Füße trugen sie plötzlich nicht mehr – sie sank im nächsten Lehnstuhl zusammen: »Ich habe Beklemmung, Adelheid,« sagte sie und drückte die verschränkten Hände gegen die Brust.

      Die Stiftsdame trat näher und reichte ihr ein Fläschchen, das sie aus der Tasche zog, während Baron Schilling den dunklen, dichten Vorhang von einem der unteren Fenster wegschob und beide Flügel öffnete. »Man hat während meiner Abwesenheit schlecht gelüftet,« bemerkte er gleichmütig.

      »O, das ist's nicht!« entgegnete die Baronin und atmete den Geist der Essenz ein. – »Wie sollte es da mir Ärmsten drüben im Zause ergehen, das mit häßlicher Krankenluft erfüllt ist? Um mich und Adelheid vor Ansteckung einigermaßen zu schützen, bin ich gezwungen, Tag und Nacht den erstickenden Dampf der Kohlenpfannen zu atmen.«

      »Wie – hat Josés Krankheit noch einen bösartigen Charakter angenommen?« rief Baron Schilling bestürzt.

      »José? – Wer ist José?« fragte die Baronin gleichgültig, mit einem matten Augenaufschlag. – »Du mußt nicht denken, daß ich mir Zeit und Mühe genommen habe, so viel Einblick in deine Beziehungen zu gewinnen, um mich mit den Namen vertraut zu machen ... Ich weiß nur, daß ich unser Haus in einem beispiellosen Zustand fand, als ich neulich abends zurückkehrte. Die Dienerschaft war verwildert, ohne Disziplin, wie eine herrenlose Herde – an ihrer Spitze diese einfältige Wirtschaftsmamsell, die ohne Gnade nun endlich den Laufpaß erhalten wird –«

      »So?!«

      »Ganz sicher – diesmal werde ich ihre Entlassung durchzusetzen wissen, darauf verlasse dich! ... O, wie habe ich mich geärgert an dem Abend! Aus dem heiligen Frieden des stillen Hauses kommend, in dem ich erzogen worden bin, berührte mich der trostlose Empfang doppelt niederschlagend. Der Herr Gemahl war verreist –«

      »In Erfüllung einer unabweisbaren Pflicht –«

      »Ach ja – du mußtest der durchgebrannten Tänzerin nachreisen,« fiel sie eintönig ein.

      Er hatte offenbar eine böse Antwort auf den Lippen – er rang mit sich. Der Blick, den er auf diese tückische Frau im Lehnstuhl heftete, sagte deutlicher als die schärfsten Worte, daß er ein tiefunglücklicher Mann sei, ob er auch neulich in Luciles Zimmer verletzten Stolzes, in harter Zurückweisung versichert hatte, er finde an seinem Los nichts auszusetzen.

      »›Lucians Witwe‹ willst du sagen, Klementine,« entgegnete er sich bezwingend. »Mit der Tänzerin Fournier habe ich nichts zu schaffen.« »Ach, mein Gott, auf einen so spitzfindigen, haarfeinen Unterschied versteht sich mein schlichter Verstand nicht,« sagte sie ebenso impertinent obenhin wie zuvor. »Nun meinetwegen auch ... Solch jugendliches Witwentum mag immerhin für manche Männer den Bühnenruhm an Anziehungskraft aufwiegen ... Apropos, diese Donna de Valmaseda ist ja auch Witwe, wie ich höre! Du hast es nicht für nötig gehalten, mir diese interessante Tatsache mitzuteilen –«

      »Hast du nicht stets jede eingehendere Mitteilung aus Lucians Briefen als langweilig abgewehrt?«

      »Mein Gott, ja! Aber wer spricht denn von alten Zeiten? Ich meine, in dem Augenblick, wo du mir anzeigtest, daß sie ihre Schwägerin begleiten würde.«

      Die junge Dame hinter dem Myrtengesträuch kämpfte in diesem Augenblick einen verzweifelten Kampf mit sich selbst. Sie sah, wie ihm bei Nennung ihres Namens die Röte heftigen Unwillens in das Gesicht trat. Es trieb sie, hervorzutreten und durch ihren Anblick jedes Wort über sie hinter seine Lippen zurückzudrängen, und doch blieb sie wie gelähmt sitzen; denn schon sagte er hart und scharf: »War das nötig? Hat diese Tatsache irgendwie Bezug auf die Stellung der Dame zu mir? ... Ich habe versprochen, Lucians Kinder zu schützen, sie in meine Obhut zu nehmen; wer sie mir zu diesem Zwecke zuführt, das – nun das ist wohl Nebensache.«

      »Für mich aber nicht,« sagte sie verdrossen. »Diese Pflanzermadame mit ihrem Sklaventroß ist mir ein Greuel – sie sieht mir so recht aus wie eine von denen, die ihre Umgebung mit der Peitsche behandeln. Ich lebe stets in fiebrischer Angst, daß eines Tages das Geheul der Gestraften bis hinauf zu mir dringen könnte –«

      »Die Vorstellung ist falsch,« unterbrach er sie kurz; dann preßten sich seine Lippen fest aufeinander.

      »Sie ist richtig!« betonte sie hartnäckig. »Man braucht nur in das Gesicht zu sehen. Möglich, daß sie hier auf deutschem Boden ihre Gelüste zügelt; aber ist es nicht schon an und für sich eine Schmach, sich von Sklaven bedienen zu lassen, sie über das Meer mitzuschleppen wie Maschinen, nicht wie Menschen?«

      »Das hat die Dame vor sich selbst zu verantworten – ich fühle mich nicht berufen, fremdländische Unsitte zu bekämpfen.« – Mit welcher Bitterkeit sprach er! Es klang, als habe sich der Groll draußen in der Ferne nur noch tiefer in sein Inneres eingewühlt.

      Die Baronin lachte spöttisch auf. »Das würde dir auch ohne Zweifel sehr schlecht bekommen,« sagte sie. »Diese überseeischen Pflanzeraristokratinnen sollen wahre kleine Teufel an Hochmut und boshaften Launen sein.«

      Er schwieg und bückte sich über Paula, die mit beiden Händchen seine Linke umfaßt hielt und mit großen Augen unverwandt nach der Frau im Lehnstuhl sah – es war der kleinen Verwöhnten offenbar sehr verwunderlich, daß sie keines Blickes gewürdigt wurde. »Wollen wir Pirat fortbringen?« fragte


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