Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft
Arsenik konstatiert.
Ich hin. Es war gar nicht so schlimm. Ihr gesunder Magen hatte das bleischwere Gift, in großen Körnern der Schokolade beigemischt, keine Sekunde behalten. Sie hatte nur etwas Krämpfe. Am schlimmsten war ihr Benehmen. Sie wollte das ihr vom Arzte gereichte Gegenmittel nicht nehmen.
»Dieser Mann ist nur bestochen, mich noch mehr zu vergiften!« schrie sie in einem fort, und dann wollte sie an meinem Herzen sterben.
Ich trank aus der Flasche – frisch gefälltes Eisenhydrat, welches mit Arsenik eine unlösliche und harmlose Verbindung eingeht. Da trank auch sie aus meiner Hand, und dann war sie völlig gerettet.
»Aller guten Dinge sind drei,« sagte ich, »und nun begeben wir uns sofort an Bord, in unser Königreich, da kann so etwas nicht mehr Vorkommen.«
Wir stellten nicht die geringste Untersuchung an, wer das Gift in die Schokolade getan haben könnte. Was für einen Zweck hätte das gehabt? Nur aufgehalten konnten wir werden. Und die Quelle, aus der das Gift kam, wußten wir ja doch.
Wir gingen, wie wir standen. Blodwen hatte ein Morgenkostüm an, in dem sie sich überall sehen lassen konnte. Alles, alles wurde zurückgelassen. Es ging eben in eine neue Welt, nur daß man in diese nicht so ganz nackt hineingeboren werden kann. Nur die beiden Bulldoggen folgten uns als freiwillige Begleiter.
Während der Eisenbahnfahrt erholte sich Blodwen Vollständig wieder, und als sie nun das Schiff sah, als sie es betrat, als ich sie herumführte, ihr alles zeigte, da Verwandelte sie sich in ein freudestrahlendes Kind, das an den reichbesetzten Weihnachtstisch geführt wird, mit zitternden Händen mußte sie alles untersuchen, und ihr Mund floß über vor Jubel. Besonders in der Einrichtung ihrer eigenen Kabinen hatte ich mich auch wirklich selbst übertroffen.
Aber ein selbstquälerischer Gedanke mußte sich dann doch beimischen.
»Und wenn das Schiff nun einmal untergeht?«
»Es ist alles versichert.«
Da richtete sie sich mit blitzenden Augen auf.
»Ich aber werde mit dieser meiner Welt untergehen!!«
Sie sprach mir ganz aus dem Herzen. Wenigstens so, wie ich es mir früher gedacht hatte – wenn ich auf irgendeine Weise zu einem Schiff gekommen wäre – ich hätte die großen Versicherungssummen gespart, ich hätte ebenfalls va banque gespielt – freilich nicht länger, als ich es nötig gehabt hätte.
Dann bemächtigte sich ihrer doch, wie zu erwarten gewesen, eine große Schwäche, ich brachte sie zu Bett, und dann ließ ich im Zwischendeck alle Mann antreten, ich erzählte ihnen offen alles, was ich selbst von Lady Blodwen wußte, von ihrer unglücklichen Ehe, von ihren Vermögensverhältnissen, von den Verfolgungen, denen sie ausgesetzt, von dem neuen, erst vor einer Stunde stattgefundenen Vergiftungsversuch – und ich hatte kaum nötig, den Leuten zu sagen, warum die Lady sich fernerhin ganz auf diese Jacht zurückziehen wolle – noch weniger hätte ich nötig gehabt, ihren Schutz jedem einzelnen dieser Männer ans Herz zu legen – Rufe der allgemeinen Entrüstung wurden laut, schreckliche Flüche, die aber aus ehrlichstem Herzen kamen – und ich wußte, daß ich die Geliebte jedem einzelnen dieser rohen Matrosen und Heizer anvertrauen durfte. Spezielle Vorsichtsmaßregeln, wie, daß kein fremder Mensch noch das Deck betreten dürfe, brauchte ich gar nicht mehr zu geben.
Zwei Stunden später nahm ich mit Blodwen zusammen die erste Mahlzeit in der Kajüte ein.
»Richard,« sagte sie, »ich habe es mir überlegt – jetzt während des Schlafens kam mir der Gedanke – ich möchte alles, worüber ich noch verfügen kann, mit an Bord nehmen. Denn man kann mir doch einmal Schwierigkeiten machen, und was soll mit uns geschehen, wenn wir einmal kein Geld haben?«
Sie sprach meinen eigenen Gedanken aus. Ich wußte ihr aber noch etwas ganz anderes zu erzählen.
Es waren fast immer noch 400 000 Pfund, die sie auf der Bank liegen hatte.
»Papiergeld ist aber doch gar leicht verderbliches Zeug. Wir müssen alles in barem Gold an Bord nehmen.«
Mit ängstlichem Staunen blickte sie mich an.
»Wenn das Schiff aber nun doch einmal untergeht?«
»Das Gold soll nicht mit untergehen.«
»Wie meinst du das?«
»Das Gold haben wir schon vorher auf dem Meeresboden versenkt, wo der den Schiffbruch Ueberlebende es immer wieder zu finden weiß und abholen kann.«
Ich erklärte weiter. Ueberall im Meere, auch mitten im Ozean, gibt es Untiefen, Sandbänke, steinige Gründe, die sich nur wenige Faden unter der Wasseroberfläche befinden. Auf den Seekarten wimmelt es von solchen Angaben.
»An solchen Stellen versenken wir nach und nach das Gold, an den verschiedensten, in allen Meeren, unsere Schatzkammer ist über die ganze Erde verbreitet, soweit diese mit Wasser bedeckt ist, und wenn wir etwas brauchen, holen wir uns die genügende Menge herauf, dazu brauchen wir nicht einmal einen Taucher hinabzuschicken, der höchstens vierzig Meter tief dringen kann, wir können uns Tiefen von Hunderten von Metern aussuchen, nur muß das Gold dann in kleinen, festen, eisernen Schatullen verpackt werden, die wir dann ganz einfach durch einen kräftigen Magneten wieder heraufholen.«
Blodwen bekam wieder einmal ganz große Augen.
»Ja, kann man denn aber diese Stelle im Meere immer so ganz genau wiederfinden?«
O, was darin der Seemann leistet, das konnte ich ihr an einem Beispiel erläutern.
Aller drei Jahre schickt England ein Kriegsschiff um die Erde. Kurz nach der Abfahrt, aber schon im offenen Meere, versenkt dieses Schiff irgendwo eine Kanonenkugel – nur muß bekannt sein, was eben vorher ausgelotet wird, daß der Meeresboden dort eben nicht gar zu tief ist und keinen zu weichen Sand hat, sonst nichts weiter – die Stelle wird geographisch bestimmt, das Schiff macht seine Reise um die Erde, kehrt nach drei Jahren zurück, eine geographische Berechnung nach der Sonne, ein Magnet wird herabgelassen, dieser holt die Kanonenkugel wieder herauf.
Früher wurde das gemacht, um Chronometer und die anderen Instrumente zu prüfen, heute ist das nur noch eine Spielerei, ein alter Gebrauch, es ist auch etwas seemännischer Aberglaube dabei.
Jedenfalls aber zeigt das, wie man fast einen Punkt auf der planlosen Oberfläche des Meeres, mag diese auch noch so aufgewühlt sein, gewissermaßen festnageln kann, für immer, fast für die Ewigkeit; denn eine Schwankung der Erdaxe und alles andere, was mit der Zeit eine Verschiebung dieses gedachten Punktes herbeiführt, das haben die Astronomen ebenfalls schon für Jahrhunderte vorausbestimmt und in Tabellen festgelegt. Und das kann auch jeder andere Steuermann, solch einen gedachten und bestimmten Punkt im Weltmeer wiederfinden. Nur rechnet er dabei nicht nach seinen gewöhnlichen, nautischen, fünfstelligen Logarithmentafeln, sondern nach den astronomischen mit fünfzehn Dezimalstellen, was ja aber nur etwas umständlicher ist, sonst auch nichts weiter.
Wie ich es sonst mit dem Versenken halten wollte, wird später in Wirklichkeit gezeigt werden.
Nachdem Blodwen die absolute Sicherheit dieser Art Aufbewahrung von Geld, das sich nicht zu verzinsen braucht und auch nach dem Tode des Besitzers in keine fremde Hände fallen soll, erkannt hatte, war sie gleich Feuer und Flamme für meine Idee. So zu wissen, daß das unendliche Meer, welches einem die Heimat ist, zugleich die eigene Schatzkammer – nur ein Zettelchen auf der Brust, in Hieroglyphen geschrieben, für jeden anderen unlösbar – man selbst imstande, jederzeit heraufzuholen, was man will, wenn nicht von, diesem Schiffe, dann von einem anderen aus – verloren für die ganze andere Welt – beim Tode schaukelt man hinab zu seinem goldenen Eigentum – das war ja nun so etwas für dieses phantastische Weib!
Und wenn sie eben nicht wollte, daß nach ihrem Tode irgend etwas den feindlichen Erben in die Hände fiel, so war es auch wirklich der beste Rat, den ich ihr geben konnte – trotz aller Phantasie – und übrigens war so etwas auch ganz nach meinem eigenen Geschmack.
Ich begab mich sofort nach der englischen Bank – morgen vormittag würde ich das ganze, auf meinen