Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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näheres über das Kind erfahren. In dem Wickelkissen hat auch ein Beutelchen mit etwas Geld gesteckt. Die Jägersfrau ist sonst ein gutes Weib gewesen, und als sie gehört hat, daß der Knabe von christlichen Eltern und wahrscheinlich ein ehrlich Soldatenkind sei, das wohl die Eltern ausgesetzt hatten, um es nicht in die Gefahren des Krieges zu bringen, da hat sie ihn an ihr Herz genommen und mit ihrem kleinen Mädchen aufgezogen, als ob sie Geschwister seien. Und das war sein Glück, denn es hat sich keine Menschenseele von seinen Verwandten wieder um ihn gekümmert. Später hat ihn sein Pflegevater adoptiert, und um sein Glück vollzumachen, hat er auch sein schönes Milchschwesterlein heimführen dürfen. Er sowohl wie auch sein Sohn und ein Enkel haben als Jäger der von Gnadewitz in meiner jetzigen Wohnung darin gelebt und sind auch darin gestorben. Erst mein Großvater ist auf die Besitzung nach Schlesien versetzt worden … Als Knabe ärgerte ich mich immer unbeschreiblich, daß nicht nach so und so viel Jahren eine gräfliche Mutter aufgetaucht war, die in dem Findlinge ihr durch Bosheit geraubtes Kind erkannt und ihn triumphierend in ihr Schloß zurückgeführt hatte. Diese fehlende romantische Wendung im Geschicke unseres Ahnherrn habe ich freilich später um so lieber verschmerzt, als mir der Gedanke kam, daß mein Erscheinen auf dieser schönen Welt dann doch vielleicht ein sehr zweifelhaftes sei; auch gefiel mir mein wackerer Name zu gut, als daß ich einen anderen hätte führen mögen … Aber wunderbar war mir doch zu Mute, als ich zum erstenmal die Schwelle überschritt, auf welcher der kleine Ausgesetzte wohl den hilflosesten Augenblick seines Lebens verbringen mußte; seine natürlichen Versorger hatten ihn verlassen, und das Mitleid hatte ihre Stelle noch nicht eingenommen … Der tief ausgetretene Stein ist ohne Zweifel noch derselbe, auf dem das Kind gelegen hat, und solange ich lebe oder in dem Hause etwas zu sagen habe, soll er nicht von seiner Stelle gerückt werden.«

      Plötzlich beugte sich der Oberförster vor und deutete durch die Zweige, denn man fuhr bereits im Walde.

      »Siehst du dort den weißen Punkt?« fragte er.

      Der weiße Punkt war die Haube Sabines, welche vor der Thür saß und nach den Rückkehrenden ausschaute. Als sie des Wagens ansichtig wurde, stand sie eiligst auf, schüttelte den Inhalt ihrer Schürze, der sich später als eine Menge Vergißmeinnicht auswies, in einen neben ihr stehenden Korb und half Elisabeth beim Aussteigen.

      Der Braune trabte wiehernd hinter das Haus, wo bereits der Knecht in dem offenen Hofthore wartete, und das Thier mit einem liebkosenden Schlage empfing. Hektor legte sich schwanzwedelnd auf den Rasen nieder, und die durch den Lärm verjagten Tauben und Spatzen kehrten nach und nach zurück und hüpften zutraulich auf den Tisch und die grün angestrichene Bank unter der Linde, wo der Oberförster sein Frühstück und Abendbrot einzunehmen pflegte, und das wußten die kleinen Schmarotzer sehr genau. Er ging auch nur in das Haus, um seine Uniform mit einem bequemen Hausrocke zu vertauschen, und kehrte bald mit Pfeife und Zeitungen unter die Linde zurück, wo Sabine bereits gedeckt hatte.

      »Gelt, das ist auch ein närrischer Sonntagszeitvertreib für so ein altes Weibsbild, wie ich bin?« sagte die Haushälterin im Vorübergehen lachend zu Elisabeth, die, auf der nun so interessant gewordenen Thürschwelle sitzend, den Korb mit den Blumen auf den Schoß genommen hatte und an dem Kranze weiterflocht, den die Alte angefangen. »Aber ich bin das nun einmal so gewöhnt von meiner Jugendzeit her. Da hab’ ich zwei kleine schwarze Bildchen in meiner Kammer – sie stellen meine seligen Eltern vor; die habend wohl um mich verdient, daß ich ihr Andenken ehre und ihnen ein frisches Kränzchen hinstelle, solange es ›Blümelein‹ gibt. Ein paar Kinder aus Lindhof bringen mir jeden Sonntag frische; heute aber hab ich so viel bekommen, daß auch ein Kranz für Goldelschen abfällt – wenn Sie den in einen Teller voll Wasser legen, da haben Sie die ganze Woche etwas Schönes vor Augen.«

      Noch eine Zeitlang saß heute abend Elisabeth mit dem Onkel zusammen. In dem Oberförster waren eine Menge Erinnerungen wach geworden. Mit dem Erzählen der zweihundertjährigen Familiengeschichte waren auch viele Entschlüsse, Pläne und Empfindungen seiner Jugendzeit aufgetaucht, die er jetzt mitleidig lächelnd an sich vorübergehen ließ; sie waren samt und sonders vor dem reellen Leben zerstoben, wie Spreu im Winde. Er erzählte behaglich, wie einer, der auf sicherem Lande steht und nur von fern noch das Rauschen der Brandung hört, die ihm nichts mehr anhaben kann. Manchmal fiel auch ein Witzwort oder eine Neckerei dazwischen, die von Elisabeth oder Sabine, wem es gerade galt, gehörig pariert und zurückgegeben wurden.

      Mittlerweile flog ein heller Schein hinter den Baumwipfeln auf, die erst gestaltlos mit dem dunklen Himmel vermischt, jetzt in scharfen Umrissen auf dem lichten Hintergrunde erschienen. Einzelne Lichter zuckten wie silberne Pfeile durch gekreuzte Aeste und blieben als kleine Lichtoasen eine Zeit lang unbeweglich auf der nachtdüsteren Wiese liegen, bis endlich der Mond groß und siegreich über den Baummassen schwebte und seinen bleichen Strahl ungehindert über sie herfließen ließ. Das leichte Abendlüftchen hatte längst seine Flügel zusammengefaltet; man hätte den Schatten der Lindenblätter auf dem hellbeleuchteten Rasen nachzeichnen können, so unbeweglich hingen sie droben. Desto vernehmlicher drang das Brunnengeplätscher aus dem Hofe über das Haus herüber und ein schwaches, unbestimmtes Geräusch von den Wäldern her, was Elisabeth ›das schlaftrunkene Regen‹ des Waldes nannte.

      »Da,« sagte Sabine und drückte den eben fertiggewordenen Vergißmeinnichtkranz auf Elisabeths Stirn. »So bringen Sie ihn unzerdrückt heim.«

      »Da mag er auch bleiben,« meinte lachend das junge Mädchen und erhob sich. »Schönen Dank für die Spazierfahrt! … Gute Nacht, Onkel! Gute Nacht, Sabine!«

      Damit eilte sie durch Haus und Hof und stand bald droben auf dem Berge außerhalb des Gartens, dessen Thür sie zuschlug. Sie flog auf dem schmalen, mondbeglänzten Waldwege aufwärts. Droben im Wohnzimmer brannte die Lampe, der Lichtschimmer war trotz der Mondbeleuchtung weithin sichtbar, weil die Front des Zwischenbaues im tiefen Schatten lag. Als sie auf die Waldblöße heraustrat, fiel ein merkwürdiger Schatten quer über ihren Weg … das war weder ein Baum noch ein Pfahl, sondern eine fremde Männergestalt, die seitwärts gestanden hatte und jetzt zu ihrem Schrecken auf sie zuschritt. Die Erscheinung nahm höflich den Hut ab, und in dem Augenblicke verschwand Elisabeths Furcht, denn sie blickte in das lächelnde, gutmütige Gesicht eines ältlichen, feingekleideten Herrn.

      »Verzeihung, mein Fräulein, wenn ich Ihnen vielleicht einen kleinen Schrecken eingejagt habe,« sagte er und blickte freundlich über zwei große, funkelnde Brillengläser hinweg in ihr Gesicht, »aber ich habe es weder auf Ihr Leben noch auf Ihre Börse abgesehen und bin nichts weiter als ein heimkehrender, friedlicher Reisender, der gern wissen möchte, was es mit dem Lichte da droben in den Ruinen für ein Bewenden hat … Ich überzeuge mich übrigens in diesem Augenblicke, daß es ganz überflüssig war, zu fragen … Die Feen und Elfen führen dort ihren Reigen auf, und die Schönste streift im Walde umher, um keinen ungestraft des Weges ziehen zu lassen, der ihren gefeiten Ring betritt.«

      Der galante Vergleich, so abgenutzt er übrigens auch sein mochte, war doch in diesem Augenblicke nicht übel angewendet, denn die schlanke Mädchengestalt im weißen Gewande, den blauen Kranz über dem engelschönen Gesichte und vom Mondlichte umflossen, konnte recht wohl für eine Märchenerscheinung gelten, als sie so leicht durch die Gebüsche über den einsamen Berg dahinflog.

      Sie selbst aber lachte innerlich über das seichte Kompliment und dachte zugleich ein wenig entrüstet, sie sehe doch wahrhaftig nicht so leichtfertig aus wie solch ein quecksilbernes Elfenkind, und das wollte sie dem alten Herrn auf der Stelle klarmachen.

      »Es thut mir leid,« sagte sie leicht, »daß ich Sie in die rauhe Wirklichkeit zurückführen muß, aber ich wüßte wahrhaftig nicht, wie ich es anfangen sollte, dort in dem Lichte etwas anderes zu sehen, als die respektable Lampe in der gemütlichen Stube eines fürstlich L.schen Forstschreibers.«

      »Ei,« lachte der Herr, »und haust der Mann ganz allein in den unheimlichen alten Mauern?«

      »Er könnte es getrost wagen, denn über den, der den rechten Weg wandelt, haben die ›Unheimlichen‹ keine Gewalt … Uebrigens leisten ihm noch einige lebende Wesen Gesellschaft, unter anderen auch zwei gutgeartete Ziegen und ein allerliebster Kanarienvogel; die Eulen ungerechnet, die sich jedoch sehr indigniert ins Privatleben zurückgezogen haben, weil sich das Treiben lustiger Menschenkinder nicht mit der


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