Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt
… Er wiederholte seine Weigerung von früher, und zwar in so anzüglicher Weise, daß ich ganz außer mir bin. Für halbwüchsige Jungen, wie sein Moritz, halte er derartige Mitwirkung unter Erwachsenen für gänzlich unpassend; sie bekämen leicht eine hohe Meinung von ihrer kleinen Persönlichkeit, würden zerstreut, von ihren Schularbeiten abgezogen, und Gott weiß, was alles … Ich hätte auch besser gethan, meinte er hochweise, wenn ich heute abend meinen leidenden Mann – ich bitte euch, leidend, er ist bis auf ein bißchen Rheumatismus gesund wie ein Fisch im Wasser – also, wenn ich ihm heute abend ein Lieblingsgericht vorgesetzt hätte, statt ihn mit der Mummerei zu quälen, die ihn nur um die nötige Nachtruhe und Bequemlichkeit bringe, und aus der doch im ganzen Leben nichts Gescheites werde.«
»Welche Roheit! … Wie gemein! … Er spielt sich immer auf den Kunstrichter, und versteht nicht so viel davon, wie mein kleiner Finger!« hallte es in wildem Durcheinander von den Lippen der Damen.
»Tröste dich mit mir, liebe Adele,« sagte die Ceres. »Wäre mein Mann nicht, der Fels als Arzt nicht entbehren kann, mein Haus dürfte er schon längst nicht mehr betreten … Als ich vorigen Winter die Kindermaskerade arrangierte – die doch gewiß reizend ausgefallen ist – da hat er die Einladung für seine Kinder zurückgewiesen; und was sagte er mir, als ich ihn persönlich um Erlaubnis für seine kleinen Mädchen bat? ›Ob es denn mir wirklich Spaß mache, eine Affenkomödie zu sehen‹ – das vergesse ich ihm nie.«
Vor Elisabeth tauchte plötzlich das geistreiche Gesicht des Doktors auf, mit dem durchdringenden, sarkastisch lächelnden Blicke und dem übermütigen Zuge des Spottes um die seinen Lippen. Sie mußte innerlich lachen über seine derben Ausfälle; aber es drängte sich ihr dabei auch der niederschlagende Gedanke auf, wie schwer es doch oft dem Menschen gemacht werde, seinen Ansichten gemäß zu handeln.
»Ach, was wollen Sie, Frau Direktor!« eiferte Flora, eine überaus zarte, schmächtige Erscheinung mit einem schönen, aber todbleichen Gesichte, die sich bis dahin einzig und allein damit beschäftigt hatte, ihr blumengeschmücktes Bild im gegenüberhängenden Spiegel anzulächeln. »Uns hat er’s nicht besser gemacht … Meinen Eltern hat er vor zwei Jahren geradezu ins Gesicht gesagt, es sei nicht allein Thorheit, sondern sogar eine Gewissenlosigkeit – denken Sie – mich, bei meiner Konstitution, so früh auf den Ball zu führen … Papa und Mama waren außer sich – als ob sie als Eltern nicht am besten wissen müßten, was ihren Kindern dienlich … Nun, es ist nur gut, daß man weiß, was ihn zu dieser Fürsorge bewogen hat. Seine jüngste Schwester war damals noch nicht verheiratet, und solchen ist das Erscheinen des Nachwuchses auf den Bällen nie angenehm. Papa hätte damals dem Doktor sogleich den Abschied gegeben; allein Mama kann ohne seine Mittel nicht sein … Nun, man hat zum Glück nicht auf seine Ratschläge gehört, und wie Sie sehen, lebe ich noch!«
Das Schweigen sämtlicher Damen bestätigte Elisabeths Ueberzeugung, daß dieser Triumph ein sehr zweifelhafter sei, und daß dies zarte Wesen mit seiner schmalen eingesunkenen Brust und der krankhaften Gesichtsfarbe das Nichtbeachten des ärztlichen Rates noch schwer werde büßen müssen.
Plötzlich zog eine, die Straße langsam herabrollende Equipage die Damenschar an die Fenster. Elisabeth konnte von ihrem Sitze aus die Straße und mithin auch den Gegenstand der allgemeinen Neugierde übersehen. In dem eleganten Wagen saßen die Baronin Lessen und Fräulein von Walde. Letztere hatte das Gesicht herüber nach dem Hause des Assessors geneigt, und es sah aus, als ob sie gewissenhaft alle Fenster des Erdgeschosses zähle. Die Wangen waren leicht gerötet, bei ihr stets ein Zeichen innerer Erregung. Die Baronin dagegen lehnte nachlässig im Fond; für sie schienen weder Häuser noch Menschen in der Straße zu sein.
»Die Lindhofer Damen,« sagte Ceres. »Aber mein Gott, was soll denn das heißen? … Sie ignorieren ja förmlich die Fenster des Doktor Fels… . Dort steht die Doktorin … ha, ha, ha, seht nur das lange Gesicht, das sie macht; sie hat zu grüßen versucht; aber die Damen haben leider am Hinterkopfe keine Augen!«
Elisabeth sah nach dem gegenüberliegenden Hause. Dort stand eine sehr hübsche Frau, ein reizendes Blondköpfchen auf dem Arme, am Fenster. Es lag allerdings einiges Befremden in den schönen blauen Augen, die dem Wagen folgten; aber lang war das blühende Oval ihres Gesichts durchaus nicht geworden. Durch eine Bewegung des Kindes veranlaßt, das seine Händchen nach den seltsam geschmückten Damenköpfchen im Assessorhause streckte, sah sie herüber und nickte schelmisch lächelnd den Damen zu, die den freundlichen Gruß mittels Kußhänden und allerhand zärtlichen Pantomimen erwiderten.
»Sonderbar,« sagte die Assessorin. »Was nur die beiden Damen haben mochten, daß sie ohne Gruß nach da drüben vorübergefahren sind! Bis jetzt haben sie noch nie die Straße passiert, ohne daß der Wagen gehalten hätte. Die Doktorin stand dann halbe Stunden lang am Wagenschlage, und Fräulein von Walde schien sich sehr in der Unterhaltung mit ihr zu gefallen … die Baronin machte freilich manchmal ein saures Gesicht … Wirklich merkwürdig; nun, die Zukunft wird ja zeigen, was dahinter steckt.«
»Herr von Hollfeld muß wohl in Odenberg geblieben sein. Er war heute morgen mit den Damen, als der Wagen bei uns vorüberfuhr,« sagte Diana.
»Wie wird Fräulein von Walde die Trennung ertragen?« meinte Flora spöttisch lächelnd.
»Steht es denn so mit den beiden?« fragte die Assessorin.
»Nun, wenn du das noch nicht weißt, Kind!« rief Ceres. »Wie er denkt und fühlt, darüber suchen wir freilich noch Aufklärung, daß sie ihn aber leidenschaftlich liebt, steht außer allem Zweifel. Es ist übrigens fast mit Gewißheit anzunehmen, daß diese Neigung einseitig ist; denn, ich bitte euch, wie ist es möglich, daß ein so entsetzlich verkrüppeltes Wesen Liebe einzuflößen vermag! … Und nun gar einem so eiskalten Menschen wie Hollfeld, der an den größten Schönheiten ungerührt vorübergeht!«
»Ja, das ist wahr,« bemerkte Venus mit einem Blicke nach dem Spiegel, den aber Flora, trotz ihrer Magerkeit, anmaßenderweise vollständig in Beschlag genommen hatte. »Aber Fräulein von Walde ist enorm reich.«
»Nun, den Reichtum kann er billiger haben,« sagte Flora überlegen. »Er ist ja doch der mutmaßliche Erbe der beiden Geschwister.«
»Der Schwester, willst du sagen,« verbesserte die Assessorin. »Herr von Walde ist doch noch nicht zu alt zum Heiraten?«
»Ach, gehe mir doch mit dem!« rief Ceres erzürnt. »Die Frau müßte erst noch geboren werden oder geradezu vom Himmel niedersteigen, die dem zusagen sollte … Der ist aus lauter Hochmut zusammengesetzt und hat noch weniger Herz als sein Vetter … Was habe ich mich als Mädchen über den geärgert, wenn er bei den Hofbällen in der Thür lehnte, die Arme verschränkt, als wären sie zusammengewachsen, und vornehm auf die Versammlung herabsah! Nur wenn er von der Fürstin oder den Prinzessinnen zum Tanzen befohlen wurde, rührte er sich von der Stelle; und auch da hielt er’s nicht der Mühe wert, zu verbergen, daß er für diese Ehre keinen Pfifferling gebe … Nun, wie er in Bezug auf diejenige denkt, der er den stolzen Namen der Frau von Walde zu Füßen legen würde, das wissen wir ja, er hat’s rund heraus erklärt. Ahnen, Ahnen muß sie haben und ihren Stammbaum womöglich vom Männlein und Fräulein in der Arche Noah herleiten können.«
Alle lachten, nur Elisabeth blieb ernst. Fräulein von Waldes Benehmen hatte einen tiefen Eindruck auf sie gemacht. Sie war empört und fühlte ihre Ansichten vom menschlichen Charakter gedemütigt … War eine solche Wandlung in wenig Stunden wohl möglich? … Für andere mit weniger idealer Anschauung wäre der unbegreifliche Zauber, den die Baronin Lessen auf Helene von Walde ausübte, sofort aufgeklärt worden durch den Ausspruch der Damen, daß das junge Mädchen den Sohn der Baronin liebe – für Elisabeth jedoch nicht. Jenes erhabene Gefühl, das die Dichter aller Zeiten und Zonen begeistert als das Lieblichste und Herrlichste auf Erden feierten, konnte doch unmöglich zur Triebfeder unedler Handlungen werden; ebensowenig konnte sie aber auch begreifen, wie Herr von Hollfeld ein solches Gefühl einzuflößen vermochte. Hier betrat sie den einseitigen Standpunkt, auf welchem wir nach unserer Individualität die Neigung anderer bemessen; aber war es der Instinkt der edlen weiblichen Natur oder in der That jener seltene scharfe Blick, für den die Linien der Physiognomie mit den Fäden der Seele so eng verwebt sind, daß er sie verfolgen kann bis