Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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weiß ganz genau, daß dich kein körperliches Leiden verhindert, deine Zunge zu gebrauchen, denn du sprichst ja, wenn du dich unbeachtet glaubst, mit dir selbst; es ist also ein moralischer Zwang, dem du dich unterwirfst, wohl gar ein Gelübde?«

      Jedenfalls mußte ein stummes Kopfnicken seine Vermutung bestätigt haben, denn er fuhr heftiger fort. »Hirnverbrannte Idee! … Glaubst du, dem lieben Gott eine Freude zu machen, wenn du ihm seine herrliche Gabe, die Sprache, vor die Füße wirfst? … Und willst du deine ganze Lebenszeit hindurch schweigen? … Also nicht? Du wirst einmal wieder sprechen, auch wenn sich das nicht erfüllt, was du durch dein Gelöbnis zu erreichen suchst? … Nun gut; ich kann dich nicht zwingen, zu reden, trage demnach allein, was dich bedrückt, und was dich unglücklich macht; denn daß du das bist, das steht leserlich genug auf deinem Gesichte geschrieben … Aber das sage ich dir, an mir hast du einen unerbittlichen Richter, wenn es einmal klar werden sollte, daß du etwas gethan hast, was das Licht scheuen und hüten muß, vor den Ohren rechtlicher Menschen laut zu werden; denn du hast in deinem grenzenlosen Hochmute von vornherein jeden ehrlich gemeinten Rat, jede gute Lehre von dir gewiesen und es mir unmöglich gemacht, dir so zur Seite zu stehen, wie ich es als Vertreter deiner Eltern gewünscht und gesollt hätte … Ich will es noch einige Zeit mit dir versuchen, aber sobald ich nur ein einziges Mal merke, daß du dich bei Nacht und Nebel aus dem Hause entfernst, dann kannst du dein Bündel schnüren … Noch eins, morgen werde ich den Doktor hierher kommen lassen, er soll mir sagen, was dir fehlt, denn du bist in der letzten Wochen geradezu unkenntlich geworden … Jetzt geh!«

      Die Thür öffnete sich und Bertha taumelte heraus. Sie bemerkte Elisabeth und Sabine nicht, und als sie die Thür hinter sich ins Schloß fallen hörte, da streckte sie plötzlich in sprachloser Verzweiflung die gerungenen Hände gen Himmel, und stürzte, wie von Furien gejagt, die Treppe hinaus.

      »Die hat etwas auf dem Gewissen, es mag nun sein, was es will,« sagte Sabine kopfschüttelnd. Elisabeth aber ging hinein zum Onkel. Er lehnte am Fenster und trommelte mit den Fingern gegen die Scheiben, was er gewöhnlich that, wenn er aufgeregt war. Er sah sehr finster aus, allein es flog ein heller Schein über sein Gesicht, als Elisabeth eintrat.

      »Gut, daß du kommst, Goldelse!« rief er ihr entgegen. »Ich muß ein klares, reines Menschengesicht sehen, das thut mir not … Die schwarzen Augen von der, die da eben hinausgegangen ist, sind mir fürchterlich … Na, nun habe ich doch mein Hauskreuz wieder aufgenommen, um es ein Stück weiter zu schleppen … Kann nun einmal so ein Wesen nicht weinen sehen, und wenn ich zehnmal weiß, daß ich mit dieser Zerknirschung über den Löffel barbiert wenden soll.«

      Elisabeth war herzlich froh, daß das gefürchtete Zusammentreffen zwischen dem Onkel und Bertha so glimpflich abgelaufen war. Sie beeilte sich, seine Gedanken völlig abzuziehen von der Unglücklichen, indem sie ihm von der heutigen Festlichkeit und, wenn auch in etwas hastiger und flüchtiger Weise, von der schnellen Abreise des Herrn von Walde erzählte. Auch Linkes schauerliches Ende teilte sie ihm mit, eine Nachricht, die ihn nicht sehr überraschte, denn er hatte diesen Ausgang vermutet.

      Er begleitete das junge Mädchen bis an die obere Gartenthür.

      »Sei hübsch vorsichtig und läute nicht zu stark am Mauerpförtchen,« mahnte er beim Abschiede, »deine Mutter hat heute nachmittag einen Anfall ihrer Migräne bekommen, sie liegt zu Bette … ich war vorhin noch einmal droben.«

      Erschrocken lief Elisabeth den Berg hinauf. Sie brauchte nicht zu läuten; Miß Mertens kam ihr, in Begleitung des kleinen Ernst, auf der Waldblöße entgegen und beruhigte sie sofort. Der Anfall war vorüber, die Mutter lag in einem erquickenden Schlummer, als das junge Mädchen leise an das Bett trat.

      Es dämmerte bereits stark, und die tiefste Stille herrschte in der traulichen Wohnung; die Schlaguhren waren in ihrem Gange gehemmt worden; an den verschlossenen Fenstern verhallte das leise Geflüster der Blätter draußen, nicht einmal das Summen einer naseweisen Fliege wurde hörbar, denn der Vater hatte alles, was die Ruhe der Kranken stören konnte, unerbittlich entfernt.

      Hätte die Mutter jetzt auf ihrem Lehnstuhle in der einen Fensternische der Wohnstube gesessen, zwischen dem schützenden Vorhange und der grünen Buschwand vor dem Fenster, auf die der dunkelnde Abendhimmel schweigend niedersah, dann wäre heute die traute Ecke zum Beichtstuhle geworden; Elisabeth hätte, knieend auf dem Fußkissen, den Kopf auf die Kniee der Mutter gelegt, ihr übervolles Herz dem mütterlichen Auge erschlossen … Nun zog sich das süße Geheimnis wieder in den innersten Schrein ihrer Seele zurück; wer weiß, ob sie je wieder den Mut fand, das auszusprechen, was unter den obwaltenden Verhältnissen die Mutter voraussichtlich erschrecken und mit großer Sorge um die Tochter erfüllen mußte.

      16.

       Inhaltsverzeichnis

      Die Ruinen von Gnadeck mochten wohl verwundert aufhorchen bei dem seltsamen Geräusche, das seit dem ersten Morgengrauen mit kleinen Unterbrechungen an ihre schiefen Mauern schlug. Das klang so ganz anders, als das Zerstörungswerk der Regenfluten, oder der Schneemassen, wenn sie in der Frühlingssonne schmolzen. Leise grub dann das Wasser kleine Rinnen zwischen das Gemäuer und hob einen Granitblock um den andern aus dem Sattel, ohne daß er es ahnte; er blickte noch eine Weile stolz und dräuend in die Welt, denn sein Untergang wurde so geräuschlos vorbereitet, wie kaum der Sturz eines Fürstengünstlings, oder der eines mißliebigen Ministeriums. Dann kam nächtlicherweile ein Sturmwind dabergebraust – es erfolgte ein gewaltiges Krachen, und der Strahl der Morgensonne irrte zum erstenmal über Wände und Fußböden, die er bis dahin nie berührt hatte. Es lag dann freilich ein tüchtig Stuck Mauerwerk zerschmettert unten auf dem Steinpflaster, und den ganzen Tag über, wenn ein leichtes Lüftchen vorüberflog, oder der Flügel eines Vogels droben anstreifte, rieselten zerbröckelter Mörtel und feine Sandbäche aus der Wunde; aber nicht lange, so sproßte junges Grün aus dem Risse, und nun vergingen wieder Jahre, lange Jahre, ehe das heimtückische Nagen der Wasser unter der trügerischen grünen Decke ein neues Opfer für die Stürme hergerichtet hatte. Das war ein langsames, unmerkbares Hinscheiden – die Ruinen konnten getrost sein, wie der Kranke, der ein unheilbares Leiden in sich trägt, bei welchem er jedoch ein womöglich alttestamentliches Alter erreichen kann.

      Heute waren es Menschenhände, welche das Zerstörungswerk vollbrachten. Unglaublich schnell und rührig hoben sie Stein um Stein ab. Der Erker, der so kühn seinen Fuß vorgestreckt hielt und jahrhundertelang wie ein unerschütterlicher Wachtposten vor dem Flügel gestanden hatte, sah kläglich aus. Er hatte bereits ein beträchtliches Stück von seiner Höhe eingebüßt; sein Epheugewand war zerrissen, es wurden nun dunkle Fensterhöhlen und grünangelaufenes Mauerwerk sichtbar, dessen jetzt freilich verstümmelte und zerklüftete Steinzieraten einst schön und kunstreich gewesen sein mochten. Die Arbeiter waren sehr fleißig. Es interessierte sie selbst, so halsbrechend auch die Aufgabe war, von oben herab in die dunkeln Winkel und Ecken des alten Nestes sehen zu können, das der Gespensterglaube des Volkes mit zahllosen schauerlichen Erscheinungen bevölkerte.

      Am Nachmittage saß Frau Ferber mit Elisabeth und Miß Mertens auf dem Damme, als Reinhard, der sich stets nachmittags zu einer bestimmten Stunde einfand, die Lektüre unterbrach. Er erzählte, daß Linke heute morgen in aller Stille beerdigt worden sei, und daß Fräulein von Walde nun auch durch einen unvorsichtigen Diener das Attentat auf ihren Bruder erfahren habe. Mit tiefer Bitterkeit bemerkte der Erzähler, Herrn von Waldes Besorgnis, daß der Schreck über den Vorfall nachteilige Folgen für seine Schwester haben könne, sei sehr unnötig gewesen, denn das Fräulein habe die Nachricht mit großer Kaltblütigkeit entgegengenommen; auch das Unglück des Herrn von Hartwig, mit dessen Frau sie befreundet sei, berühre sie durchaus nicht in der Weise, wie man sich hätte denken müssen. »Ja, wenn es ihrem blondgelockten Protegé ans Leben gegangen wäre,« meinte er zornig, »dann hätte sie sich sicher ihre schönen, kastanienbraunen Locken einzeln ausgerissen … Dieser Herr von Hollfeld wird mir nachgerade unerträglich! Heute geht er mit einem Gesichte im Hause herum, als ob er die ganze Welt vergiften möchte. – Ich wette, die rosenfarbene Laune ist einzig und allein schuld an Fräulein von Waldes verweintem Gesicht, das sie vorhin, bei einer Begegnung im Garten, vor mir zu


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