DER ZAR. Ted Bell
frohlockte Strelnikow.
Bei Hexagon handelte es sich um eine weitere Erfindung des Zauberers, entdeckt während eines Experiments mit den Molekülstrukturen nichtnuklearer Explosiva. Es war hellblau und besaß die Konsistenz von Knetmasse. Eine Unze davon wirkte tausendmal stärker als die gleiche Menge Nitroglyzerin. Der Mann war durch schieren Zufall auf den durchschlagskräftigsten Sprengstoff des Planeten gestoßen.
Um einer Entdeckung der Hexagon-Bomben in allen Zeta-Rechnern vorzubeugen, wurden sie werksseitig permanent versiegelt. Im Fall von Hardwarefehlern ersetzte man sie schlichtweg unentgeltlich. Gelang es jemandem, den Computer zu öffnen, zerfiel der enthaltene Sprengstoff zu inaktivem Pulver, sobald er mit Luft in Kontakt kam.
Genial.
Paddy fuhr zurück auf den Highway und nahm auf der kurvenreichen, dunklen Straße rasch Fahrt auf. Er musste seinen Flug erwischen. Dieser ging nach Los Angeles und von dort aus in irgendein -burg am Arsch der Welt in Alaska, wo er mit seinem nächsten Einsatz vertraut gemacht werden sollte. Wie er gehört hatte, sollte er dabei um Fischerei gehen. Zuerst aber – und darauf, dass es so kam, hätte er Geld gesetzt – würde er kurz und unerwartet beim Gouverneur von Norddakota vorbeischauen. Irgendwann innerhalb der nächsten Stunde sollte sein Handy läuten, und dann fuhr er zur Villa des Politikers. Durfte er ihn schon einen toten Politiker nennen?
Fischerei? In Alaska? Was verstand er von Angeln und Netzen? Er kam aus Brooklyn, verdammt! Andererseits: Ein Auftrag war eben ein Auftrag, nicht wahr? Womöglich lernte er noch etwas dabei.
Paddy lächelte und schaltete das Radio wieder ein, um einen Oldie-Sender zu suchen. Zugegeben, ihm gefiel das Leben gerade ziemlich gut. Sicher, sein Job hielt ihn ziemlich auf Trab, war dafür aber wirklich nie langweilig.
Man brachte im Laufe einer langen, ereignisreichen Karriere 300, 400 oder sogar 500 Leute um die Ecke, also war es doch durchaus vorstellbar, dass einem die Sache ab einem gewissen Punkt langweilig wurde, oder? Man fragte sich: Wie oft kannst du das durchziehen, ohne das Interesse daran zu verlieren?
Das tat er aber nicht.
Es kam einzig und allein auf Einfallsreichtum an.
Der Weg aus dem Wald hinaus war jedes Mal ein anderer.
So lautete die Devise.
Kapitel 8
Bermuda
Hawke jagte auf seinem Motorrad die letzte Anhöhe hinauf, bevor er auf eine Piste einbog, die sich bis zum Meer hinunterschlängelte, wo Lady Diana Mars' Haus stand.
Im Zusammenhang mit seinem neuen Programm der radikalen Lebensvereinfachung hatte sich Hawke in Bermuda nur ein Spielzeug gegönnt: eine pechschwarze Norton Commando 16H, Baujahr 1949. Es war sein liebstes Transportmittel und perfekt zur Fortbewegung auf den engen und oft verkehrsreichen Straßen der Insel.
Diese konnten gefährlich werden. Die Einheimischen, vor allem die Teenager, frönten einem salopp unbesorgten Fahrstil. Sie hockten seitlich auf den Sätteln ihrer Zweiräder wie Reiterinnen im Damensitz und lenkten einhändig. So fuhren sie auf Wegen, die für Pferde und Kutschen gebaut worden waren, und gingen hohe Risiken ein, wenn sie in uneinsehbaren Kurven überholten oder sich in hohem Tempo durch Staus drängelten. Hawke selbst war schon einige Male knapp einer Katastrophe entgangen, die junge Ansässige provoziert hatten. Er bezeichnete sie als Selbstmordrennfahrer, verantwortungslose Halbstarke.
Nachdem er eine schmale Brücke überquert hatte, die ursprünglich als Überführung für die frühere Bermuda-Bahn nach Saint George's Island gedacht gewesen war, schaltete er schnell einen Gang zurück und erfreute sich am lauten Knattern des Auspuffs. Die Äste der Flammenbäume an den Straßenrändern bildeten eine tunnelartige Gewölbedecke, und der angenehme, aber dennoch intensive Geruch von dunkler Erde und nachtblühenden Pflanzen überwältigte ihn geradezu.
Als er sich dem imposanten Eisentor des Mars-Anwesens näherte, bremste er.
Da er Dianas Haus noch nie besichtigt hatte, war er sehr neugierig darauf. Vincent Astor hatte das legendäre Shadowlands 1930 erbaut. Angeblich war es riesig, und das lange Hauptgebäude führte an einem dicht bewaldeten Park auf einer Landzunge vorbei, der parallel zu den alten Schmalspurschienen verlief. Zu Hochzeiten soll es auf dem Gut, wie Hawke gelesen hatte, ein großes Salzwasseraquarium und Platz für Astors Privatbahn gegeben haben, eine Art Spielzeugzug mit dem Namen Scarlet Runner, der auf dem Gelände herumfuhr.
Beim Passieren des Tores legte er sich in die Kurve, beschleunigte noch einmal kräftig und sauste über einen Hügel. In dem Moment, als seine beiden Räder abhoben, bekam Hawke Shadowlands zum ersten Mal richtig zu sehen. Der Mond tauchte die aneinandergereihten Gebäude auf zauberhafte Weise in sanfteste Farbtöne aus Blau und Weiß.
Das Anwesen war ein Komplex aus miteinander verbundenen Häusern, alle mit weißen Dächern. Nahezu jeder für die Bermudas typische Konstruktionsstil war vertreten: Hawke sah Walmdächer, neumodische Brandgiebel mit niederländischem Einfluss, erhöhte Zinnen, Pultdächer und spitzwinklige V-Dächer. Unterschiedliche Schornsteine und Türme vervollständigten das Bild – ein architektonisches Wunderwerk, wie er zugeben musste.
Hawke lächelte, während er zu einen überdachten Säulenvorbau steuerte, den er für den Haupteingang hielt. Nachdem er den Motor abgestellt hatte, stieg er vom Motorrad und klopfte den Straßenstaub von seinem weißen Offiziersjackett. Er hatte zu diesem Anlass die Gesellschaftsuniform der Royal Navy angezogen – Blue No. 2, so die Bezeichnung –, die für förmliche Dinner vorgesehen war. Außerdem ein weißes Wams, Miniaturmedaillen und die drei Goldbänder an den Ärmeln, die seinen Rang angaben, den des Commanders.
Als er den Helm abgenommen hatte, glättete er seine schmale Krawatte aus schwarzem Satin und besah Shadowlands mit schierer Verzückung. Das »Haus«, in das er geladen worden war, wirkte wie ein kleines Märchendorf an einer Klippe mit Blick aufs Meer.
Wie aus dem Nichts erschien Ambrose Congreve an der geöffneten Tür. Er sah prächtig aus in seinem geschmackvoll geschneiderten, schwarzen Abendanzug, zu welchem er flache Schuhe aus glänzendem Patentleder trug. Noch immer verwendete er seinen Gehstock aus Ebenholz mit Goldknauf. Dies zu sehen betrübte Hawke, doch ein Lächeln und die Art, wie die altgediente Pfeife im Mundwinkel des Mannes hing, gab zu erkennen, dass mit seinem ältesten und engsten Freund alles in Ordnung war.
Hawke überließ seine Maschine einem ebenfalls lächelnden, jungen Einheimischen in sichtlich gestärktem, weißem Dienstjackett, der versprach, nicht damit davonzurasen. Er beobachtete, wie der Mann sie wegschob, und kehrte sich schließlich dem legendenumwobenen Scotland-Yard-Agenten zu.
»Hallo, alter Krieger«, grüßte er. »Du benutzt immer noch den Korporalstock, wie ich sehe.«
Dies tat Congreve wegen einer Beinverletzung. Er war vor langer Zeit im Dschungel des Amazonas von zwei arabischen Bösewichten gefoltert worden. Sie hatten ihm systematisch fast alle Knochen im rechten Fuß gebrochen, zudem den Unterschenkel und das Knie. Die Ärzte im Londoner Krankenhaus King Edward VII, die sich für die Kniegelenkoperation verantwortlich zeichneten, waren zunächst nicht davon ausgegangen, dass er sein Bein je wieder gebrauchen könne, doch der zähe Bulle vom alten Schlag hatte sie Lügen gestraft. Nach einer monatelangen, qualvollen Therapie mit Dianas Liebe und Ansporn bei jedem schmerzhaften Schritt war er aus der Klinik entlassen worden. Er musste den Stock zur Hilfe nehmen, konnte aber letztlich wieder gehen.
Hawke wollte ihm die Hand geben, doch Ambrose schüttelte sie nicht, sondern trat weiter vor, um ihn in den Arm zu nehmen. Dann standen sie einen Augenblick lang fest umschlungen da, ohne etwas zu sagen. Zwei Männer voller Überschwang, weil sie einander wiedersahen.
»Alex«, begann Congreve schließlich, indem er seinem Freund beherzt auf die Schulter klopfte und zurücktrat, um ihn zu betrachten. »Gott, es ist schön, zu sehen, dass du so gut in Schuss bist.«
»Bist du auch«, erwiderte Hawke mit belegter Stimme, als sie das Haus betraten. »Wo sind denn alle?«
»Diana kommt