Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt
unbekannten Kreise und –«
»Hat mein Bruder Sie frei gegeben?« wandte sich Fräulein von Walde an Elisabeth, ohne die Baronin ausreden zu lassen.
»Ja,« antwortete das junge Mädchen, »und ich bitte auch Sie, mir zu erlauben, daß ich mich entfernen darf.«
Während dieses kurzen Wortwechsels bog sich die Oberhofmeisterin zurück und musterte Elisabeth von Kopf bis zu den Füßen mit ihren kalten, stechenden Augen; Hollfeld aber stand auf und entfernte sich, ohne ein Wort zu sagen. Fräulein von Walde sah ihm mit einer Art von schmerzlichem Unwillen nach und antwortete im ersten Augenblicke gar nicht auf Elisabeths Bitte; endlich reichte sie ihr sichtlich zerstreut die Hand und sagte. »Nun, da gehen Sie, liebes Kind, und haben Sie vielen Dank für Ihre heutige freundliche Mitwirkung.«
Elisabeth verabschiedete sich noch rasch von Doktor Fels und Frau und schritt dann mit erleichtertem Herzen in den Wald hinein.
Sie atmete auf, als das Gewühl hinter ihr lag, als ein rauschender Akkord den Walzer schloß, dessen jubelnde Töne sie noch eine Weile begleitet hatten … Jetzt durfte sie sich ungestört dem Zauber hingeben, der ihrem ganzen Denken und Sinnen einen süßen Bann auferlegte, der sie zwang, immer wieder auf jene längst verhallte Stimme zu hören, die mit ergreifendem Klange ihr Herz bestrickte, und vor welcher alle Vorsätze ihres Mädchenstolzes, alle Vorsichtsmaßregeln des Verstandes haltlos verwehten … Sie dachte daran, wie sie zuerst ihm widerstandslos gefolgt war, obgleich ihr tief gekränktes Ehrgefühl ihr gebot, den Kreis, in welchem sie so unwillkommen erschien, zu verlassen; sie empfand noch einmal jene Glückseligkeit, mit der sie an seine Seite geeilt war, als er es vor allen Anwesenden betont hatte, daß er ihr für heute angehöre und keine Stellvertreterin für sie wolle. Er hätte sie bis an das Ende der Welt führen können, sie wäre ihm blindlings gefolgt mit unerschütterlichem Vertrauen und der vollsten Hingabe ihres ganzen Wesens … Und ihre Eltern? … Jetzt begriff sie, wie eine Jungfrau das Vaterhaus verlassen könne, um einem Manne anzugehören, dessen Lebensbahn bis dahin, fernab von der ihrigen, über vielleicht ganz entgegengesetztes Gebiet gelaufen war, der nichts wußte von all jenen Neigungen, Beziehungen, großen und kleinen Ereignissen, durch die jede Faser ihres bisherigen Lebens mit dem ihrer gesamten Familie innig verwebt wurde. Noch vor zwei Monaten war ihr das ein unlösbares Rätsel gewesen.
Sie hatte einen Weg betreten, den sie oft in Miß Mertens’ Gesellschaft zurückgelegt hatte. Er mündete, in zahllosen Windungen schmal durch das Dickicht laufend, an der Chaussee, die den Wald durchschnitt und eine Strecke lang die Grenze zwischen dem Fürstlich L.schen Forstgebiete und dem des Herrn von Walde bildete; jenseits der Chaussee, dem Fußwege gegenüber, öffnete sich die breite Fahrstraße, die nach dem Forsthause lief.
In ihre Träumerei versenkt, hatte Elisabeth nicht gehört, daß schon längst rasche Schritte ihr folgten; deshalb erschrak sie jetzt doppelt, als dicht in ihrer Nähe ihr Name in einer männlichen Stimme genannt wurde – Hollfeld stand hinter ihr. Sie ahnte, was ihn hierher führte, sie fühlte ihr Herz klopfen, aber sie faßte sich schnell und trat ruhig seitwärts, um ihn auf dem schmalen Wege vorüber zu lassen.
»Nein, so ist es nicht gemeint, Fräulein Ferber,« sagte er lächelnd und in einem eigentümlich vertrauten Tone, der sie tief verletzte. »Ich wollte mir erlauben, Sie zu begleiten.«
»Ich danke,« entgegnete das junge Mädchen ruhig, aber zurückweisend, »es wäre eine nutzlose Aufopferung Ihrerseits, denn ich gehe am liebsten allein durch den Wald.«
»Und kennen Sie keine Furcht?« fragte er, so nahe an sie herantretend, daß sein heißen Atem ihre Wange berührte.
»Nur die vor ungebetener Gesellschaft,« entgegnete sie, mühsam ihre Entrüstung bekämpfend.
»Ah, das ist wieder einmal jene hoheitvolle Haltung, hinter der Sie sich mir gegenüber stets verschanzen; weshalb? nun, das weiß ich mir schon zurechtzulegen … Heute jedoch werde ich sie nicht so respektieren, wie ich sonst folgsamerweise thue – ich muß Sie sprechen.«
»Und ist das so wichtig, daß Sie um deswillen Ihre Freunde und das Fest verlassen?«
»Ja, es ist ein Wunsch, der mit meinem Leben zusammenhängt, der mich Tag und Nacht verfolgt. Ich bin krank und elend, seit ich fürchte, er könne sich vielleicht nie verwirklichen – ich –«
Elisabeth war unterdes immer rascher vorwärts geschritten. Es wurde ihr unsäglich unheimlich diesem Menschen gegenüber, aus dessen Augen jetzt jene Leidenschaft unverhohlen loderte, die ihr schon einen heftigen Abscheu eingeflößt hatte, als sie noch beherrscht wurde. Sie fühlte aber auch, daß Ruhe in diesem Augenblicke ihre einzige Waffe sei, und deshalb unterbrach sie ihn, während der schwache Versuch eines Lächelns um ihre Lippen zuckte.
»Ach,« sagte sie, »unsere Klavierübungen sind also vom besten Erfolge gewesen, Sie wünschen meinen Beistand aus dem Gebiete der Musik, wenn ich recht verstehe?«
»Sie verstehen mich absichtlich falsch,« rief er zornig.
»Nehmen Sie das als eine Art von Schonung meinerseits, ich müßte Ihnen sonst Dinge sagen, die Sie vielleicht noch weniger zu hören wünschen,« erwiderte Elisabeth ernst.
»Sprechen Sie immerhin, ich kenne die Frauen genug, um zu wissen, daß sie es lieben, eine Zeitlang die Maske der Kälte und Zurückweisung vorzuhalten … die Beglückung ist dann um so süßer. Ich gönne Ihnen die Freude dieser unschuldigen Koketterie, aber dann –«
Elisabeth stand einen Augenblick starr und sprachlos vor dieser Unverschämtheit; solch häßliche Worte hatten noch nie ihr Ohr berührt. Scham und Entrüstung trieben ihr das Blut in das Gesicht, und sie suchte vergebens nach Worten, um diese beispiellose Frechheit zu strafen. Er faßte ihr Schweigen anders auf.
»Sehen Sie,« rief er triumphierend, »daß ich Sie durchschaut habe! … Das Erröten des Ertapptseins steht Ihnen unvergleichlich! … Sie sind schön wie ein Engel; noch nie ist mir eine solche Nymphengestalt vor die Augen gekommen, wie die Ihre … Sie wissen recht gut, daß Sie mich bei unserer ersten Begegnung bereits zum Sklaven gemacht haben, der zu Ihren Füßen schmachtet … Welcher Nacken! … Welche Arme! und das alles haben Sie bisher neidisch verhüllt.«
Ein Aufruf der höchsten Aufregung entrang sich Elisabeths Lippen.
»Wie können Sie es wagen,« rief sie laut und heftig, »mich so zu beleidigen! … Haben Sie mich vorhin nicht verstanden, so sage ich Ihnen jetzt klar und deutlich, daß mir Ihre aufgedrungene Gesellschaft verhaßt ist, und daß ich allein sein will.«
»Bravo, der befehlende Ton gelingt Ihnen vortrefflich!« sagte er spöttisch. »Man sieht doch gleich, daß von der Mutter her ein Tröpflein adlig Blut in Ihren Adern rollt … Was habe ich Ihnen denn gethan, daß Sie so plötzlich die Entrüstete spielen? Ich habe Ihnen das Kompliment gemacht, daß Sie schön sind, das aber lassen Sie sich des Tages unzählige Male von Ihrem Spiegel sagen, und ich bezweifle sehr, daß Sie ihn dafür zertrümmern.«
Elisabeth wendete ihm verachtungsvoll den Rücken zu und schritt hastig weiter. Er hielt sich an ihrer Seite und schien durchaus nicht gesonnen zu sein, auf einen endlichen Sieg zu verzichten.
Sie hatten eben die Chaussee erreicht, als eine Equipage vorüberbrauste. Ein Männerkopf bog sich aus dem Wagenfenster, fuhr aber jäh, wie erschrocken, zurück – es war Herr von Walde. Noch einmal sah er heraus nach dem Waldwege, als ob er sich überzeugen wolle, daß er recht gesehen habe, dann verschwand der Wagen bei einer scharfen Biegung der Chaussee.
Elisabeth hatte unwillkürlich die Arme nach dem davonrollenden Wagen ausgestreckt, als möchte sie ihn zurückhalten; er, der da drinnen saß, wußte ja um ihre Abneigung gegen Hollfeld; nach ihrer vor wenig Stunden abgegebenen Erklärung durfte er keinen Augenblick im Zweifel sein, daß sie sich nicht freiwillig in dessen Gesellschaft befand. Konnte er nicht für einen Moment seine Reise unterbrechen, um sie von dem Zudringlichen zu befreien?
Hollfeld hatte ihre Bewegung gesehen.
»Ei,« rief er unter boshaftem Lachen, »das sah ja beinahe zärtlich aus! … Müßte ich nicht an die siebenunddreißig Sommer meines Vetters