Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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ihr die Tochter schicke, deshalb sei sie gezwungen, ein öfteres Wechseln der Stellung, der pekuniären Verluste wegen, zu vermeiden … So betrübt sie nun aber auch meist war, ihre sanften Züge hellten sich ganz gewiß auf, wenn Elisabeth den Kopf durch die Thür steckte und mit ihrer fröhlich frischen Stimme hereinrief, ob sie kommen dürfe. Mit dem Eintritte des jungen Mädchens flohen die Bekümmernisse und Sorgen, und wenn sie auf dem kleinen Sofa am Fenster dicht nebeneinander saßen, so fand ein Gedankenaustausch zwischen den beiden statt, bei dem die Gouvernante sich in die eigene Jugend zurückversetzt fühlte, und Elisabeth manchen Schatz hob aus den reichen Kenntnissen und Lebenserfahrungen der älteren Freundin.

      Diese kleinen Nachmittagsbesuche hatten aber auch noch einen geheimen Reiz für das junge Mädchen, den sie sich aber um alles in der Welt nicht eingestand, obgleich sie infolge desselben schon vor der Thür ein starkes Herzklopfen zu bekämpfen hatte und ein unerklärliches Gemisch von Freude und Bangen empfand.

      Die Fenster von Miß Mertens’ Wohnung sahen in einen großen Hofraum, den Elisabeth den Klostergarten zu nennen pflegte, denn er lag so still und abgeschieden zwischen den vier hohen Mauern. Einige breitästige Linden warfen eine grüne Dämmerung auf die saftigen Rasenplätze, die nur hier und da ein gepflasterter Weg durchschnitt. Inmitten des Hofes befand sich ein Brunnen, der das Haus mit einem köstlichen Wasser versorgte; auf dem Rande des mächtigen Bassins ruhten die weißen Glieder einiger Sandsteinfiguren, umhaucht von dem grünen Lichte der Wipfel droben. Wenn draußen aus den Bosketts und Kieswegen die Nachmittagssonne glühend und träge lastete, wie flüssiges Blei, dann wehte hier unter den Bäumen eine erfrischende Kühle. Eine Thür im Erdgeschosse, die unmittelbar aus dem Arbeitskabinett des Herrn von Walde in den Hof führte, stand deshalb auch meist offen. Er selbst trat dann und wann heraus und schritt mit gekreuzten Armen auf und ab … Welcher Gedankenstrom mochte dann wohl hinter der schönen, bleichen Stirn fluten, wenn er, eine Zeitlang gesenkten Hauptes dahinwandelnd, plötzlich sich aufrichtete, wie aus einem lieblichen Traume aufgeschreckt? Miß Mertens sagte öfter, sie finde, daß er sehr verändert zurückgekehrt sei.

      Vor seiner Reise, erzählte Miß Mertens, sei ihr Herrn von Waldes Gesicht vorgekommen, wie das einer Statue, so ernst und unbewegt, und obgleich sie schon damals erkannt habe, daß er ein durchaus edler Mensch sein müsse, sei sie doch stets in seinem Nähe von einer Eiskälte überschlichen worden. Jetzt käme es ihr vor, als habe eine lebenerweckende Hand über seine Erscheinung hingestreift; selbst sein Gang sei elastischer und rascher geworden, und sie wolle darauf schwören, daß bei seinen einsamen Wanderungen durch den Hof öfter ein Lächeln über seine Züge gleite, als tauche irgend ein Wesen vor ihm auf, dessen Anschauen ihn glücklich mache. Bei dieser Bemerkung lächelte Miß Mertens selbst und meinte geheimnisvoll, er habe auf alle Fälle sehr angenehme Erinnerungen mit heimgebracht, und sie könne die stille Ahnung nicht unterdrücken, als müsse binnen kurzem alles anders werden in Lindhof. Sie sah aber nie, daß ihre junge Freundin bei dieser Schlußfolgerung stets mit der Hand nach dem Herzen griff, und diese selbst bemerkte es noch viel weniger, denn der schmerzliche Stich, der schneidend ihr Inneres durchdrang, ließ sie ganz und gar vergessen, ihre äußeren Bewegungen zu beherrschen.

      Die stillen Spaziergänge unter den Linden wurden aber auch öfter unterbrochen, und zwar durch die Leute, die irgend ein Anliegen vorzubringen hatten. Dann kamen die Arbeiter und Geschäftsleute, aber auch die Unglücklichen und Bedürftigen. Zagend schritten die letzteren, vom Bedienten angewiesen, die Stufen herab und standen dann meist mit gesenktem Kopfe vor der gebietenden Gestalt des Herrn, der sie mit milder Stimme aufforderte, zu sprechen, und sich gütig zu ihnen herabbog, um keines ihrer geflüsterten Worte zu verlieren. Sie verließen ihn stets gehoben und getröstet; denn diejenigen, die seiner Hilfe nicht würdig waren, wagten schon gar nicht, ihm unter die Augen zu treten.

      Heute hatte Elisabeth ihre Wanderung ins Thal eine halbe Stunde früher angetreten. Der Vater war nämlich mittags, als er aus dem Forsthause zurückkehrte, Miß Mertens im Walde begegnet. Sie hatte sehr verweint ausgesehen und war augenscheinlich im Momente außer stande gewesen, zu sprechen, denn sie hatte ihm nur einen Gruß zugenickt und war rasch weiter gegangen. Diese Nachricht ließ Elisabeth keine Ruhe; um keinen Preis hätte sie mit ihrem Besuche bei der Gouvernante bis nach Beendigung der Stunde warten können; das arme einsame Wesen brauchte sicher Trost und ein Herz, an dem es sich ausweinen konnte.

      Jenseits der großen Wiese, die an den Saum des Waldes stieß, lag ein allerliebster Pavillon. Ein dunkles Gebüsch umschloß den zierlichen Bau von drei Seiten und ließ die helle Fronte um so leuchtender hervortreten. Das kleine Haus hatte bisher verschlossen gestanden; die Läden waren jedoch meist zurückgeschlagen und durch den Spalt, den ein verschobenes Rouleau bildete, hatte Elisabeth gesehen, daß der innere Raum sehr elegant eingerichtet war. Als sie heute aus dem Walde trat, sah sie sogleich, daß die Thüren des Pavillons offen standen. Ein Bedienter mit einem leeren Präsentierteller trat heraus und winkte ihr, hinüber zu kommen. Beim Näherschreiten erkannte sie bald Fräulein vom Walde, die Baronin und Hollfeld, die den Kaffee tranken in dem einzigen Zimmer, aus welchem der Pavillon bestand.

      »Sie kommen heute ein wenig zu früh, liebes Kind!« sagte Helene, als das junge Mädchen über die Schwelle trat.

      Elisabeth sagte ihr, daß sie Miß Mertens zuvor einen Besuch machen wolle.

      »Ach, lassen Sie das heute!« rief Helene lebhaft, aber sehr verlegen, während die Baronin mit einem unbeschreiblich maliziösen Lächeln von ihrer Häkelarbeit aufsah. »Wissen Sie, daß diesen Morgen ein großes Paket neuer Musikalien aus Leipzig angekommen ist?« fuhr Fräulein von Walde fort. »Ich habe sie schon ein wenig durchgestöbert, meist prächtige Sachen. Vielleicht finden wir noch eine brillante Piece für unser Konzert … Setzen Sie sich; wir gehen dann zusammen ins Schloß.« Sie bot Elisabeth ein Körbchen mit Kuchen und legte ihr eine schöne Birne auf den Teller.

      Herrn von Waldes Hund sprang in diesem Augenblicke über die Schwelle. Sofort richteten sich beide Damen aus ihrer bisherigen Stelle auf. Helene blickte gespannt nach der Thür und gab sich offenbar die größte Mühe, so freundlich und harmlos wie möglich auszusehen. Die Baronin aber warf ihre Arbeit in den Korb; sie untersuchte die silberne Kaffeekanne, ob sie noch heiß sei, stellte eine Tasse nebst Zuckerschale zurecht und zog einen Stuhl aus der Ecke an den Tisch. Das impertinente Lächeln war verschwunden, dafür lagerte sich ein gewisser Ernst auf ihre Stirn, und die ganze Erscheinung präparierte sich, einen würdevollen und imposanten Eindruck zu machen. Hollfeld eilte beim Erblicken des Hundes sogleich hinaus in den Garten und trat nach wenigen Minuten mit Herrn vom Walde wieder ein, der, wie es schien, von einem Ausfluge zurückkam, denn er trug einen staubgrauen Ueberzieher und einen runden Filzhut.

      »Wir haben schon gefürchtet, lieber Rudolf,« rief Helene ihm entgegen, während sie sich erhob und ihm die Hand hinreichte, »dich für heute ganz entbehren zu müssen.«

      »Ich fand in L. mehr Geschäfte vor, als ich erwartet hatte,« erwiderte er und setzte sich nicht auf den ihm gebotenen Stuhl, sondern neben seine Schwester auf das Sofa, wodurch Elisabeth gezwungen wurde, sobald sie die Augen erhob, ihm in das Gesicht zu sehen, denn er saß ihr gerade gegenüber. »Uebrigens,« fuhr er fort, »bin ich schon seit einer halben Stunde wieder zurück; allein Reinhard hatte mir eine Privatangelegenheit mitzuteilen und verlangte eine sofortige Entscheidung von mir… deshalb wäre ich beinahe um das Vergnügen gekommen, den Kaffee bei der zu trinken, liebe Helene.«

      »Der böse Reinhard,« schmollte Fräulein von Walde, »er hätte auch ein wenig warten können, die Welt würde ja wohl nicht gleich aus den Fugen gegangen sein.«

      »Ach, liebes Kind,« seufzte die Baronin, »das sind Dinge, die wir nie ändern werden … Wir sein eben für unser ganzes Leben verurteilt, die Sklaven unserer Untergebenen zu sein.«

      Herr von Walde wendete ruhig den Kopf nach ihr und ließ seinen Blick langsam über ihre Gestalt gleiten.

      »Nun, weshalb fixierst du mich so angelegentlich, lieber Rudolf?« fragte die Baronin nicht ohne einen Anflug von Verlegenheit.

      »Ich wollte mich nur überzeugen, ob du in der That geeignet seiest, eine jener traurigen Rollen in Onkel Toms Hütte durchzuführen.«

      »Stets Spott, wo ich Teilnahme suche,« entgegnete die


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