Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft
lächelte.
»Sie irren – Mrs. Milner.«
»I, machen Sie mir doch nichts vor!«
»Aber, mein Herr – doch es ist begreiflich – die Verwechslung kommt ständig vor – ich sehe meiner Cousine äußerst ähnlich.«
Mein Blick wanderte an ihrer Gestalt entlang, von unten anfangend. Unter dem Kleide mit mächtiger Schleppe, aber vorn nach damaliger Mode sehr kurz gehalten, sahen die Stiefelchen hervor – Dinger, wie ich sie noch gar nicht gesehen hatte – die Hacken unten mehr in der Mitte und so hoch, daß ich gar nicht begriff, wie ein Mensch darauf balancieren konnte. Diese Stiefel gaben natürlich nicht den Ausschlag. Von den Beinen konnte ich nichts sehen. Die Lady hatte sehr viel Ringe an den Fingern gehabt, die hier hatte sie auch, aber andere. Der auffallende grüne Ring fehlte, und die hier hatte fast lauter rote, Rubinen, von denen bei der Lady gar nichts zu sehen gewesen.
Diese Ringe gaben natürlich immer noch nicht den Ausschlag. Es sollte nur einmal gezeigt werden, wie scharf mein Auge alles beobachtete und gleich erfaßte.
Das Gesicht war ganz genau dasselbe, und nun auch noch darin Mit ausgestrecktem Zeigefinger schlich ich näher und brachte die Fingerspitze ziemlich dicht in die Nähe des rechten Ohres, wo sich auf der Wange ein rotes Pünktchen zeigte, gar nicht der Rede wert, aber meinen Augen doch nicht entgangen.
»Und ganz dasselbe Pickelchen wie die Lady!«
Sie nahm diese Indiskretion nicht übel, wieder mußte sie lachen.
»Aber, mein Herr … «
»Ganz genau dasselbe Pickelchen!«
»Ja, ich weiß wohl – das ist der reine Zufall – ich bin wahrhaftig die Doppelgängerin meiner Cousine. Wollen Sie mir denn nun glauben, wenn ich Ihnen versichere, daß ich nicht Lady Blodwen von Leytenstone, sondern Mrs. Milner aus Chicago, ihrer Mutter Schwesterkind bin?«
Sie sah mich auf eine Weise an, die meine Zweifel schwinden ließen.
»Ja, wenn Sie es selber sagen, dann muß ich’s wohl glauben. Nee, aber so ’ne Aehnlichkeit!«
Und ehe ich mich nach ihrer Aufforderung setzte, wie ich die Stuhllehne noch in der Hand hatte, schüttelte ich den Kopf und wiederholte, nach ihr hinschielend:
»Nee, aber so ’ne Aehnlichkeit! Man hält’s doch nicht für menschenmöglich! Und sogar ganz genau dasselbe Pickelchen! Nee, wirklich, Sie sehen Ihrer Cousine ähnlich wie ein Stockfisch dem anderen.«
»Sehen sich denn die Stockfische so ähnlich?« lachte sie unbeleidigt, als sie sich schon gesetzt hatte, mit einem pompösen Fächer zu klappern anfangend.
»Stockfische? Ja. Sie wissen doch, daß der ursprünglich, wenn er noch lebt, Kabeljau heißt. Erst durch Trocknen wird er zum Stockfisch und dabei hört auch jede Physiognomie auf, gerade wie bei den Mumien – und so ist’s fast auch bei Ihnen und Ihrer Cousine.«
O, ich war damals ein feiner Bengel! Aber sie amüsierte sich nur über mich, lachte noch immer, und eben das gab mir die Ueberzeugung, daß ich hier nicht etwa gefoppt wurde. Es mußte doch wohl eine andere Person sein, das Gesicht der Lady war sehr herb gewesen trotz alles sonstigen Reizes, die konnte wohl kaum lächeln, und das hier war ja ein ganz heiteres Frauenzimmerchen.
»Sie haben wirklich noch gar nichts über die Lady Blodwen von Leytenstone gehört?« begann sie dann.
»Nein. Absolut nichts. Ich bin ein Seemann, und auch an Land …«
»Ich verstehe. Gestatten Sie mir nun, daß ich Ihnen über meine Cousine etwas mitteile.«
Sie tat es, nicht nur etwas, sondern ganz ausführlich. Ich gebe es hier in Kürze wieder.
Blodwens Urgroßvater war fast alleiniger Besitzer des Grundes und Bodens gewesen, auf dem sich jetzt die sehr weitläufig gebaute Millionenstadt Chicago erhebt. Schon er hatte parzelliert, der Großvater setzte es fort, Blodwens Vater hatte das riesige Vermögen durch Bauspekulationen noch immer zu vermehren gewußt.
Er starb mit Hinterlassung eines einzigen Kindes: Blodwen. Nach der jetzigen Schilderung, und wie ich dann auch noch später erfuhr, war die Mutter, eine geborene Deutsche, eine sehr simple, stark bigotte Frau gewesen, welche aus der Tochter hinter Mauern eine Heilige hatte machen wollen. Nach ihrem Tode führten Tanten die Erziehung nach derselben Methode fort, dabei wurde die Erbin, die über halb Chicago verfügte, von ihnen vergöttert, man ließ ihr jeden Willen – nur nicht aus den Mauern eines großen Parkes heraus, zwischen denen sich ihre Phantasie erschöpfen mußte. Denn Blodwen war schon als Kind sehr phantastisch gewesen, und nun die Erfüllung jeglichen Wunsches – es wurden mir tolle Dinger erzählt, teils in bezug auf kindliche Spielereien und Spielsachen, teils in bezug auf ihre lebende Umgebung.
Es ist ja begreiflich, daß sich ein Kind, vielleicht besonders ein Mädchen, auf diese Weise ganz eigenartig entwickeln muß. Sechzehn Jahre lang hat sie nichts als kriechende Diener gesehen: wenn sie ihren Lehrer mit Füßen trat und ins Gesicht kratzte, so wurde sie von den Tanten angefleht, doch artig zu sein, und der Lehrer bekam auch ein paar Goldstücke, und ging er, so fand sich doch bald ein anderes, erbärmliches Individuum. Es ist begreiflich, daß solch eine Erziehung für das ganze Leben wirken muß. Blodwen kannte noch heute nur Herren und Sklaven, und ihr Kummer war, daß sie nicht auch den Elementen zu gebieten hatte. Gebieten konnte sie wohl, aber die Elemente gehorchten ihr nicht.
Außerdem aber ließen die guten alten Tanten auch die Verheiratung ihres Lieblings nicht aus den Augen.
Der Freiersmann nahte sich in Gestalt des Lords Archibald von Leytenstone, der sich wegen totaler Verschuldung in Amerika nach einer reichen Frau umsah.
Er war angenehm. Und der Blodwen, ein Kind von sechzehn und einem halben Jahre, brauchte man nur zu sagen, daß sie auf den Gütern des englischen Lords noch bessere Gelegenheit hätte, Sklaven mit Peitschenhieben zu traktieren, so war sie mit allem einverstanden. Auch mochte ihr der ritterliche Kavalier, der selbst so gut mit der Reitpeitsche ›die andern Menschen‹ zu behandeln wußte, imponieren.
Die Trauung erfolgte in England. Das erste war, daß Lord Archibald seine kindliche Frau mündig erklären ließ, was bei der Aristokratie schon in diesem Alter möglich ist.
Sein zweites war, daß er sich von seiner mündigen Gattin Generalvollmacht geben ließ, was wohl nicht schwer gehalten haben mag; was verstand denn das Kind davon, und es genügte ja eine einzige Unterschrift unter ein ausgefülltes Formular.
Nun hatte Lord Archibald freie Hand. Er gab den alten Tanten den Laufpaß, verkloppte in Amerika alles, brachte das bare Geld nach England, kaufte seine Besitztümer und fast ganz Leytenstone zurück, das andere legte er sonstwie an – und nun ging es los, jenes Leben, dem er zuletzt nicht mehr hatte huldigen können.
Weiber, Spiel und Suff. Der letztere war seine stärkste Leidenschaft. Blodwen lernte selbst kennen, wie geschickt er die Reitpeitsche zu führen wußte. Einmal hat er sie geprügelt.
Glücklicherweise war dieser Tag sein letzter gewesen. Am anderen Tage fiel der edle Lord in seiner Besoffenheit eine Treppe hinunter und brach sich dabei seinen hochedlen Hals.
Nur ein halbes Jahr hatte diese ideale Ehe gedauert. Man darf wohl glauben, daß Blodwen unterdessen etwas andere Ansichten bekommen hatte.
Sie wollte alles mit ihrem Gelde Erworbene wieder verkaufen, das bare Vermögen von den Banken erheben, um nach Amerika zurückzukehren.
Jawohl, da gab es aber nichts! Das gehörte gar nicht mehr ihr! Das ganze Vermögen hatte sie doch ihrem Manne überschrieben! Sie hatte überhaupt nur noch die Nutznießung.
Ein Kind war nicht in Aussicht. Wenn Lady Leytenstone starb, so teilten sich in den Besitz die Krone und einige Verwandte des Lords. Ja, und wenn die Witwe noch einmal heiratete, so verlor sie schon drei Viertel ihres Vermögens, d. h., dann bezog sie nur noch den vierten Teil ihrer bisherigen Einkünfte. Englisches Adelsgesetz! Daran war nicht zu tippen!
Sie versuchte es dennoch. Die siebzehnjährige Witwe kämpfte um ihr Vermögen