Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft
Fabrik auch gleich fünfhundert stählerne und ausgezeichnet lackierte Kassetten bekommen, die ich sofort nach dem Katharinendock überführen ließ.
Auf dem Rückwege begegnete ich einem Beamten jenes Heuerbureaus, der mir hastig zurief, es sei schon ein Schiffsarzt unterwegs.
Als ich an Bord kam, war der Geschickte noch nicht dagewesen. Aber er kam sehr bald. Der Mann gefiel mir gar nicht. Für einen Schiffsarzt noch jung, vielleicht dreißig Jahre, stark jüdisch aussehend, das voll Pomade geschmierte Haar in der Mitte wie mit dem Lineal gescheitelt, hinter dem Klemmer auf der krummen Nase stachen die Augen wie Dolche, wie ein Gigerl gekleidet, mit Lackschuhen, sogar ein silbernes Armband mit Gebammel dran … und dennoch erkannte ich sofort, daß es ein ›Befahrener‹ war. Das erkannte ich nämlich gleich daran, wie er mit dem am Laufbrett postierten Matrosen verhandelte, und dann noch mehr, wie er vor mir selber stand.
Es ist nämlich nicht so leicht für einen Arzt, zur See zu gehen. Ach, da muß der arme Aeskulapsjünger noch viel lernen, da muß er sich gar viel gefallen lassen!
Ich bin der Kapitän, und du bist nur mein Schiffsarzt – Maul gehalten und Hände an die Hosennaht! — und das sprechen dem Kapitän alle Offiziere nach, und so denkt sogar der einfachste Matrose. Sie alle sehen ihn nicht für voll an. Der Schiffsarzt ist nur so ein geduldetes Uebel.
Auf den Salondampfern ist das heute anders geworden – aber sonst, auf den gewöhnlichen Auswandererkästen ist es immer noch so, und nun gar erst auf den englischen, holländischen und französischen Truppentransportdampfern – ach, was sich da so ein Schiffsarzt bieten lassen muß!
Es gibt einen ganz treffenden Vergleich: der Schiffsarzt ist das, was an Land ein Hauslehrer ist: mehr Sündenbock als Kindererzieher, der das Decken der Tafel überwacht, den Gästen zum Tanze aufspielt, sie sonst unterhalten muß – – ein Mädchen für alles.
Ich hatte vor, meinem Schiffsarzte eine andere Behandlung zuteil werden zu lassen – doch dem hier nicht, den nahm ich überhaupt gar nicht an.
Hinwiederum gefiel mir, daß er schon die Bordroutine kannte. Da gibt es nicht etwa eine Vorstellung – »mein Name ist Doktor Soundso, ich habe die Ehre und erlaube mir … « – er ging auf mich zu, nahm vor mir Stellung, Klemmer ah, und schweigend reichte er mir seine Papiere, obenauf die Order vom Heuerbureau.
»Schiffsarzt?«
»Jawohl, Herr Kapitän.«
»Wie lange?«
»Einundachtzig Monate Seefahrtszeit.«
Oho! Das imponierte!
»Jude?«
»Christ.«
Unterdessen hatte ich das Seefahrtsbuch aufgeschlagen.
»Dr. Oswald … *was?! Sie heißen Selo?«
»Jawohl, Herr Kapitän.«
»Sind Sie verwandt mit dem Dr. Alois Selo, dem Arzte der Lady Esther Stanhope, der auch ihre Biographie geschrieben hat?«
»Das war mein Vater.«
So ein merkwürdiger Zufall!! Denn wie ich bald herausbrachte, wußte er gar nicht, daß sich an Bord Lady Blodwen befand, nicht einmal, daß die Lady Esther Stanhope die Großtante von ihr gewesen sei. Nicht die geringste Ahnung! Er hörte etwas ganz Neues.
Ich will gleich jetzt alles mitteilen, was ich über Dr. Oswald Selo zu sagen habe, oder doch, was ich so nach und nach von ihm erfuhr.
Sein Vater hatte noch in späten Jahren eine Malteserin geheiratet – daher auch das orientalische Aussehen – sein Sohn hatte ihn gar nicht mehr gekannt, konnte auch von dem ganzen Verhältnis zu Lady Stanhope absolut nichts weiter erzählen, als was sein Vater veröffentlicht.
Oswald Selo hatte in Wien und Paris studiert, hatte seine ärztliche Karriere gleich als Schiffsarzt begonnen, auf französischen Auswandererschiffen, dann fuhr er auf deutschen und englischen, dann auf einer amerikanischen Privatjacht in der ganzen Welt herum.
Diesen merkwürdigen Zufall mußte ich natürlich Blodwen berichten. Die sah darin eine höhere Fügung, und so wurde der Sohn des Leibarztes und Biographen ihrer phantastischen Großtante natürlich angenommen.
Nun, ich habe über meinen Schiffsarzt nichts zu klagen gehabt. Der tüchtigste Mediziner und Chirurg, der angenehmste Gesellschafter, höflich, bescheiden und doch energisch, wenn es sein mußte, mir als Dolmetscher unersetzbar, denn seine Sprachkenntnisse waren geradezu phänomenal – immer vertrauter wurden wir zusammen … bis ich endlich den wahren Charakter dieses Buben kennen lernen sollte!
Am anderen Morgen kamen meine Matrosen mit kleinen, aber mächtig schweren Ledersäcken angefahren, sie wurden an Bord getragen und verstaut, ohne daß einer der vielen Zuschauer ihren Inhalt geahnt hätte, und am Nachmittage fuhren wir die Themse hinab, am 4. Juni 1859.
KAPITÄN ALGOTS.
»Boot ahoiii!«
Ich saß mit Blodwen gerade beim Frühstück – (man wolle entschuldigen, daß ich so viel vom Essen spreche, aber das war damals meine Lieblingsbeschäftigung, und es war auch tatsächlich der Fall – also ich saß mit Blodwen gerade beim Frühstück, als dieser Ruf, vom wachthabenden Steuermann ausgenmgen, durch die offene Kajütentür zu uns hereinscholl.
Was hatte der ein Boot zu melden? Es war am fünften Tage der Reise, wir befanden uns angesichts der portugiesischen Küste, ungefähr auf dem 40. Breitengrad, hier wimmelte es von Fahrzeugen aller Art, und wenn der jedes Fischerboot melden wollte, hatte er sich bald heiser gesungen.
Da schrillte die elektrische Klingel, die mich an Deck rief, und »Los Backbord, hol an Steuerbord! Klar beim zweiten Kutter!!«
Hallo, jetzt ließ ich mir keine Zeit, erst die Serviette abzubinden. Der zweite Kutter war das Rettungsboot, und das Schiff ging aus dem Wind, um dieses auszusetzen.
Ein Mann konnte nicht über Bord sein, es war ja zuvor nur ein Boot signalisiert worden, erst glaubte ich, wir hätten eines übersegelt; aber da sah ich es schon: etwa eine Seemeile von uns östlich entfernt trieb mit niedergelegtem Segel ein kleines Boot, in dem ein Mann emsig den Schöpfeimer handhabte, und wenn er ihn einmal fallen ließ, so streckte er schnell den Arm aus, riß die Mütze vom Kopfe und hielt sie über den Arm, dabei nach uns blickend. Dann noch einmal die Mütze geschwenkt, wieder ausgestülpt und weiter geschöpft.
Es war das Zeichen der höchsten Seenot, welches mit Ball und Wimpel gemacht werden kann. Hat man diese nicht, so nimmt man eben nur den Arm und die Mütze oder nur die Faust zu Hilfe, über, vor oder unter dem ausgestreckten Arm gehalten, und das erstere bedeutet: höchste Not.
Sank das Boot, und der Mann konnte nicht schwimmen, so hatte er ganz recht, wenn er dabei hilfesuchend nach uns blickte. Die Küste war sehr, sehr weit entfernt, einige Fischerfahrzeuge waren näher als wir, aber ehe die ihr beigehängtes Beiboot losbrachten, wenn sie überhaupt eins hatten – kurz, die erste Hilfe konnte nur von uns kommen.
Im übrigen war jetzt keine weitere Gefahr vorbanden, die See war nur leicht bewegt, das Boot hielt sich ja noch, wir waren bereits aus dem Wind, schon rasselte der ausgeschwungene Kutter herab, sechs Matrosen auf den Duchten, am Steuer der Bootsmann.
Das Bootsmanöver war miserabel gegangen, und jetzt spielten die mit den Riemen erst ein bißchen Sechsundsechzig, ehe sie in Takt kamen, der Bootsmann brüllte und fluchte dabei ganz unnötigerweise, und pulen taten sie auch wie August auf dem Karpfenteiche …
»O, was für herrliche Männer sind das!« flüsterte da an meiner Seite Blodwen ganz enthusiasmiert. »Diese Schnelligkeit, mit der sie das Boot runterließen – und sieh nur, Richard, sieh nur, wie die rudern, wie furchtbar schnell die rudern!!«
Ja freilich, für eine Landratte mochte das von entzückender Schneidigkeit‹ gewesen sein. Ich aber