Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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Zunge der Menschen schweben.

      Nicht lange hatte sie grübelnd neben der spielenden Kleinen gesessen, als sie seinen Schritt hörte – er trat aus dem Hause und wandte sich dem Fichtenwäldchen zu ... Ihre Pulse hatten nicht aufgeregter geklopft, wenn das Geräusch herannahender feindlicher Kolonnen an ihr Ohr geschlagen war, als jetzt, wo dieser eine Mann im nächsten Augenblick vor ihr stehen sollte. Ihre letzten grollenden Empfindungen ließen sich nicht so rasch niederkämpfen, sie waren noch in ihren Zügen zu lesen, und als sie sich erhob und einige Schritte langsam majestätisch von der Bank wegtrat, da meinte Deborah in ihrem erschrockenen Herzen, nur das violette Samtgewand fehle, sonst sei die junge Dame genau wieder die verstorbene, gefürchtete Herrin, wie sie voll bösen Hochmutes drüben im goldenen Rahmen stehe.

      Baron Schilling kam um die Hausecke. – Er hielt eine Visitenkarte in der Hand. Donna Mercedes' Anwesenheit unter den Bäumen schien ihn zu überraschen, wie der jähe Farbenwechsel auf seinem Gesicht bewies; er beschleunigte auch im ersten Augenblick unwillkürlich seine Schritte; allein der prüfende Blick, der über ihre verfinsterten Züge hinflog, mochte ihn umstimmen – er steckte die Karte in die Brusttasche, wobei er im gewohnten, ruhigen Tempo näher trat – er sah nichts weniger als erregt aus.

      »Ich war eben im Begriff, Ihnen durch Deborah meine Rücklehr zu melden,« sagte er kühl mit einer Verbeugung.

      »Und Lucile?« »Frau Lucile Fournier wird heute abend zum drittenmal gastieren, wie die Theaterzettel an den Straßenecken Berlins verkünden,« versetzte er mit einem ausdrucksvollen Seitenblick nach dem Töchterchen der Entflohenen und der schwarzen Wärterin.

      Donna Mercedes ging darauf hin nach der Allee, und er schritt an ihrer Seite.

      »An eine Rückkehr in die alten Verhältnisse ist nicht zu denken,« hob er wieder an. »Sie lachte mir ins Gesicht und erkundigte sich nach den Ketten und Handschellen, die ich doch notwendig mitgebracht haben müsse, um sie ›heimzuschleifen‹, denn auf eine andere Weise gehe sie selbstverständlich nicht mit. Ob ich denn ernstlich glaube, sie krieche pflichtschuldigst wieder unter Ihre Flügel, wie ein erschrockenes Küchlein, das den bösen Habicht gesehen, und nehme mit hausbackenem Brot vorlieb, nachdem sie sich in himmlischer Freiheit, auf goldenem Triumphwagen geschaukelt und Manna gekostet habe? ... Und ich habe den Staub von den Füßen geschüttelt und bin gegangen,« fuhr er in seinem ernstesten Tone fort. »Es kann gar nicht mehr die Rede davon sein, ob die kleine Frau zurückkehren will – sie darf nicht wieder heimkommen! ... Es ist, als sei das Stück Leben an Lucians Seite in ihrer Erinnerung grundlos versunken. Sie hat an die Stunde, wo sie das Haus ihrer Mutter und das Leben und Treiben der Theaterwelt verlassen, so unmittelbar und mühelos wieder angeknüpft, daß man auch nicht die geringste Spur einer achtjährigen Unterbrechung merkt. In ihrem Salon treibt sich die junge vornehme Männerwelt herum, den alten, geckenhaften Fürsten Konsky an der Spitze, der, wie ehemals der Mutter, nun dem neuaufgehenden Stern seine Fadheiten sagt, alle Treibhäuser für ihn plündert und im Boudoir Etuis mit kostbaren Schmuckstücken verstreut.«

      Ein Ausdruck von Humor huschte flüchtig über sein Gesicht. »Ich hatte erst verschiedene Verhandlungen mit ihrem neuangenommenen Sekretär zu überstehen, ehe ich eintreten durfte,« sagte er nach einem kurzen Verstummen weiter. »Es war bereits Besuch da – zwei Herren meiner Bekanntschaft machten ihre Aufwartung. Die kleine Frau lag im weißen Seidenmantel auf dem Ruhebett, als sie mich unter tollem Lachen empfing, und hatte einen kläffenden Seidenpinscher auf dem Schöße, dem ein im Mutwillen übergeworfenes Brillantenkollier am Halse schaukelte –«

      »Ich hasse sie!« murmelte Donna Mercedes, und die kleine, festgeballte Hand fuhr unwillkürlich in die Luft.

      Sein Blick hing seitwärts an ihrem Gesicht. Sie zog die Stirn so zürnend zusammen, daß sich die Brauen fast berührten.

      »Das hätten Sie ihr vielleicht gesagt,« bemerkte er.

      »Ohne Zweifel, bei einem solchen Anblick –«

      »Das heißt, sofern der Herr Sekretär Sie vorgelassen hätte.«

      Sie wich unter einem halberstickten zornigen Ausruf zurück – er rührte hart und schonungslos an ihrem Hochmut. Sie mochte an den Augenblick denken, wo sie ihr stolzes Vaterhaus durch das Erscheinen der Schwiegertochter für entweiht gehalten, und jetzt hatte ihr die Schmach gedroht, von deren Schwelle gewiesen zu werden.

      »Ich wußte wohl, daß es ein Weg voll Stacheln ohne Ziel und Erfolg für Sie gewesen wäre,« sagte er kalt, ohne ihre Erregung zu beachten. »Ich mußte mir ja auch gefallen lassen,« – er lächelte heiter, so daß seine prächtigen Zähne unter dem Bart hervorblinkten – »daß mir die kleine Frau mänadenhaft zornig und ergrimmt, wie ihr knurrendes Pinscherhündchen, das kleine, blanke Gebiß wies und mir allen Ernstes drohte, sie werde mir ein halbes Dutzend Duelle auf den Hals schicken, weil ich ihr versichert hatte, daß sie Paula nie und nimmer in die Hand bekommen werde.«

      »Nie und nimmer!« wiederholte sie gepreßt und mechanisch, als stehe sie noch unter dem Eindruck jener demütigenden Vorstellung, die er in ihr hervorgerufen. Sie blieb stehen und zeigte nach dem Klostergute. »Dort geht eine Wandlung vor sich – ich halte die Zeit nicht mehr für fern, wo wir unsere Vollmachten in eine andere Hand niederlegen müssen.« – Sie sprach das durchaus nicht bedauerlich, obgleich ihr der Gedanke das Herz zerfleischen mußte; weit eher klang die Genugtuung darüber mit, daß sie auch ihm einen Schmerz zufügen konnte. Mit dieser Stimme schilderte sie weiter, in rascher Aufeinanderfolge, das gespenstische Erscheinen der Frau in der Säulenhalle und ihre eigene Begegnung mit der Majorin am Zaun. »Wunderbar!« rief sie schließlich aus. »Diese Geschmähte, diese als bitterste Feindin Gehaßte, gerade sie ist es – sie ist es allein, die mir auf deutschem Boden einen Zug von Sympathie abringt!«

      Es fuhr wie ein jähes Aufzucken durch den neben ihr stehenden Mann. Sie bemerkte es nicht.

      »Es ist etwas Verwandtes zwischen ihr und mir,« fuhr sie fort.

      »Ja – es mag der dämonische Zug sein, der den Mitlebenden zu raten aufgibt, ob in diesen Frauen mit den dunklen Flammenaugen in der Tat kein Herz lebt, oder ob es nur zeitlebens von dem unseligen und unersättlichen Trieb, da zu verneinen, wo es beglücken sollte, überstimmt wird,« bestätigte er anscheinend ganz gelassen. »Diese Art des Frauencharakters ist wie eine Blume, die neidisch lieber im eigenen Duft erstickt und verdirbt, ehe sie die spröde Knospenhülle sprengt – eine Flamme, die in die Tiefe hinein brennt, den eigenen Herd verheert und keines Menschen Lebensweg bestrahlt – mich jammern meine zwei Lieblinge in solchen Händen!«

      »Demnach muß ich sehr hart und grausam sein, denn mich – jammern sie nicht,« versetzte sie achselzuckend, aber mit leichtbebender Stimme. »Felix hat sich nicht geirrt – die Frau da drüben wird sie schützen wie ein Mann, und lieben, wie nur ein weibliches Herz zu lieben vermag – sobald der letzte Damm durchbrochen ist ... Sie bestätigen meine innere Verwandtschaft zu ihr – nun wohl, dann muß ich auch ihrem Fühlen nachspüren können. Und so weiß ich, daß die Triebkraft der Neue, das heiße Verlangen, zu sühnen, die spröde Knospenhülle sprengen, die Flamme nach außen treiben wird. Diese neidisch verhaltene Liebe mag dann wohl von anders gestalteter Kraft sein als die zahme Hingebung einer sanften Frauennatur die für alle Welt ein freundliches, aber kühles Mondlicht auf den Weg breitet... Unter der Hut dieser Großmutter lasse ich die Kinder getrost zurück.«

      Sie waren währenddem weiter geschritten. Jetzt blieb er wie auf einen Ruck stehen. »Sie wollen die Kinder verlassen?«

      »Ja – um mich daheim zu vergnügen,« versetzte sie mit scharfen Spott. »Oder hab' ich das nicht redlich verdient durch meinen Aufenthalt in Deutschland?«

      Sie sah, wie ihm das Blut in das Gesicht schoß. »Gewiß – Sie haben recht, wenn Sie dies Märtyrertum so rasch wie möglich abkürzen,« sagte er dennoch kalt; »und ich bin gewiß der letzte, der Ihnen zumutet, auch nur eine Stunde länger zu bleiben, als unbedingt nötig ist. – Vorerst müssen wir freilich abwarten, ob sich die sanguinische Hoffnung auf die Umkehr der alten Frau in der Tat verwirklicht.«

      Donna Mercedes fühlte plötzlich den festen Boden ihres Selbstbewußtseins, ihrer stolzen Sicherheit unter den Füßen


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