DER ZAR. Ted Bell

DER ZAR - Ted  Bell


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wenig begeistert wäre, falls er unrasiert bei Madame Mars antanzen sollte. Er würde zweifellos auch an seiner Frisur Anstoß nehmen. Die widerspenstigen, schwarzen Locken reichten Hawke fast bis auf die Schultern. Sollten sie noch länger werden, musste Pelham mit seiner Küchenschere ran.

      Im dichten Bananenwald hörte er durchs offene Fenster das Zirpen und Klappern nachtaktiver Insekten, ein Begleitkonzert zu seiner Rasur. Noch etwas, das er an dieser Insel mochte: Naturgeräusche als einfache Musik des Alltags. Die Vögel und Bienen, die Einheimischen … Jeder, dem man in Bermuda begegnete, schien entweder den ganzen Tag irgendwelche Lieder zu singen oder zu pfeifen. Die Menschen hier waren zufrieden. Hawke war es auch.

      Nachdem er sein Rasiermesser aufs Waschbecken gelegt hatte, betrachtete er sich im Spiegel.

      Da klopfte es an die Tür des Bads. »Bitte um Verzeihung, Sir«, hörte er von draußen.

      »Was ist los?«

      »Telefon für Sie, Sir.«

      »Wer ist dran?«

      »Eine junge Lady, wenn ich mich nicht irre.«

      »Hat sie gesagt, wie sie heißt?«

      »Nein, M'lord, hat sie nicht.«

      »Was will sie denn von mir?«

      »Das habe ich nicht so richtig begriffen, Sir. Es geht um ein Gemälde, Sir.«

      »Ein Gemälde? So was brauchen wir nicht.«

      »Richtig, Sir. Sie meint aber, sie würde dafür bezahlen, allerdings nicht mehr als 100 Bermuda-Dollar die Stunde.«

      Hawke fluchte und spritzte sich heißes Wasser ins Gesicht. Mit einem Handtuch, das er vom Haken an der Tür zog und um sein Becken wickelte, ging er zügig durch den kurzen Flur in den Wohnbereich. Ein altmodisches, schwarzes Bakelite-Telefon war das einzige im Haus und stand seit je am Ende der Bartheke.

      Pelham war ihm durch den Gang gefolgt und trat nun schnell hinter den Tresen. Er schickte sich an, einen Rum einzuschenken – Gosling's auf Eis, ein abendliches Stärkungsmittel –, wozu er einer Limette, von der fast nichts mehr übrig war, noch eine Scheibe abgewann.

      Hawke schaute ihm verhalten lächelnd zu. Sie wussten beide, es war noch ein wenig zu früh für einen Absacker, und dieses Gemisch war nur ein listiger Vorwand des Alten, um ganz unverfroren zu lauschen.

      »Hallo? Wer ist da?«, fragte Hawke sofort, als er sich das Sprechteil an den Kopf hielt.

      »Spreche ich mit Mr. Hawke?«

      »Kann sein? Wer sind Sie?«

      »Anastasia Korsakowa. Sie haben mich heute Nachmittag kennengelernt. Ich erklärte Ihrem … Freund gerade, dass ich Sie gerne malen würde. Ich zahle meinen Modellen gutes Geld, lasse mir aber nichts vorschreiben.«

      »Wovon zum Geier sprechen Sie?«

      »Von Ihnen. Ich will Sie malen.«

      »Mich malen? Grundgütiger, warum das denn?«

      »Ich bin Künstlerin, Mr. Hawke. Im Frühjahr stelle ich mein Projekt in der Royal Academy in London aus. Es soll eine Reihe männlicher Figuren beinhalten – lebensgroß.«

      »Warum gehen Sie mir damit auf die Nerven?«

      »Es gibt keinen Grund für eine solche Wortwahl. Ich halte Sie für ein gutes Motiv, das ist alles, und mit Bezug auf Ihre ziemlich dürftige … Behausung, darf man annehmen, dass Sie ein Mann sind, der das Geld gebrauchen kann. Sie haben doch bestimmt schon einmal Modell gestanden, Mr. Hawke, oder? 100 die Stunde verdient man sonst nirgendwo auf dieser Insel.«

      Modell gestanden? Er widerstand dem Drang, laut loszulachen, und sagte: »Miss Korsakowa, ich fühle mich von Ihrem Angebot zutiefst geschmeichelt, fürchte aber, dass ich es ausschlagen muss.«

      »Warum?«

      »Warum? Nun, dafür gibt es so einige Erklärungen. Erstens bin ich ein vielbeschäftigter Mensch. Ich gehe davon aus, wenn man sich malen lässt, muss man lange still sitzen, aber das ist ganz und gar nicht mein Ding.«

      »Heute Nachmittag schienen Sie nicht unter Zeitdruck zu leiden. Sie haben am Strand geschlafen.«

      »Das war bloß ein Nickerchen.«

      »Also, ich könnte Sie auch im Liegen malen, wenn Sie möchten. Schlafen Sie meinethalben sogar auf einem Diwan. Das würde mich nicht stören.«

      »Darf ich fragen, woher Sie meine Nummer haben?«

      »Von Freunden.«

      »Freunden von mir?«

      »Wohl kaum. Ich kann mir schwerlich vorstellen, dass wir in denselben gesellschaftlichen Kreisen verkehren, Mr. Hawke. Nein, Freunde von mir fanden die Nummer für mich heraus, die zu Ihrem Haus gehört.«

      »Sie haben demnach Freunde, die meine Telefonnummer kennen?«

      »Meine Freunde wissen alles.«

      »Nun gut, passen Sie auf. Es war nett, mit Ihnen zu plaudern, Miss Korsakowa, aber ich muss leider los, sonst komme ich zu spät zu einer Verabredung zum Dinner.«

      »Werden Sie noch einmal über mein Angebot nachdenken, Mr. Hawke? Ich würde wirklich ungeheuer gern mit Ihnen arbeiten.«

      Er zog das Telefon kurz von seinem Ohr weg, um sich einen vor Kälte beschlagenen Silberbecher mit Minzblatt von Pelham reichen zu lassen. Es war tatsächlich noch ein bisschen früh … aber egal. Er trank einen Schluck. Köstlich. Vor seinem geistigen Auge erschien plötzlich das Bild einer nackten Göttin, die aus dem Meer steigt, wobei das Wasser an ihrem Körper hinunterläuft – und verschwand genauso schnell wieder.

      Mit mir arbeiten?

      »Entschuldigen Sie«, nuschelte er und nippte noch einmal. »Ich bekam gerade Rum an die Haustür geliefert.«

      »Also was jetzt?«, drängte Korsakowa hörbar ungeduldig.

      »Ich werde eine Nacht darüber schlafen.«

      »Tun Sie das. Ich rufe Sie gleich morgen Früh wieder an.«

      Die Verbindung brach ab.

      »Teufel auch«, murmelte Hawke an Pelham gerichtet. »Es soll ein Gemälde von mir werden.«

      »Das dachte ich mir, Sir.«

      »Lächerlich. Völliger Quatsch.«

      »Werden Sie sich darauf einlassen?«

      »Sind Sie komplett übergeschnappt?«

      Pelham zog seine buschig weißen Augenbrauen erschrocken hoch. »Im Ernst, M'lord, ein Hunderter pro Stunde ist kein Kleingeld. Ein mehr als ordentlicher Tarif, wenn Sie mich fragen, Sir.«

      Jetzt lachte Hawke laut, legte seinen Kopf in den Nacken und trank noch einen kräftigen Schluck von der leckeren Mixtur, bevor er immer noch barfuß in sein Schlafzimmer ging, um seine Marineausgehuniform und eine schwarze Krawatte anzuziehen. Es war Samstagabend. Congreve hatte ihn darauf hingewiesen, dass man sich zum Dinner im Shadowlands besser in Schale warf. Kurios, diese Sitte, aber Hawke war sie recht.

      Durch den Flur tönte gedämpft die Melodie des Calypso-Songs, und seine Lordschaft sang so laut mit, wie er konnte: »Smarter than de man in every way!«

      »Trouble in paradise«, seufzte Pelham, wischte die lackierte Theke ab und lächelte.

      »Trouble in paradise«, wiederholte der Hauspapagei Sniper, kurz nachdem er von seiner Stange hochgeflogen war und sich auf die Schulter des alten Mannes gesetzt hatte. Hawke kümmerte sich bereits seit seinen Kinderjahren um den Vogel, einen Hyazinth-Ara. Es war ein Weibchen, seinem Namen entsprechend glänzend ultramarinblau und fast 80 Jahre alt. Mit seinem sehr vorlauten Schnabel machte das Tier ganz bestimmt die 100 voll.

      »Ach, halt die Klappe«, grummelte Pelham und hielt Sniper einen Keks aus einer Schale auf der Theke hin.

      »Danke für nichts, Meister«,


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