Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker) - Robert Kraft


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sich etwa noch 150 Schritte entfernt befand.

      Wenn ich um den Baum herumgaloppierte, daß sie mir gerade vor die Augen kam, musterte ich sie recht genau.

      Sie war offenbar viel zu hoch, als daß ich ihren Rand im Sprunge mit den Händen erreichen konnte. Außerdem hatte ich eine höllische Angst vor Glasscherben, mit denen ich einmal als Junge eine böse Erfahrung gemacht. Aber dort, etwas seitwärts, wurde sie durch ein Stückchen Bretterzaun unterbrochen, der bedeutend niedriger war.

      Mein Entschluß war gefaßt. Entweder – oder. Jetzt kam es darauf an, wer schneller war, ich oder der Ochse. In solchen Fällen, wenn es ums Leben geht, darf man seine Person zuerst nennen.

      Zuerst die Pfeife, welche durch den Luftzug noch immer brannte, ausgedrückt, damit ich sie in die Tasche stecken konnte, weil ich dann doch meine beiden Hände brauchte, und nun los, für Gott, König und Vaterland!!

      Ohne Zweifel war das Vieh schneller als ich. Glücklicherweise aber war mein Verfolger über die Aenderung meiner Taktik verdutzt, er blieb stehen, was ich ganz deutlich merkte, blickte mir nach – schon hoffte ich, meinen Schritt mäßigen zu können, als sich der Ochse abermals in Karriere setzte, mir nach. Es hatte nur einiger Zeit bedurft, ehe sein gehörntes Ochsengehirn meinen neuen Rückzugsplan begriffen.

      Trotzdem sah ich mich bereits gerettet. Ich hatte durch das Simulieren meines Feindes einen guten Vorsprung gewonnen und schlenkerte meine Spazierhölzer mächtig. Nun rief ich bloß noch den heiligen Petrus als den Schutzpatron aller Wasserratten an, daß er dort oben auf dem Zaune keine Nägel habe wachsen lassen, oder sie möchten doch wenigstens so weit auseinanderstehen, daß ich unverletzt dazwischengreifen könnte, auch für meine unschuldigen Hosen stehte ich zum Schutzpatron um gütige Rücksicht empor — und dann hing ich oben und schwang mich hinauf.

      Dem heiligen Petrus sei Dank – überhaupt keine Nägel! Und dann stand ich drüben auf der anderen Seite.

      Was ich nun beschreibe, war für mich nur eine Vision, hatte ich zum Anblick doch auch nur wenige Sekunden Zeit. Aber einmal habe ich ein sehr gutes Auge, und dann ist wohl bekannt, daß sich gerade bei solchen visionsartigen Zuständen dem Gedächtnis alles außerordentlich scharf einprägt. Noch heute sehe ich alles und fast jede einzelne Person deutlich vor mir.

      Es war ein parkähnlicher Garten, in dem ich mich befand; zwischen den Bäumen schimmerten in der Ferne weiße Häuser, und auf dem Kieswege, dicht vor mir, bewegte sich ein seltsamer Zug.

      Ja, war ich denn durch den Sprung über die Bretterwand plötzlich in die klassischen Zeiten des alten Rom oder Griechenland versetzt worden? Ich entschied mich für Rom, noch vor Christi Geburt.

      Vornweg schritten feierlich zwei Männer, mit langen Lanzen bewaffnet, bekleidet mit der weißen Toga, welche von einem silbernen Gürtel zusammengehalten wurde, an den nackten Füßen Sandalen, das lange, schwarze Haar aus der Stirn von einem silbernen Reif zurückgehalten. Diesen Lanzenträgern folgten sechs andere Männer, noch sehr jung, ausgesucht schöne Jünglinge, ganz ebenso nach römischem Muster gekleidet, aber anstatt der Lanzen in den Händen Saiteninstrumente, Flöten und Zimbeln, auf denen sie eine alte, schwermütige Weise spielten.

      Hierauf kamen vier Römer, welche eine offene Sänfte trugen, und diese ward noch von sechs römischen Rittern begleitet, ausgerüstet mit stählernem Schuppenpanzer und Beinschienen, das Haupt mit einem phantastischen Helm bedeckt, die Unterschenkel aber bis auf die Sandalen nackt; diese waren mit kurzen, breiten Schwertern bewaffnet, welche sie entblößt in der Hand hielten.

      Ihnen schlossen sich noch eine ganze Menge von römischen Jungfrauen an, alle mit der weißen Tunika bekleidet, das Haar in der bekannten römischen Weise aufgesteckt, reichgeschmückt mit Ketten, Reifen und anderem Zierrat. Jede hatte in beiden Händen etwas zu tragen, meist zierliche Kästchen, die Toilettengegenstände einer reichen Römerin enthaltend, andere wiederum trugen silberne Tafeln und Teller, auf denen Weintrauben, Birnen, Feigen, Granatäpfel und andere Früchte lagen, welche hier nur aus dem Treibhause stammen konnten.

      Ich hatte einmal ein berühmtes Gemälde gesehen: Reiche Römerin auf dem Wege zum Bade – hier war dieses tote Bild zur lebendigen Wirklichkeit geworden. Ganz genau dasselbe.

      Nun fehlt noch die Hauptperson, eben die nach dem Bade getragene römische Herrin.

      Auf der offenen Sänfte stand ein goldener oder doch vergoldeter Thronsessel, und auf diesem saß ein Mädel – (ich schreibe absichtlich so, wie ich mich damals ausdrückte). – Sie mochte vielleicht zwanzig Jahre alt sein, ihre Gestalt wurde von dem weiten Gewande unkenntlich gemacht, welches sich von dem der Dienerinnen nur dadurch unterschied, daß es aus einem feineren Stoff und mit einem Purpursaum eingefaßt war – ganz genau wie auf jenem Bilde – auch trug sie um die Stirn ein goldenes, reich mit Juwelen besetztes Band. Es war ein römischer Tituskopf, freilich ein solcher von rotblonden Locken, welche in der Sonne Funken sprühten, und auch sonst hatte die Dame, wie ich nun doch lieber sagen will, wenig Aehnlichkeit mit einer Römerin. Das war eine Engländerin oder doch eine echte Germanin. Sonst ein seltsames Gesicht, das der jungen Dame! Wäre es ein Mann gewesen, so hatte man von weibischen oder mädchenhaften Zügen gesprochen. Da es aber einem Weibe angehörte, so war es ein hübsches, trotziges Knabengesicht.

      Man sieht, ich hatte die wenigen Sekunden, die mir zum Studium der ganzen Szene blieben, ausgiebig benutzt. Das lag eben in der ganzen Situation, auch kam mir die Erinnerung an jenes Bild zu Hilfe.

      Aber noch ist eine andere Hauptperson zu erwähnen: Die feine, reichberingte Hand der jungen, römischen Herrin spielte mit den gelben Kopfhaaren eines ausgewachsenen, mächtigen Löwen, oder vielmehr einer Löwin, welche würdevoll neben der Sänfte einherschritt, fessellos, ohne Maulkorb – der sicherste Schutz für den, dem es gelungen war, die Wildheit des furchtbaren Raubtieres für sich selbst in Treue zu verwandeln.

      So bewegte sich die Prozession feierlich an der Mauer entlang.

      Da kam ich über die Bretterwand voltigiert. Ich kann nur sagen, daß die Menschen gar nicht recht dazukamen, über mein unerwartetes Erscheinen zu staunen – ich hatte mit dem ersten Blick alles umfaßt, der Zug dagegen geriet gar nicht ins Stocken, obgleich alles mich wie ein Phantom anstarrte – da plötzlich donnerte, krachte und prasselte es hinter mir, verschwunden war die Bretterwand, und aus der Staubwolke tauchte die weiße Gestalt des riesigen Ochsen auf.

      Der hatte nicht nötig gehabt, die Bretterwand erst zu übersteigen. Nun ein einziges Stutzen, dann wieder den behörnten Kopf zwischen die Vorderbeine genommen und von neuem mit einem dumpfen Brüllen der Wut drauf los!

      Unbeschreiblich ist die Szene, die sich jetzt abspielte. Es währte ja alles nur einen einzigen Augenblick. Und dennoch erinnere ich mich jeder Einzelheit noch ganz deutlich.

      Ein wilder Stier! Dieser Gedanke genügte. Die vordersten beiden Römer ließen die Lanzen fallen und flohen dem nächsten Gebäude zu. Die römischen Spielleute schleuderten Harfen, Flöten und Zimbeln von sich und folgten. Die römischen Schwertträger schlossen sich ihnen gleichfalls an, und wen das Schwert beim Laufen hinderte, der warf es weg. Die Jungfrauen hatten natürlich erst recht ihre Kästchen und die Schalen mit dem ganzen Gemüse fallen lassen, rafften ihre langen Gewänder hoch und liefen, was sie laufen konnten.

      Und der Löwe? Der machte mir den meisten Spaß. Er mochte schon wissen, daß mit einem wildgewordenen Stier schlecht Kirschenessen ist, oder es war ein angeborener Instinkt, wie ja auch in der Wildnis der Löwe dem Kafferbüffel ängstlich aus dem Wege geht – kurz, auch mein Löwe kniff den Schwanz ein und jagte wie ein Hase über die Blumenbeete davon.

      Die Träger hatten die Sänfte gleich fallen lassen, um ihr Heil in schleuniger Flucht zu suchen, und das sollte für die Dame bös werden.

      So unsanft plötzlich auf den Boden gesetzt, war sie mit dem Thronsessel umgestürzt, raffte sich schnell wieder auf, aber sie stand mit den Füßen auf dem schleppenden Gewande, hatte sich darin verwickelt, konnte keinen Schritt tun, und so stand sie etwas zusammengeduckt da, die Hände erhoben, um sie vor die Augen zu schlagen,


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