Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft
Lehrern zu verraten – aber mit scheuer Ehrfurcht blickten sie alle auf den neuen Kameraden, der sich so bescheiden benahm. Denn das wußte wenigstens jeder, daß dieser der Hexenmeister war, der ihnen solch schöne Träume erzeugt hatte.
Und der Abend kam wieder. Wieder schnarchten drüben die Lehrer, und wieder flammte das rätselhafte Oellämpchen auf.
Und wie den Jungen langsam zur Erkenntnis kam, daß dies gestern abend doch nicht nur ein Traum gewesen sei, da gesellte sich diesmal der freudigen Erwartung auch etwas Furcht bei.
»Na, soll ich euch weiter vorlesen, was Robinson noch alles tat?«
»Aber die Herren Lehrer, wenn die erwachen, wenn die das merken, nur das Licht!« wurde scheu geflüstert.
»Ohne Sorge,« entgegnete Karl mit lauter Stimme, »in den ihren Schnaps habe ich Opium gemischt, die erwachen vor morgen früh nicht, und wenn das ganze Haus abbrennt.«
Was wußten diese Jungen von Opium? Doch ihnen genügte, daß dieser kleine Kesselflicker hier ihnen solch eine Versicherung gab, und Robinsons Schicksale wurden weiter verfolgt, und so noch drei Nächte lang, bis das Buch zu Ende war.
»Heute nacht,« sagte Karl am vierten Abend, »muß ich mir erst ein neues Buch holen, auch das Oel und das Opium wird alle, ich muß mir erst neues besorgen.«
Und er verschwand. Wohin er ging, war in der Finsternis ja nicht zu sehen, und diese Jungen wußten nicht, daß ihr neuer Kamerad sie schon früher, ehe er ihnen vorgelesen, jede Nacht verlassen hatte, seinen Weg ganz einfach durch ein offenes Parterrefenster nehmend.
Am anderen Morgen, als sie erwachten, war er wieder da.
»Wo bist du denn gewesen?« wurde ihm zugeflüstert.
»Willst du din Snut halten!!« herrschte Karl den Neugierigen an.
Am Abend schnarchten die Lehrer mit verdoppelter Macht.
»Wo ich gewesen bin, wollt ihr wissen?« erklang es da im Finstern. »In meinem Königreiche bin ich gewesen, auf meinem Schiffe.«
Und die Stimme in der Finsternis fuhr fort zu sprechen, wohl vier Stunden lang, und der Leser kann nicht verlangen, daß dies alles wiedergegeben werden soll.
Wozu auch? Der Leser weiß ja schon längst, wer dieser Kesselflickerjunge ist, und dann kann er sich auch vorstellen, was er erzählt hat.
Kurz und gut, er schilderte den Jungen, wohin er sie bringen könne, wenn sie ihm folgen wollten, und dieser kleine Mann verstand ja nun mit glühenden Farben auszumalen.
»Wollt ihr mit mir kommen?«
»Ja, ach ja!!« erklang es.
Da flammte die Oelfunsel wieder auf, sie beleuchtete vor Erregung glühende Gesichter und ebensolche Augen.
»Wer lieber hierbleiben will, der hebe die Hand hoch.« Niemand tat es, aber Karl hob die seine hoch, mit der Oellampe, er brachte sie ans Fenster, beschrieb von oben nach unten einen Strich und dann von links nach rechts, so ein Kreuz bildend.
Dann lauschte er.
Und da ein dröhnender Pfiff!
Das war der große Dampfer, der seit einigen Tagen im Hafen lag und als ein Wundertier von alt und jung angestaunt wurde, dem aber auch geflucht wurde, besonders in Matrosenkneipen. Gab es doch alte Seebären genug, welche behaupteten, daß diese Dampfpfeife gewissermaßen das Sterbeglöcklein für die ganze Seemannschaft, mindestens für alle Segelschiffe bedeute.
Nun, es sei gleich einmal hier bemerkt, daß sich damals diese Unglückspropheten geirrt haben. Wohl hat der Dampfer der Segelschiffahrt kolossalen Abbruch getan, aber diese hat sich schnell wieder erholt, jetzt, da es in der Welt noch immer achtmal so viel Segelschiffe – keine Fahrzeuge oder gar Kähne – gibt als Dampfer, werden schon wieder ebensoviele Segler gebaut wie Dampfer, und wenn es auf der Erde kein Stückchen Kohle mehr gibt, werden die Schiffe noch immer mit stolz geschwellten Segeln die Ozeane durchfurchen, denn die kostenlose Kraft des Windes läßt sich einfach durch nichts ersetzen.
Aber damals wurde jeder Dampfer, der in einen kleineren Hafen kam, wie der mordende Tod angestarrt oder doch als das größte Wunder angestaunt, und das auch mit Recht.
Und nun behauptete dieser Kesselflickerjunge, dieser ganze Dampfer gehöre ihm, er gehorche seinem Winke, und auch sie sollten mit drauf.
War das ein Märchen? Oder eine Lüge? Oder …
Da wieder ein Pfiff, aber ein viel leiserer.
»Meine Dampfpinasse ist da, um mich abzuholen. Wollt ihr mit?«
Nun gab es keinen Zweifel mehr.
»Wir wollen mit.«
Und zweiundvierzig Jungen unter Führung des einen schlichen hinab.
In dem Zimmer, wo die Lehrer schliefen, durch welches sie mußten, war Karl an dem Bett des einen stehen, geblieben, hatte die geballte Faust erhoben, wie um jenem die rote Nase einzutreiben.
Doch er schlug nicht. Festen Schrittes ging er weiter, die anderen schlichen ihm auf den Zehenspitzen nach. Mitzunehmen hatten sie absolut nichts gehabt.
Sie brauchten nicht durch das Fenster. Der kleine Führer hatte etwas in der Hand, steckte es ins Schloß, etwas Probieren, und das Schloß und die Tür waren offen. Er war ja Kesselflicker, der wohl auch davon etwas versteht. Oder vielleicht war er auch der Sohn eines Schlossers oder Schmiedes.
Nur wenige Schritte, dann standen sie an der sandigen Küste, an der das Meer leise rollte, und da waren die schwachen Umrisse eines großen Bootes zu erkennen, und jetzt sprühten einige Funken auf.
»Nun durchs Wasser, nur einige Schritte – mir nach!«
Starke Hände von erwachsenen Männern halfen den Zögernden nach, sie wurden in drei Boote verteilt, welche die Dampfpinasse zu schleppen hatte.
Fort ging es, nicht erst seitwärts nach dem Hafen, sondern gleich hinaus in die offene See.
Die Pinasse gab einen schrillen Pfiff, und da flammte vor ihnen eine Reihe Lichter auf, wie nur ein großes Segelschiff sie zeigt, wenn es sich auch mit Passagieren befaßt und deren Kabinen erleuchtet.
Das hier aber war der große Raddampfer, der bisher im Hafen gelegen, diesen heute abend verlassen hatte.
Die Boote wurden wie die Pinasse mit Haken befestigt, um gleich samt allem menschlichem Inhalt in die Höhe befördert zu werden.
»Kapitän Algots?« rief da eine Stimme herab.
»Natürlich bin ich mit,« entgegnete der kleine Anführer der Ausreißerbande.
»Wieviel bringen Sie?«
»Alle zweiundvierzig.«
»Sie sind ein Teufelskerl!«
Es war ein noch junger Mann in Kapitänsuniform, dem jetzt Karlemann die Hand schüttelte. Schon aus jenen Worten konnte geschlossen werden, daß Karlemann nicht der eigentliche Besitzer dieses Dampfers war, sonst hätte ihn jener doch nicht Teufelskerl genannt. Wahrscheinlich hatte ihn Karlemann nur gechartert, denn sonst trat er dennoch ganz als Herr auf.
»Hier, Steuermann, leiten Sie diese kleinen Schäfchen an.«
Die Jungen bedurften auch sehr der Führung, zumal an Deck nur ganz schwaches Licht war.
Karlemanns erster Gang war nach der Kombüse – also nach der Küche. Hier überzeugte er sich, daß reichlich für zweiundvierzig verhungerte Wölfe Speck und Erbsen gekocht wurden, dann begab er sich in eine Kabine im Zwischendeck, wo ein Schreiber bei einer Petroleumlampe eifrig die Feder über das Papier gleiten ließ.
»Ist die Vereidigungsformel fertig?«
»Hier, Herr Kapitän.«
Karlemann nahm das lange Schreiben und las es.
Ja,