Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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Kies eines nahen Weges eilfertig hinging – zuckte sie zusammen und hemmte aufhorchend den Schritt.

      Die Gießkannen brauchten heute nicht allzufleißig in Bewegung gesetzt zu werden, denn der Himmel war vom frühen Morgen an bedeckt gewesen. Aber die Wolkenschicht, die keinen heißen Sonnenstrahl hindurch lieh, war von einem festen, gleichmäßigen Grau und wölbte sich hoch wie eine granitene, kühle Domkuppel. Die Vögel schössen jubilierend droben hin, und eine köstlich erquickende, balsamische Luft wehte, ein wahrer Genesungsodem für Kranke.

      Die Majorin verließ plötzlich den geradlinigen Hauptweg, und auf die Gartenbank am Zaun tretend, schlug sie die rauschenden Syringen- und Haselzweige auseinander.

      Ein schwaches Rädergeräusch kam von der Platanenallee her. Jack, der Neger, schob einen eleganten Kinderfahrstuhl langsam über die Kiesbahn – der hellblaue Seidenschimmer der Auspolsterung und einer übergebreiteten Decke leuchtete herüber, und so bedeutend auch die Entfernung war, die Frau am Zaun sah doch ein blondes Köpfchen auf dem Polster liegen – fast wäre sie von der Bank gestürzt, ein solch jähes Aufschrecken ging durch ihren Körper.

      Das kleine Gefährt rollte noch einigemal auf und ab, dann kam es nicht mehr zurück, es mochte droben beim Atelier haltmachen. Die Majorin stieg von der Bank herab und ging auf dem schmalen Weg am Zaune hin. Sie machte dann und wann einen Versuch, das Gezweig in der Höhe ihres Gesichts auseinanderzudrängen; allein die seit langen Jahren geflissentlich gehegte und gepflegte Wildnis wies sie unerbittlich mit Dornen und Stacheln zurück ... Und die einzige Bank des Gartens war nicht verstellbar, ihre steinernen Träger fußten tief in der Erde; aber dort an der Mauer, die den tiefsten Teil des Gartengrundstücks, den großen mit Obstbäumen bestandenen Grasfleck, von der Straße abschloß, lagen unter vorspringender Bretterverdachung die Leitern, die im Herbst beim Obstbrechen benutzt wurden. Sie lehnte eine der Leitern an die Mauer und stieg so weit hinauf, daß sie gerade den Kopf über den seitwärts liegenden Zaun heben konnte.

      Wäre sie fähig gewesen, in diesem Augenblick an vergangene Zeiten zu denken, die Scham vor sich selber, der starre Wolframstrotz hätten sie von der Leiter jagen müssen; aber es war nur ein Gedanke, der sie beherrschte, der ihr das Blut stürmisch kreisen machte und ihre Bewegungen lenkte – der Wunsch, so nahe wie möglich in das kleine, blasse Kindergesicht zu sehen und sich mit einem einzigen Blick zu überzeugen, ob der Tod wirklich seine drohende Hand zurückgezogen habe.

      Sie sah in das Fichtenwäldchen hinein, und dort stand, kaum fünfzehn Schritt entfernt, der Fahrstuhl zwischen den Stämmen. Josés Gesicht war ihr zugewendet. Noch lehnte der kleine Kopf müde an dem blauen Polster, und das vorquellende goldglänzende Gelock hing um ein abgezehrtes Oval; aber der lebhafte Blick und das schöne Rot des kleinen Kirschenmundes bezeugten unwiderleglich, daß der Lebensstrom in dem schwer angefochtenen Kinderkörper dort gesunde.

      Außer Jack war niemand bei dem Knaben. Der Schwarze watete im Wiesengras und pflückte die Stengel des Löwenzahns, welche die Händchen des kleinen Kranken auf der Decke zu einer unförmlichen Kette verarbeiteten. Man sah, wie sich die Brust des Kindes in tiefen Atemzügen hob und die freie, von kräftigem Fichtenduft durchtränkte Luft gierig einsog. Auch ein stilles Lächeln der Freude ging über das Gesichtchen.

      »Geh, Jack, sei gut – lasse Pirat heraus zu mir!« sagte der Knabe, jedenfalls in bezug auf das Hundegewinsel, das vom Atelier herkam.

      »Nein, Kind, noch nicht! Doktor hat's verboten!« rief der Schwarze von der Wiese herüber. »Pirat ist wild, regt dich auf. Heute nicht – morgen! Will nachher gleich hingehen und ihn zur Ruhe bringen.« Damit stampfte er immer tiefer in das Gras und machte Jagd auf die gelben Blumen und die dicken Federbälle, die unter seiner Berührung auseinander stäubten.

      Die Augen der Majorin glühten plötzlich auf, und so voller Hast, als habe es ihr eine dämonische Gewalt angetan, die sie vorwärts treibe, verließ sie die Leiter und ging in das Haus. Den Hof betrat sie nicht; sie nahm den Weg durch die Hintergebäude, den der kleine José neulich gegangen war – über die dunklen Böden hinweg kam sie ungesehen in das Giebelzimmer. Fast wie ein Dieb, der sich auf fremdes Gebiet schleicht, bemühte sich diese Frau, mit dem sonst so majestätisch festen Gang, geräuschlos in ihr eigenes Zimmer einzutreten.

      Sie schloß den Wandschrank auf, der ihr reiches Silbergerät enthielt – in der einen tiefen Ecke hatte einst auch das verhaßte Patengeschenk mit dem eingravierten Namen Lucian den Augen der Welt möglichst entrückt gelegen – und nahm einen kleinen, schwervergoldeten Silberbecher von herrlicher Form und Arbeit heraus. Das war auch ein Patengeschenk, das einst ein reicher Freund des Hauses der kleinen Therese Wolfram in das Taufzeug gesteckt hatte. Hastig fuhr sie noch einmal mit dem Staubtuch über das goldfunkelnde Innere des Bechers, dann ließ sie ihn in die Tasche gleiten und ging auf demselben Wege, den sie gekommen, in den Garten zurück.

      Ein Blick über den Zaun und die tiefe Stille, die drüben herrschte, überzeugten sie, daß der Neger zu dem Hund gegangen sei, um ihn zu beruhigen. Mit bebenden Fingern zog sie einen Schlüssel aus dem klirrenden Bund, der an ihrem Gürtel hing, riß die Küchenschürze ab, um sie hinter den nächsten Busch zu werfen, und schloß die kleine Mauertür auf, die hinaus auf die Straße führte.

      Das alte Brettergefüge ächzte und kreischte in den Angeln, und die Frau fuhr mit kreideweißem Gesicht zurück und biß die Zähne aufeinander. Vor langen Jahren hatte sich diese Tür auch so widerwillig gesperrt und förmlich feindselig gemurrt, als gehöre sie auch zu denen auf Wolframschem Gebiet, die es so ungern sahen, daß die schöne Tochter des Hauses, das bräutliche Mädchen im weihen Kleide, da hinausschlüpfte, um drüben im Schillingsgarten dem schlanken Soldaten in die Arme zu eilen ... Ja, weiß wie eine Taube war sie immer hinübergeflattert – er hatte das so sehr geliebt ...

      Die Majorin hatte den Fuß unwillkürlich zurückgezogen; aber nur für einen Augenblick – dann trat sie entschlossen hinaus, und die Tür fiel hinter ihr zu.

      Die an sich schon öde Straße mit den verlorenen Häusern zwischen langen Gartenmauern war in diesem Augenblick völlig menschenleer. Es bedurfte auch nur weniger Schritte, um die Tür des nachbarlichen Gartens zu erreichen. Sie wurde tagsüber nie verschlossen – der Farbenreiber, die Modelle und auch die Dienerschaft gingen meist da aus und ein. Die Majorin wußte das – sie klinkte die Tür auf und trat ein.

      Das beklemmende grüne Dämmerlicht unter den uralten, langbärtigen Fichten hauchte sie an wie ein Traum, der längst vergangene Zeiten auferstehen läßt, und im ersten Augenblick war es ihr, als müßten jenseits der Walddämmerung goldene Epauletten im hellen Tagesschein aufblitzen – ein zweischneidiges Schwert ist die Jugenderinnerung, wenn sie über die Schlucht herübergreift, die das jäh hinabgestürzte Lebensglück für immer verschlungen ... Die großen dunklen Augen blickten umflort und wie erschreckt, bis sie auf die blaue Seidendecke fielen, die zwischen den Fichtenstämmen leuchtete. Dort glänzte es ja auch golden, das Knabenköpfchen, das sich bei dem Türgeräusch emporrichtete.

      Der kleine José sah erstaunt, aber nicht erschrocken zu der Frau empor, die mit wenigen Schritten neben ihm stand – die Frau im schwarzen Kleide mit dem schönen, farblosen Gesicht und den schneebleichen Lippen, die sich zitternd öffneten und schlossen, ohne einen Laut hervorzubringen.

      Wie ein Fürstenkind lag der Knabe da, den das alte Klosterhaus neulich wie mit tückischen Fangarmen in seinem häßlichsten Winkel festgehalten. Ein Amulett funkelte an seiner Goldkette auf dem spitzenbesetzten Schlafkleidchen, das weiß aus dem übergeworfenen seidengefütterten blauen Samtmantel schimmerte. Die alten Tuchweber aus dem engen Stadtgäßchen würden wohl den Kopf geschüttelt haben über das aristokratisch feine Menschenbild, in dem auch ihr Blut floß, das Blut der Ackerbürger mit den schwieligen Händen und dem rauhen störrigen Sinn.

      »Geht es dir wieder besser?« fragte die Majorin halb flüsternd und bog sich so tief über das Kind, daß sie den würzigen Atem des kleinen Mundes über ihre Wange hinwehen fühlte.

      »Ach ja – aber müde bin ich! Und ich möchte doch so gern mit Paula und Pirat im Garten herumlaufen.«

      »Paula ist dein Schwesterchen?«

      »Ja – weißt du das noch nicht? ... Sieh mal, die


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