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da ganz gut aufgehoben ist … Wenn ich auch deine rührende Angst und Sorge um das Kind vollkommen begreife, so muß ich doch zu deiner Beruhigung sagen, daß Miß Mertens viel zu sanft und gebildet ist, um irgend etwas zu thun, was nicht zum Heile der Kleinen wäre … Du siehst ganz erschöpft aus,« fügte sie teilnehmend hinzu. »Es wird gut sein, wenn ich dich jetzt allein lasse. Fräulein Ferber wird gewiß die Güte haben, mich bis an mein Zimmer zu führen.«

      Damit erhob sie sich, bog sich über die Baronin und hauchte einen Kuß auf deren Wange. Dann legte sie ihre Hand auf Elisabeths Arm, die von der Baronin mittels einer sehr gnädig aussehenden Handbewegung verabschiedet wurde, und verließ das Zimmer.

      Auf der langsamen Wanderung durch verschiedene Korridors sagte sie, es werde vorzüglich für ihren Bruder, der jetzt so fern von ihr lebe, eine große Freude sein, wenn sie die Musik wieder aufnehme. Er habe früher stundenlang in einer dunklen Ecke sitzen und ihr zuhören können, bis eine erhöhte Nervenreizbarkeit sie gezwungen habe, auf eine lange Zeit der geliebten Musik zu entsagen. Jetzt fühle sie sich wieder viel kräftiger, und auch der Arzt habe seine Zustimmung gegeben – nun wolle sie fleißig üben, um den Bruder zu überraschen, wenn er dereinst zurückkehre.

      Elisabeth eilte wie geflügelt durch den einsamen Park und den Weg hinauf. Droben auf der Waldblöße vor dem offenen Mauerpförtchen gingen die Eltern auf und ab, und der kleine Ernst sprang ihr schon von weitem entgegen. Wie heimisch und traut erschien ihr alles hier oben. Die Ihrigen begrüßten sie, als sei sie schmerzlich vermißt worden; droben am Fenster schmetterte und jubelte Hänschen, daß es eine wahre Lust war, und hinter den zwei sich gegenüberliegenden offenen Thüren der großen, dämmerstillen Halle glänzte der grüne Garten doppelt sonnig und zeigte im Hintergrunde die Lindengruppe über dem kühlen Brunnen, in dessen Nähe ein weißgedeckter Tisch mit dem Abendbrote stand.

      Das ganze italienische Schloß mit all seiner Pracht, seiner vornehmen Atmosphäre und seiner fast beängstigenden Stille, die nur durch den Lärm eines ungebärdigen, verzogenen Kindes unterbrochen worden war, versank hinter ihr wie ein Traum, den man gern abschüttelt; und als sie die Reihenfolge ihrer Eindrücke den Eltern mitgeteilt hatte, da schloß sie mit den Worten: »Deiner Lehre nach, Väterchen, dürfte ich mir heute noch kein festes Urteil über die neue Bekanntschaft bilden; denn du verwirfst den ersten Eindruck als etwas Trügliches, das uns leicht ungerecht macht. Aber was kann ich für meine widerspenstige Phantasie? So oft ich an die beiden Damen denke, sehe ich eine junge, einsame Hängebirke, die einer vom Sturme getragenen Wetterwolke ihre elastischen Zweige willenlos preisgibt.«

      7.

       Inhaltsverzeichnis

      Von nun an ging Elisabeth zweimal wöchentlich hinunter nach Lindhof. Die Baronin Lessen hatte am Tage nach ihrer Aufwartung mittels eines höflichen Billets die Stunden angeordnet und zugleich ein sehr anständiges Honorar für Elisabeths Bemühung festgestellt. Diese Stunden wurden für das junge Mädchen sehr bald eine Quelle hoher Genüsse. Helene von Walde hatte zwar durch jahrelangen Mangel an Uebung in Hinsicht auf technische Fertigkeit sehr verloren und konnte sich mit Elisabeth nicht messen; aber sie spielte mit tiefer Empfindung, hatte einen durchaus geläuterten Geschmack und besaß nicht im entferntesten jene häßliche Angewohnheit der meisten Dilettanten, nämlich, das gering zu schätzen, was über ihren Horizont geht. Die Baronin Lessen war nie zugegen, wenn musiziert wurde, und deshalb gewannen auch die Erholungspausen nach und nach einen eigentümlichen Reiz für Elisabeth. Ein Bedienter brachte dann gewöhnlich einige kleine Erfrischungen; Helene lehnte sich in ihren Fauteuil zurück, und Elisabeth setzte sich auf einen Fußschemel zu ihren Füßen, entzückt der flötenartigen, melancholischen Stimme lauschend, mit der das arme, mißgestalte Wesen aus seiner Vergangenheit erzählte. Dann trat jedesmal das Bild des fernen Bruders in den Vordergrund. Sie konnte nicht genug rühmen, wie er für sie sorge und denke, wie er, obgleich bedeutend älter und sehr ernst, sich bemühe, auf ihre kleinen Liebhabereien und Eigenheiten einzugehen. Sie erzählte ferner, daß er die Besitzung Lindhof einzig aus dem Grunde gekauft, weil die Schwester bei einem längeren Besuche am Hofe zu L. gefunden habe, die Thüringer Luft wirke ganz besonders wohlthätig auf ihren leidenden Zustand. Aus allem ging hervor, daß er Helene zärtlich lieben müsse.

      Eines Nachmittags, als ungewöhnlich lange musiziert worden war, trat ein Bedienter ein und meldete Besuch.

      »Bleiben Sie heute abend bei mir zum Thee,« sagte Fräulein von Walde zu Elisabeth. »Mein Arzt aus L. ist gekommen, und es haben sich auch einige Damen aus der Nachbarschaft melden lassen. Ich werde jemand hinaufschicken zu Ihrer Mama, damit sie sich über Ihr Ausbleiben nicht ängstigt. Mein Zwiegespräch mit dem Doktor wird nicht lange dauern, bald bin ich wieder bei Ihnen.«

      Damit ging sie hinaus. Es waren kaum zehn Minuten vergangen, als die Thür sich wieder öffnete und Fräulein von Walde am Arme eines Herrn eintrat, den sie Elisabeth als Herrn Doktor Fels aus L. vorstellte. Er war ein stattlicher Mann mit einem geistvollen Gesichte, der sich bei Nennung ihres Namens sogleich lebhaft an Elisabeth wandte und ihr in ergötzlicher Weise erzählte, wie er sowohl, als die ganze ehrsame Bewohnerschaft von L. des Erstaunens und Entsetzens kein Ende gewußt hätten, als es laut geworden sei, daß das alte Gnadeck wieder Bewohner und zwar aus Fleisch und Bein beherberge.

      Plötzlich rauschte es im Nebenzimmer, und gleich daraus erschienen zwei weibliche Gestalten, eine alte und eine jüngere, von etwas absonderlichem Aeußeren, in der Thür. Die große Aehnlichkeit in den Gesichtszügen ließ sogleich erkennen, daß die Eingetretenen Mutter und Tochter seien. Beide trugen dunkle Kleider, die gegen die herrschende Mode lang und schlaff auf den Boden fielen, große Mantillen von schwarzem Wollstoffe und braune, runde Strohhüte, die bei der Mutter mit einer schwarzen, bei der Tochter dagegen mit einer lila Schleife unter dem Kinn gebunden waren.

      Helene von Walde begrüßte die Damen als Frau und Fräulein von Lehr, und Elisabeth erfuhr später, daß sie, in L. wohnhaft, den Sommer gewöhnlich im Dorfe Lindhof zuzubringen pflegten, wo sie sich in einem Bauernhause eingemietet hatten.

      Unmittelbar nach den Eingetretenen kam die Baronin Lessen am Arme ihres Sohnes und. von einem Herrn begleitet, der von den Anwesenden als Herr Kandidat Möhring angeredet wurde.

      Die Baronin war dunkel, aber mit ausgesuchtester Eleganz gekleidet; sie sah imposant aus. Auf der Schwelle blieb sie einen Augenblick stehen und schien sehr unangenehm überrascht durch Elisabeths Anwesenheit. Sie maß das junge Mädchen mit einem hochmütig fragenden Blicke und erwiderte ihre Verbeugung mit einem kaum bemerkbaren Kopfnicken.

      Helene hatte den Blick aufgefangen und trat ihr näher, in dem sie begütigend flüsterte. »Ich habe meinen kleinen Liebling heute hier behalten, weil es durch mein Verschulden doch gar zu spät geworden war.«

      Elisabeths feinem Ohre entging jedoch diese Entschuldigung nicht. Sie war empört und wäre am liebsten durch das Fenster geflohen, in dessen Nische sie stand, hätte nicht gerade der Stolz ihr geboten, zu bleiben und dem Hochmut der Baronin die Stirn zu bieten. Diese schien indes durch die Sühne des hinter ihrem Rücken begangenen Verbrechens zufriedengestellt zu sein. Sie nahm Helene in ihre Arme, streichelte zärtlich ihre Locken und sagte ihr tausend Schmeicheleien. Dann forderte sie die Anwesenden auf, ihr in das Nebenzimmer zu folgen, wo serviert sei. Sie machte die Honneurs am Theetische und entwickelte dabei die allerdings nicht wegzuleugnende Gabe, das Gespräch in Atem zu erhalten. Mit bewunderungswürdigem Geschick wußte sie es außerdem einzurichten, daß Helene stets der Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeiten blieb, ohne daß die anderen dadurch irgendwie hätten verletzt werden können.

      Elisabeth saß schweigend zwischen dem Arzte und Fräulein von Lehr. Die Unterhaltung hatte im ganzen für sie wenig Interesse, da sie sich hauptsächlich um ihr ganz fremde Persönlichkeiten und Verhältnisse drehte. Frau von Lehr erzählte viel und schien sehr unterrichtet von allem, was während der letzten Wochen, gleichviel ob von den Betreffenden geheim gehalten oder öffentlich ausgesprochen, in der Umgegend von Lindhof geschehen war. Sie sprach dabei in eigentümlich klagenden, gehaltenen Tönen und senkte jedesmal beim Schlusse irgend einer empörenden Neuigkeit demütig und sanft das ausgetrocknete Eulengesicht,


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