Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker) - Robert Kraft


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schnell alle Geistergedanken aus. Aber dort unter der Back saß noch immer der altertümliche, klabautermannähnliche Holländer, das war und blieb eine Tatsache.

      »Was macht er?«

      »He smökt – er raucht,« war die lakonische Antwort.

      Zunächst mußte ich meine Aufmerksamkeit dem herankommenden Boote zuwenden. In der nächsten Minute würde ich die Geliebte einen Kampf um Leben und Tod bestehen sehen, oder ich konnte sie auch als verunstalteten Krüppel wiedererblicken. Doch das ist nun einmal Seemannslos, sonst muß man eben das, was man liebt, zu Hause lassen, und so schadete es nichts, wenn Blodwen gleich in Friedenszeiten einmal alle Kriegsmanöver durchmachte.

      Der Bootsmann steuerte, ein kleiner, untersetzter Finnländer mit wahren Bärenkräften, die er jetzt geschickt zu benutzen verstand. Er packte den Schiffsarzt, der zuerst seinen Klemmer einsteckte, hinten beim Kragen und Hosenbund und schleuderte ihn wie eine Puppe an Bord, wo ich ihn als Jongleur auffing, und ebenso wurde Blodwen heraufbefördert, nur daß bei dieser der Bootsmann mehr Schwierigkeiten mit dem Anpacken hatte.

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      Aber es ging, Blodwen flog mit Vehemenz an meine Brust. Die anderen blieben unten, setzten die Jolle ab.

      Mit kurzen Worten erklärte ich den beiden, was ich schon gesehen, zeigte ihnen den Klabautermann, führte sie in die Kajüte und in die Batterie hinab.

      Blodwen wurde offenbar von etwas Geisterfurcht angesteckt, Doktor Selo hingegen putzte bedächtig seinen Klemmer, setzte ihn auf die krumme Nase und schaute sich aufmerksam um.

      »Hm. Haben Herrn Kapitän vielleicht gehört, daß in nächster Zeit irgendwo in der Welt wieder so eine Ausstellung von alten historischen Schiffen ist, wie sie vor vier Jahren in London stattgefunden hat?«

      Da plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Dieser famose Selo hatte wiederum einmal den Knoten des Rätsels mit einem einzigen Schlage gelöst.

      Jawohl, so war es! Im Jahre 1855 hatte London eine eigenartige Ausstellung arrangiert – (in neuerer Zeit ist so etwas öfters wiederholt worden, zuletzt bei der New-Yorker Weltausstellung) – alle Staaten der Erden hatten ihre historischen Schiffe hingeschickt. So besitzt ja z. B. Spanien noch eins der Fahrzeuge, auf denen Kolumbus seine erste Fahrt nach Amerika antrat. Dieses war damals allerdings nicht hingeschafft worden, man fürchtete für das morsche Ding. (Für die New-Yorker Ausstellung ist die alte Gallone dann aber doch über den Ozean geschleppt worden.)

      Eines der sehenswertesten Schiffe der Londoner Ausstellung war das sogenannte Verbrecherschiff, auf welchem nämlich vor 150 Jahren Deportierte von England nach Australien gebracht wurden. Auf der Londoner Ausstellung war ich nicht gewesen, wohl aber hatte ich dieses Schiff in Sydney gesehen und besichtigt, und das Ganze war um so gruseliger, weil das ganze Schiff mit Wachsfiguren ausstaffiert war, welche zeigten, wie die Sträflinge an Bord lebten, wie sie in den Verliesen angekettet lagen, wie sie gepeitscht und sonst gefoltert wurden.

      Nein, daß bald wieder solch eine Ausstellung stattfand, davon war mir nichts bekannt. Aber das war ja auch gar nicht nötig. Ein Staat wie England, der für das britische Museum alles zusammenkauft und zusammenräubert, was in der Welt kostbar und selten ist, konnte dieses alte, holländische Schiff, welches bisher irgendwo anders gelegen, erworben haben, oder auch nur ein reicher Privatmann konnte in Betracht kommen – kurz, man hatte dieses historische Schiff überführen wollen, es konnte von einem Dampfer geschleppt worden sein, das Tau war in der Sturmnacht gerissen, oder dieses Schiff aus eisenhartem Holze war wohl recht gut noch imstande, selbständig zu segeln, der Sturm hatte nur die Takelage weggeschlagen, es manövrierunfähig gemacht – die Besatzung hatte das Schiff, welches noch gar nicht den Namen eines Wracks richtig verdiente, aus Feigheit oder aus einem sonstigen Grunde verlassen.

      Und der Klabautermann? Nun, der gehörte eben mit zur Staffage, wie auf jenem Verbrecherschiff die Wachsfiguren. Er war nicht mitgekommen, man hatte ihn zurückgelassen, absichtlich oder versehentlich.

      »Haben Sie schon die Kiste untersucht?«

      Das war erst noch zu tun. Jetzt beschäftigte sich Doktor Selo mit dem Kerlchen, das schon wieder Feuer schlug.

      Selo redete ihn in den verschiedensten Sprachen an. Gar kein Interesse. Leer blickten die Augen geradeaus. Nur ein einziges Wort zitterte seufzend über die schmalen Lippen.

      »Minajorka.«

      »Das könnte der Schiffsname sein – Mina Jorka.«

      Der Arzt nahm den Kopf des Alten in beide Hände, um ihm in die Augen zu sehen, was jener ruhig duldete. Er war wie eine Gelenkpuppe.

      »Minajorka!«

      »Ja, der ist geistig nicht normal, das sieht man gleich in den Augen.«

      »Ist er schon immer wahnsinnig gewesen, oder ist er es erst in dieser Sturmnacht durch die Katastrophe geworden?«

      »Das kann ich nicht so ohne weiteres beurteilen. Doch ist es wohl auch kein Wahnsinn, sondern einfach Altersschwäche, er ist wieder zum Kinde geworden.«

      Willig ließ er sich von der Kiste wegziehen, war auch noch recht gut auf den Füßen, blieb aber zunächst dort stehen, wo wir ihn hinstellten, rauchte gedankenlos weiter.

      Die Kiste war mit Wachstuch umkleidet und mit einem Strick, der durch die Handgriffe gezogen, an dem Gangspill befestigt. Sie war verschlossen. Beim Aufstehen des Alten hatten wir es klirren hören, wir untersuchten seine Taschen, fanden darin nichts weiter als ein großes Schnupftuch, in dem mächtiger Tabaksbeutel dagegen, der sonst mit feinem, holländischem Knaster gefüllt war, ein Bund mit vieler Schlüsseln.

      Bald war der betreffende Schlüssel gefunden.

      »Minajorka!« seufzte der Klabautermann aus tiefstem Herzensgrunde, als ich die Kiste aufschloß, nach der jetzt auch er blickte, aber ohne besondere Teilnahme.

      Nichts als Wäsche und Kleidungsstücke, alles ebensolche alte Kostüme, wie die Holländer sie vor zweihundert Jahren getragen haben, zum Teil äußerst kostbar, mit Goldstickereien, eine unförmliche Taschenuhr, welche die Begierde jedes Raritätensammlers erweckt haben würde, ein Messer, eine ganze Masse Pfeifen und ähnliche Sachen, die man schon vor Jahrhunderten in der Kleiderkiste eines jeden Seemannes gefunden haben mag.

      »Es bleibt dabei: er gehört mit zu der ganzes Staffage dieses alten Schiffes,« sagte Doktor Selo.

      »Und hier ein Brief, oder ein ganzes Schriftstück.«

      Die gelben, zusammengehefteten Blätter warer mit Hieroglyphen bedeckt, für mich unverständlich, Selo betrachtete sie prüfend.

      »Das kann ich nicht entziffern. Es hat einige Aehnlichkeit mit Arabisch, ist es aber nicht, auch nicht Türkisch oder Russisch oder Persisch.«

      »Haben die Malaien ihre eigene Schrift?«

      »Das wohl, aber Malaiisch ist es ebenfalls nicht, so viel verstehe ich davon.«

      »Es ist mit Tinte geschrieben, die noch gar nicht so verloschen aussieht.«

      »Auch das Papier kann nicht so alt sein, obwohl es gelb ist. Ich halte es für eine künstliche Geheimschrift.

      »He, Mynheer, was hat das zu bedeuten?« wandte ich mich an den Alten, ihm die Papiere hinhaltend.

      »Minajorka,« erklang es seufzend, aber ohne daß dem Schriftstück weitere Beachtung geschenkt »Ob diese Schlüssel auch unten den Schreibtisch und die anderen Schränke aufschließen?« meinte Blodwen.

      Das war sofort zu untersuchen. Und es war tatsächlich so! Es gab kein Schloß im ganzen Schiff, zu dem nicht der Schlüssel vorhanden gewesen wäre.

      Doch wir fanden absolut nichts, wenigstens nichts, was uns über dieses Schiff hätte Auskunft geben können, also vor allen Dingen keine Papiere, und zwar auch nicht das geringste Fetzchen mit einer Zeile.

      In der Proviantkammer befanden sich massenhaft Schinken und Speckseiten, Fässer mit Pökelfleisch,


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