Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker) - Robert Kraft


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unter den Meßapparat der holländischen Fremdenlegion stellte, zwangsweise, 1 Meter 94 Zentimeter maß, mit etwas hohen Stiefelhacken erreichte ich genau die Höhe von 2 Metern, trug ich einen Zylinder, so ging ich durch keine Tür, dabei war ich so eine Art von langbeinigem Windhund mit eingedrückten Weichen, und meine respektablen Schlenkerbeine kamen mir damals, als der wilde Stier hinter mir her war, außerordentlich zustatten.

      Meine letzte Reise hatte ich als zweiter Steuermann auf einem englischen Dampfer nach Valparaiso gemacht. Nach anderthalb Jahren kamen wir zurück, die Besatzung wurde in London abgemustert. Ich erhielt rund hundert Pfund Sterling ausgezahlt.

      Na, ich war noch jung – ach, noch so jung! – und ein Kopfhänger bin ich nie gewesen. Und nun das langweilige Leben mit Pökelfleisch und blau angelaufenem Salzspeck und steinharten Erbsen und wurmzernagtem Hartbrot! Anderthalb Jahre lang! Und der Seemann hat überhaupt ein ganz besonderes Blut in seinen Adern und ganz besondere Ansichten über den schnöden Mammon! Und wenn er kein Geld mehr hat, sucht er sich einfach eine andere Heuer und ist an Bord wieder wohlversorgt.

      Hundert Goldfüchse in der Tasche! Hei, wie die brannten! Lordmayor, was kostet dein London? Also nun man los! Natürlich immer per Equipage, immer aus einem Tingeltangel ins andere und den geschminkten Weibsbildern Champagner eingetrichtert!

      Gott sei Dank, es währte nicht einmal ganze acht Tage, so hatte die liebe Seele wieder Ruhe. Der schnöde Mammon war glücklich totgeschlagen. Jetzt also in das Heuerbureau einer Schiffsgesellschaft gegangen, Papiere vorgelegt – jawohl, mit Kußhänden, sogar gleich die Stelle eines ersten Steuermanns, zum ersten Male – zehn Pfund im Monat, ach, war ich glücklich! – Da bricht in London der große Dockstreik aus, die im Hafen liegenden Schiffe werden nicht gelöscht und nicht befrachtet, natürlich gehen keine Schiffe mehr ab, und alles ist vorbei!

      Jetzt schnell zu einem Heuerbas, dort Boardingmaster genannt, der mich auf Papiere, Kleidersack und auf mein ehrliches Gesicht hin in Kost und Logis nimmt, bis ich eine Heuer gefunden habe, die Schulden mit der Advancenote, d. h., mit der als Vorschuß gezahlten Heuer einiger Monate, deckend.

      Wenn man damals geahnt hätte, daß dieser Streik der Londoner Dockarbeiter – die deutschen Arbeiter nannten das damals noch ›Stricke‹ – so lange währen und alle englischen Häfen in Mitleidenschaft ziehen würde, so hätte kein Heuerbas einen stellenlosen Seemann auf Risiko aufgenommen. Na, Ausnahmen gibt es ja schließlich immer, und mit mir hatte die Fatje Mine auch schon eine Ausnahme gemacht, hatte ich bei der doch schon manche Fünfpfundnote wechseln lassen, ohne einen Penny wieder herauszubekommen, hatte ich bei der doch schon manchmal tief in der Kreide gesessen, als Matrose noch, und meine Schulden immer ehrlich bezahlt. Aber wenn ich selbst geahnt, daß der Streit so lange dauerte, so hätte ich doch die paar Schillinge aufgetrieben und wäre als vollausgerüsteter Seemann schleunigst nach Holland gefahren.

      So blieben alle Seeleute in London, und ich begab mich nach dem Westindia-Dock zur Fatje Mine, die mich mit offenen Armen aufnahm und gleich ans Kap der guten Hoffnung, wie wir ihren gewaltigen Busen bezeichneten, drückte. Sie hatte noch einen Mann, der war der eigentliche Boardingmaster, aber seine Frau, die Fatje Mine, eine überdicke Holländerin von ungefähr 125 Kilo, schon über das mittlere Alter hinaus, hatte die Hosen an und war die Seele des Seelenverkäufergeschäftes.

      Und nach sechs Wochen hatte sie mich denn auch wie noch manch anderen braven Seemann mit Haut und Haaren, mit Leib und Seele samt Kleidersack in der Tasche. Denn natürlich hatten wir doch unsere Papiere und Sachen abgeben müssen. Und was soll denn ein Matrose ohne Papiere und Zeug anfangen? Und in meinem Kleidersack befand sich auch noch der kostbare Sextant, ohne welches Instrument der Steuermann aufhört, ein Steuermann zu sein. Und von Hause hatte ich keinen Pfennig zu erwarten. Also konnte ich gar nicht mehr fort, jetzt hieß es warten, bis … bis in die Puppen, bis in London wieder die Seefahrerei losging.

      Nun, man ist bei den Heuerbasen stets gut aufgehoben, mögen sie auch samt und sonders Seelenverkäufer sein. Ehe diese abgeschafft werden können, müssen erst andere Einrichtungen getroffen sein daß, der stellenlose Steuermann Kredit erhält. Wir hatten jeder ein gutes Bett, bekamen gut und reichlich zu essen, und ich besonders hatte nicht zu klagen; denn ich hatte bei der Fatje Mine von jeher einen großen Stein im Brett gehabt, und wenn ich sie einmal allein erwischen konnte, in der Küche oder noch besser im dunklen Keller, am allerliebsten aber in der Speisekammer, so schlang ich meinen Arm um ihre dralle Taille und drückte ihr einen Kuß auf; das nahm sie durchaus nicht übel, im Gegenteil, dafür schmierte sie mir die Butter etwas dicker aufs Brot, legte auf die obere Schnitte noch extra eine Schinkenscheibe, steckte mir einmal eine Buttel Bier zu, eine Handvoll Tabak, den sie erst ihrem Alten aus dem Knasterkasten stibitzte – die anderen Logierer hatten nicht etwa solche Vorteile, da gab es nichts bei der Fatje Mine.

      Nur Geld bekam ich nicht von ihr. Anpumpen ließ sie sich nicht. Die Fatje Mine war selber auf jeden roten Penny versessen wie der Teufel auf jede Seele. Ich versprach ihr sogar, sie nach dem Tode des Alten zu heiraten, meinetwegen noch eher, ich, ihr zwei Meter langes Herzblättchen – allein auch das zog nicht. Und in derselben Geldklemme befanden sich natürlich auch meine Maate, und es wimmelte doch in der Nachbarschaft von Bierhäusern, und trotzdem litten wir an ewigem Durst.

      Zuerst hatten wir uns ja zu helfen gewußt, jeder hatte doch irgend etwas Versetzbares bei sich gehabt. Ich für meinen Teil hatte zuerst meine silberne Uhr zu Samuel Cohn getragen; dann war die goldene Nadel darangekommen, die ein seidenes Halstuch zusammenhielt; dann dieses Halstuch selbst, dann eine Meerschaumpfeife; dann zuletzt sogar mein Taschenmesser. Jetzt war mir von meinen früheren Besitztümern nur noch in der rechten Westentasche ein silberner Zahnstocher geblieben, den mir auf der vorletzten Reise eine schwarze Hotelköchin in Kapstadt als Andenken ihrer unwandelbaren Liebe geschenkt hatte. Samuel Cohn hatte mir beim zufälligen Anblick desselben sofort einen Penny dafür geboten, war bis zu drei Pence in die Höhe gegangen, allein ich … ich … nicht gerade, daß ich mit besonderer Zärtlichkeit an die schmalzduftende Köchin aus dem Mohrenlande gedacht hätte … es widerstrebte mir eben, auch noch mein letztes Besitztum zu veräußern; was nützten mir denn jetzt noch drei Pence, und ein silberner Zahnstocher ist doch etwas Schönes, es macht doch immer einen gewissen Eindruck von Wohlhabenheit, wenn man sich mit solch einem silbernen Dinge in den Zähnen herumstochert – kurz, ich war eben trotz der Einflüsterungen aller Teufel nicht zu bewegen, ihn in Bier umzusetzen.

      Eines Abends stehe ich in der Cablestreet unter einer Laterne und philosophiere über die Nichtigkeit dieses Daseins, da … »Hallo, Stürmann!!« … da ist’s der Ernst, ein deutscher Matrose, mit dem ich die vorletzte Reise zusammen gemacht hatte, ebenfalls noch als Matrose, wenn auch schon im Besitze des Steuermannspatentes.

      Ist mit der ›Anna Colmann‹ von Australien gekommen, heute abend abgemustert worden, hat die ganze Tasche voll Geld.

      Herrgott im Himmel, wurde das eine Sauferei! Man verzeihe den Ausdruck, aber anders läßt es sich nicht bezeichnen.

      Wie gewöhnlich an Land weckte mich das erste Morgengrauen. Tatsache war, daß ich in meinem Bett lag. Aber fragt mich nur nicht, wie ich hineingekommen war. Keine Ahnung! Doch Kopfschmerzen und solche Schwachheiten gab’s bei mir nicht. Auch sonst war alles in Ordnung, meine Sachen lagen sauber zusammengefaltet auf dem Stuhle.

      Alles um mich herum schnarchte noch. Wenn ich einmal wach bin, duldet es mich nicht mehr in der Koje. Also mit gleichen Füßen heraus, angezogen, aus der Küche ein Waschbecken geholt und in den Hof an die Plumpe gegangen.

      Als ich das Waschbecken zurücktrug, war in der Küche schon Mary, das Faktotum des Hauses, eine Jungfrau von etlichen dreißig Jahren, seit einem Jahrzehnt schon verlobt mit einem Werftschreiber, der gleichfalls in diesem Boardinghause wohnte. Die diesem Verlobungsverhältnisse nach und nach entsprießenden Kinder gab Mary irgendwo anders zum Aufheben. Aber sonst war es ein gutes Mädchen.

      »Na, da gratuliere ich dir schönstens zum Geburtstage, und laß dir’s immer recht gut gehen.«

      Mit diesen Worten reichte sie mir ihre rote, aufgesprungene Hand.

      Was, Geburtstag? War denn


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