Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt


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sein, daß sich nicht mehr bürgerliche Heiraten in jener Familie aufzählen lassen, als deren auf den Stammbaum des guten Lessen fallen, und du wirst doch sicher nicht aufstellen wollen, daß kein reines Blut in Bellas Adern fließe?«

      Ein leichtes Rot flackerte über die fahlen Wangen der Baronin und der Blick war nichts weniger als liebevoll und sanftmütig, der unter den halbgesenkten, weißbewimperten Augenlidern hervor nach dem jungen Mädchen zuckte. Aber es erschien fast ebenso schnell ein versöhnliches Lächeln um ihren Mund. Sie fühlte zu ihrem Entsetzen seit gestern öfter den Boden unter ihren Füßen wanken. Es war eine erschreckende Wahrnehmung für sie, plötzlich da auf Widerspruch zu stoßen, wo sie seit einem Jahre blinde Unterwerfung und völlige Hingebung zu sehen gewohnt war.

      Sie hatte übrigens ganz recht, wenn sie den Grund der Veränderung in Helenes Benehmen nicht eigentlich in dem »unseligen« Einflusse von deren Bruder suchte, sondern die Schuld bei weitem mehr ihrem Sohne zumaß, der in den letzten Tagen eine so eigentümliche Haltung angenommen hatte. Helene war zwar im Grunde eine durchaus edle Natur, befähigt, sich für Großes und Edles zu begeistern, und vom besten Willen beseelt, das Gute zu thun; aber sie war von Kindheit auf daran gewöhnt, sich als den Mittelpunkt allseitiger zärtlicher Fürsorge und Rücksicht zu betrachten. Sie hatte, trotz ihrer körperlichen Gebrechen, nie die Bitterkeit der Zurücksetzung empfinden müssen. Um sie die Verkürzung ihrer natürlichen Rechte vergessen zu machen, war jedes im Umgange mit ihr beflissen, sie doppelt auszuzeichnen. Wohl wissend, daß sie dem Berufe als Gattin entsagen müsse, hatte sie doch ihr an Zärtlichkeit so reiches Herz jubelnd der ersten Liebe geöffnet, und wenn sie im stillen weinend die Natur ob der ihr widerfahrenen Vernachlässigung und somit der Zerstörung ihres Lebensglückes anklagte, so blieb ihr doch immer die beseligende Gewißheit, daß ihre Neigung erwidert werde. Die unausgesetzten Aufmerksamkeiten Hollfelds, sein stetes Verweilen in Lindhof, einzelne hingeworfene zärtliche Worte waren freilich geeignet gewesen, diese Meinung zu einer unerschütterlichen zu machen … Nun war er plötzlich beleidigend zerstreut ihr gegenüber und vernachlässigte sie auf eine unerhörte Weise. Sie litt namenlos, ihr ganzes Innere empörte sich, die gekränkte weibliche Würde, ein nie gekannter heftiger Zorn und ihre unsägliche Liebe rangen miteinander; sie war noch weit entfernt von jenem Stadium, welches edle Naturen früher oder später stets erreichen müssen: das der Resignation und Verzeihung. Sie wurde bitter und heftig, und diese Empfindungen offenbarten sich weniger dem, der ihr wehe that, als daß sie sich mit einer Art von Genugtuung gegen diejenigen richteten, deren Tyrannei das junge Mädchen um ihrer Liebe willen bis dahin widerstandslos ertragen hatte.

      Hollfeld hatte gerade, als die alte Kammerfrau der Baronin einer unerheblichen Meldung wegen in das Zimmer trat und alsbald mit geläufiger Zunge die merkwürdige Begebenheit auf Gnadeck mitteilte, den Damen vorgelesen. Hätten Helenes Blicke nicht überrascht an den Lippen der Erzählenden gehangen, so wäre ihr sicher die plötzliche Veränderung in den Zügen ihres Retters nicht entgangen. Atemlos, mit dem Ausdrucke höchster Befriedigung hörte er zu. Die gefundenen Kleinodien hatten sich auf dem Wege über die verschiedenen Lippen zu einem »unermeßlichen Werte« gesteigert, und der einfache Sarg der schönen Lila war zu purem Silber geworden.

      Auch die Baronin hatte die auffallende Umwandlung in dem bisher so mürrischen Wesen ihres Sohnes nicht bemerkt und schleuderte ihm, infolge jener bitteren Zurechtweisung Helenes, logischerweise einen von dem jungen Mädchen ungesehenen Zornblick zu. Sie war jedoch erstaunt, ihn plötzlich Helene näher rücken zu sehen. Er legte das gestickte Rouleau im Nacken der jungen Dame zurecht und schob das Boukett in der Blumenvase näher zu ihr hin, damit sie den Blumenduft bequemer einatmen könne.

      »Helene hat ganz recht, Mama,« sagte er, einen sehr freundlichen Blick auf das junge Mädchen werfend, der mit einem glückseligen Lächeln erwidert wurde. »Es kommt dir am wenigsten zu, den guten Adel der Familie anzufechten.«

      Obgleich es ihr ein entsetzlicher Gedanke war, daß die bisher so tief unter ihr Stehende jetzt neben ihr stehen und an Reichtum sie sogar bedeutend überragen sollte, war die Baronin doch klug genug, die bittere Entgegnung, die ihr auf den Lippen schwebte, zu unterdrücken und sich mit der Aeußerung zu begnügen, daß die Sache denn doch zu unglaublich und fabelhaft klinge, als daß man ihr so unbedingt Glauben schenken dürfe. Sie müsse erst einen kompetenteren Augenzeugen hören, als die beiden Maurer seien, bevor sie sich entschließen könne, zu glauben.

      Dieser kompetente Augenzeuge schritt eben wie gerufen unter den Fenstern vorüber. Es war Reinhard, der von dem Berge zurückkehrte. Er lächelte, als er schleunigst zu Fräulein von Walde befohlen wurde, denn aus den neugierigen Fragen des Bedienten ersah er, daß der Fund auf Gnadeck im Schlosse bereits bekannt war, und daß er nur zu den Damen gerufen werde, um berichten zu sollen.

      Bei seinem Eintritte wurde er auch sofort von Helene mit Fragen bestürmt. Er erzählte in seiner ruhigen Weise, und es belustigte ihn über die Maßen, hinter den scheinbar nachlässig und gleichgültig hingeworfenen Fragen und Bemerkungen der Baronin die gespannte Neugier und den tiefsten Verdruß zu bemerken.

      »Und werden die Ferber auf jenen Zettel hin in der That Anspruch auf den alten Namen erheben dürfen?« fragte sie, eine große Dahlia aus der Blumenvase ziehend und daran riechend.

      »Ich möchte wissen, wer ihnen das Recht streitig machen wollte,« erwiderte Reinhard. »Es bleibt einfach zu beweisen, daß sie die Abkömmlinge jenes ausgesetzten Hans von Gnadewitz sind, und das können sie zu jeder Stunde.«

      Die Dame legte den Kopf an die hohe Rücklehne ihres Stuhles und ließ die Lider wie ermüdet oder gelangweilt halb über ihre Augen sinken.

      »Nun, und jene entdeckten Schätze von Golkonda, sind die wirklich so unermeßlich, wie Frau Fama wissen will?« fragte sie. Ihr Ton sollte spöttisch klingen, allein Reinhards feines Ohr hörte mit großer Genugtuung eine unsägliche Spannung und etwas wie eine geheime Angst heraus.

      Er lächelte.

      »Unermeßlich!« wiederholte er. »Nun ja, es kommt bei dergleichen Dingen sehr viel auf den Begriff dessen an, den sie berühren … Ich kann hier nicht urteilen.«

      Er hätte es sehr gut gekonnt, wie wir wissen, aber er meinte ungalanterweise, die kleine Aufregung der Ungewißheit sei der Dame ganz gesund.

      Das Examen würde höchst wahrscheinlich noch nicht so schnell sein Ende erreicht haben, wenn nicht plötzlich Bella in ihrer lebhaften, aufgeregten Weise in das Zimmer gestürzt wäre.

      »Mama, die neue Gouvernante ist angekommen!« rief sie atemlos und warf mit einer schüttelnden Bewegung ihres Kopfes ihre roten Locken zurück, die vornüber gefallen waren. »Pfui, die ist noch häßlicher, als Miß Mertens!« fuhr sie fort, ohne die mindeste Rücksicht auf den danebenstehenden Reinhard zu nehmen. »Auf ihrem Hute hat sie knallrotes Band, und ihre Mantille ist noch altmodischer, als die von Frau Lehr … Mit der gehe ich ganz gewiß nicht aus, darauf kannst du dich verlassen, Mama!«

      Die Baronin fuhr mit beiden Händen nach den Ohren.

      »Kind, ich bitte dich um Gotteswillen, sei nicht so laut!« stöhnte sie. »Deine Stimme geht mir durch Mark und Bein … Und was sind das für alberne Reden,« setzte sie streng hinzu. »Du wirst schon mit Mademoiselle Jamin gehen müssen, wenn ich es wünsche.«

      Diese mit ziemlicher Heftigkeit ausgesprochene Zurechtweisung, infolge deren die verdutzte Bella schmollend die Unterlippe hängen ließ und heimlicherweise ein Stück Franse an dem Fauteuil der Mama abriß, hatte einfach ihren Grund in der sogenannten Marterzeit, die auf Miß Mertens’ Weggang gefolgt war. Die Baronin hatte notgedrungen die einstweilige Aufsicht über Bella übernehmen müssen, und das war, wie sie versicherte, ein wahrer Totschlag für ihre Nerven. Fräulein von Walde gegenüber behauptete sie zwar stets, lediglich unter Miß Mertens’ Erziehungssünden leiden zu müssen; im Grunde ihres Herzens aber fand sie, daß das Töchterlein in frappanter Aehnlichkeit alle Charaktereigenschaften des seligen Lessen geerbt hatte, worunter sich hauptsächlich ein unbeugsamer Starrsinn und der unbezwingliche Hang zum süßen Nichtsthun auszeichneten … Sie war indes weit entfernt, zu denken, daß Miß Mertens Unrecht geschehen sei – diese Person hatte sich als Erzieherin bezahlen lassen, mithin verstand es sich von selbst, daß sie – natürlicherweise


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