Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker) - Robert Kraft


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schon zwiebeln! Umsonst sollten die keine so hübiche Uniform mit goldenen Knöpfen tragen.

      »Oooh,« fing Blodwen mit ganz rotgewordenem Gesicht wieder an, »o, Richard, warum bist du nicht mitgefahren? – Du müßtest am Steuer sitzen – nein, vorn müßtest du stehen – hochaufgerichtet – die Rettungsleine in der erhobenen Hand – du müßtest winken … «

      »Und dabei die Arie aus dem ›Fliegenden Holländer singen,« ergänzte ich.

      Sie verstand meinen Spott ob ihrer phantastischen Malerei nicht, hatte mich wohl gar nicht gehört. Jetzt wurde sie ängstlich.

      »Ob sie ihn noch retten können?«

      »Sicher.«

      »Nein,« jammerte sie, »der Unglückliche geht unter!«

      »Er wird gehn nix unter,« mauschelte ich mit der Handbewegung eines alten Juden und gab dann einige Segelkommandos, um das Schiff wieder etwas mehr in den Wind zu bringen. Zeit hatten wir übrigens ja; wir waren uns noch nicht einmal über das nächste Ziel klar.

      Als ich dann meine Aufmerksamkeit wieder dem Boote zuwandte, war die ›Rettung‹ bereits geschehen. Soeben wanderte der Schiffbrüchige in meinen Kutter hinüber.

      »Das ist aber ein kleiner Mann!« meinte Blodwen. »Wie ein Zwerg.«

      »Es wird so ein Portugiese sein, bei dem mächtig krumme Beine zur edlen Geburt gehören.«

      »Nein, krumme Beine hat er nicht – ganz gerade.«

      »Kannst du das so genau von hier aus erkennen? Na, dann ist er eben im ganzen so klein geraten.«

      »Hat er nicht ein weißes Tier unter dem Arme?«

      »Ja, mir kommt es auch so vor. Es scheint eine Katze zu sein. Was, haben jetzt auch schon Boote ihre Schiffskatze? Aber jede echte Schiffskatze muß schwarz sein, sonst bringt sie kein Glück.«

      »Du, Richard, so eine Schiffskatze müssen wir uns auch noch anschaffen. Ja, ich habe davon gehört. Warum hast du denn das Glück vergessen?«

      »Ich fürchte nur, deine Höllenhunde hätten der armen Katze wenig Glück gebracht.«

      Warum die beiden Bulldoggen, welche, der römischen Villa entsprechend, auf die klassischen Namen Achilles und Diomedes hörten oder vielmehr nicht hörten, von der Mannschaft nur ›Höllenhunde‹ genannt wurden, werden wir später erfahren, wenn ich auf die Einzelheiten unseres ebenfalls klassischen Bordlebens näher eingehe. Jetzt will ich nur erwähnen, daß keiner meiner Leute noch einen ganzen Hosenboden hatte. Uebrigens war Held Achilles weiblichen Geschlechtes und hatte erst gestern in der Koje des zweiten Steuermanns fünf Junge geworfen, die gleich zähnefletschend zur Welt gekommen waren.

      Ich hatte mir ein Fernrohr bringen lassen.

      »Ist es eine Katze?« fragte Blodwen, als ich das Glas am Auge hatte.

      »Ja, aber sie dürfte für gewöhnlich bellen. Das ist entweder ein Spitz oder ein Pudel.«

      Blodwen bemächtigte sich des Fernrohrs, konnte aber den Punkt nicht finden, was auf See auch gar nicht so einfach ist.

      Aus dem jetzt schnell sinkenden Boote, das aber trotzdem ins Schlepptau genommen wurde, da es ja auch kaum gänzlich sank, wurde eine Menge Kisten und Kasten und Fässer herübergenommen, so daß ich nicht auf einen Fischer schließen konnte.

      »Es wird doch nicht ein Schmuggler sein, dem die Morgenröte zu früh gekommen ist?« meinte ich. »Ein Sportsboot ist es nicht, vielmehr ein sehr starkes Seeboot, fähig, den stärksten Wogenschlag auszuhalten.«

      »Vielleicht ein Mann, der in dem Boote eine weite Seereise machen will, er hat viel Proviant mitgenommen.«

      Ich mußte ob solch einer naiven Ansicht lachen. Um mich dann schämen zu müssen. O, ahnungsvoller Engel du!

      Mein Kutter zog durch. Hinterher schwabbelte der kurze Mast, der allein noch aus dem Wasser ragte, und je näher sie kamen, desto mehr wuchs unsere Spannung.

      Das war entweder wirklich ein Zwerg oder – nein, das war ein Junge, höchstens ein zehnjähriger!

      Wie kam der in dem Boote so weit in die See hinaus? Und wie brav er sich in dem sinkenden Fahrzeuge gehalten hatte!

      Der Kutter legte bei. An dem ausgeworfenen Fallreep kletterte zuerst der Junge herauf, unter dem Arme den weißen Pudel, den er gleich an Deck springen ließ, und …

      Ich sehe das Kerlchen noch vor mir stehen, so wie es damals vor mir stand. Ich weiß nicht recht, womit ich bei der Beschreibung anfangen soll. Vorausschicken will ich, daß er zwölf Jahre alt war, für dieses Alter aber noch klein und dabei ziemlich dick. Kurz und dick wie ein Stöpsel. Ueberhaupt ein richtiger Stöpsel. Und was das allgemeine Aeußere anbetrifft, so war alles ein undurchdringlicher Teerkleister. Natürlich, er hatte ja auch, wie es sich später herausstellte, sein möglichstes getan, das große Leck mit Teerpfropfen zu dichten. Was für Kleider und Züge sich unter der allgemeinen Teerschicht versteckten, war nicht zu erkennen. Nackte Füße, schwarze, etwas lange Haare, schwarze Augen, die mich frech oder doch selbstbewußt anblickten – so stand er breitbeinig vor mir, und jetzt versenkte er seine schmierigen Pfoten in die Hosentaschen und reckte den Bauch heraus.

      »Hallo!« war das erste Wort, das ich aus dem teerigen Maule zu hören bekam.

      »Hallo!« antwortete auch ich.

      »Was für eine Schipp ist das?«

      »Die ›Sturmbraut‹ von London.«

      Ich muß etwas perplex gewesen sein, daß ich dem dummen Jungen so sachgemäß antwortete. O, ich sollte bald noch etwas ganz anderes werden.

      »Wer ist der Käpt’n?«

      »Ich selber – Kapitän Richard Jansen.«

      Der Junge reckte den Bauch noch weiter heraus.

      »Kapitän Karl Algots vom ›Albatros‹. Na, mein Schiff wird wohl leck für immer sein.«

      Wenn man etwas erlebt, was einem noch nicht passiert ist, so in einem kritischen Moment, hat man oftmals recht seltsame Gedanken, die mit der Sache gar nichts zu tun haben. Wenn ich z. B. als Junge vor meinem Lehrer stand, weil ich wieder einmal einen Streich ausgefressen hatte, und der würdige Herr holte aus zu einer langen Strafpredigt, wie ich denn so etwas tun könnte, ich sollte doch dereinst Pastor werden – dann konnte ich plötzlich den Gedanken bekommen: Herrgott, wenn dem jetzt die Hosen herunterrutschten! Und als ich als Steuermannskandidat vor dem Examinator stand, der an den Füßen mächtige Frostballen hatte, grübelte ich immer darüber nach, wie der Schuster dem wohl die Stiefel anmaß und dann ins Leder die kugelförmigen Hohlräume hineinbrachte.

      In diesem Augenblick jetzt wunderte ich mich weniger darüber, wie sich dieser kleine Junge so selbstbewußt Kapitän nennen, auch so auftreten konnte – ich dachte nur daran, daß der Junge, welcher Algots hieß, dann sicher aus Ritnese stammte, einem idyllischen Flecken am Strande der unteren Elbe, dem Ruhesitz von pensionierten Kapitänen, wo jede dritte Familie den Namen Algots führt.

      Der Junge nahm die heraufgereichten kleinen Kisten und Fässer in Empfang. Ich war noch immer baff. Ich brauchte unbedingt einen Reim. Gewiß, hier reimte sich etwas nicht zusammen. Das empfanden auch alle anderen, so standen sie alle da.

      Da trat der Bootsmann, der sich an Deck geschwungen, zu mir.

      »Hört, Käpt’n,« flüsterte er mir zu, »mit dem Jungen ist nicht zu spaßen – der hat den Teufel im Leibe – als ich ihn ausfragen wollte, fuhr er mir übers Maul, daß es nur so seine Art hatte – nur der Kapitän habe ihn zu fragen – er sei selber Kapitän – und einen Sextanten hat er auch.«

      »Was, einen Sex-Sextanten hat er auch?« stotterte ich gedankenlos nach.

      Dann raffte ich mich empor. Es war doch lächerlich. Der erste Steuermann kam mir zuvor.

      »Das ist ja ein Zigeunerjunge!« lachte er.

      »Wat?!«


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