Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft
zu lassen.
»Wieder zwanzig Tonnen für mein Schiff.«
Ja, ›sein Schiff‹. Davon konnte er einem etwas vorschwärmen! Und bei uns fand er ja da nun auch die richtigen Zuhörer.
Auch er wollte ein Musterschiff in die Welt setzen. Und das würde gar nicht mehr so lange dauern, höchstens noch ein Jahr, und da er dann selbst erst dreizehn Jahre wäre, müßte die ganze Besatzung ›natürlich‹ ebenfalls aus halbwüchsigen Jungen bestehen.
»Ich könnte mir ja auch gleich große Matrosen nehmen, ich wollte sie schon unter die Fuchtel bringen, aber besser ist doch, ich erziehe sie mir gleich von klein auf.«
»Ein Schiff, bloß mit Jungen besetzt? Das dürfte wohl schwerlich möglich sein.«
»Weshalb denn nicht?«
Vergebens sprach ich von internationalen Seegesetzen, von zu erfüllenden Formalitäten, daß jedes Kriegsschiff solch ein Kinderfahrzeug – dieses Wort durfte ich nun allerdings nicht gebrauchen! – aufbringen, festnehmen würde – der Junge wollte es besser wissen, ohne sich aber auszusprechen, und … ich weiß nicht, wenn ich das Kerlchen ansah, wenn ich an alles dachte, was ich schon gehört und selbst gesehen, so hielt ich schließlich alles für möglich.
Und wie definiert man denn das Genie? Das Genie schafft etwas bisher noch nie Dagewesenes, indem es sich an keine Regel bindet, sich über alles Herkömmliche hinwegsetzt, mit allem bricht – und dadurch verblüfft es alle Welt.
Manch kränkende Bemerkung mußte ich mir von dem Kerlchen gefallen lassen.
»Da müssen Sie später mal mein Schiff sehen, da soll es anders drauf zugehen.«
Das konnte ich aller Stunden zu hören bekommen, wenn er sich so mit kritischen Augen umsah. Vor allen Dingen gab er seiner Verachtung unverhohlenen Ausdruck, daß die ›Sturmbraut‹ zugleich auch als Dampfer ausgerüstet war. Jeder Matrose, der auf einem Dampfer fuhr, war in seinen Augen ein Waschweib – und leider mußte ich mir sagen, daß ich vor kurzem ebenso gedacht hatte.
Daß er so verächtlich über die an Bord befindliche Bibliothek sprach, konnte man einem durchgebrannten Schuljungen noch weniger verdenken. –
Am 15. Juni passierten wir den Wendekreis des Krebses. Der aus Westen kommende Wind drohte in Sturm auszuarten, und wegen der Nähe der sandigen Küste ließ ich zum ersten Male Dampf aufmachen. Sonst hatte ich nur am ersten Tage der Fahrt die Maschine einmal probiert.
Nun, ich durfte die vorhandene Hilfsmaschine nicht mehr schlecht machen. Wer weiß, was in dieser Nacht ohne sie aus uns geworden wäre. Es war ein fürchterlicher Sturm, gegen den wir die ganze Nacht anzukämpfen hatten.
Kurz vor Tagesanbruch flaute er schnell ab, fast bis zur völligen Windstille, und als, wie es in diesen Breiten schon ist, mit Plötzlichkeit die finstere Nacht dem hellen Tage wich, hatten wir einen Anblick, der alle überstandenen Strapazen vergessen ließ, unsere furchtbare Müdigkeit, die uns zur Koje drängte.
Es war ein Wrack, das dort auf den erregten Wogen tanzte, ein großes Segelschiff, von dem nur noch der mittelste Mast bis zur Hälfte stand, aber nun was für ein Schiff!
»Der fliegende Holländer!« wurde scheu geflüstert.
Bei Gott, auf diesen Gedanken konnte man auch kommen. Dieses enorme Vorder- und Hinterteil, in der Mitte die Ausschweifung, überhaupt im ganzen dieser seltsame, altertümliche Bau – so einen Schiffsbau gab es ja gar nicht mehr, der war schon seit Jahrhunderten ausgestorben.
Nun, ein alter Holländer würde es wohl sein. Aber den Glauben an einen fliegendem ließ ich nicht lange aufkommen.
»Jungens, das ist freies Seegut für uns!«
Diese Worte wirkten wie elektrisierend. Vergessen war plötzlich alle Erschöpfung, vergessen blutige Hände und Quetschungen, die man sich jetzt vom Arzt hatte verbinden lassen wollen. Größere Unfälle waren sonst nicht vorgekommen.
Und ich durfte das Wrack wohl schon als gute Prise versprechen. Trotz der sehr hohen Brüstung konnte man ja wegen des starken Schlingerns immer das ganze Deck übersehen, es war völlig glatt gewaschen, alles weggespült und weggeschlagen, die Brüstung war zum Teil zertrümmert, und wäre noch Mannschaft an Bord gewesen, so hätte sie sich doch sicher schon bemerkbar gemacht. Und selbst wenn es sich nur um die Bergung des Wracks handelte, nur um eine Hilfeleistung, so fiel doch noch immer für jeden Matrosen, der sich daran beteiligte, ein erklecklicher Gewinn ab.
Doch wir mußten uns beeilen. Dort trieb mit gerefften Segeln noch ein anderes Schiff, ein außerordentlich großer Schoner, wenigstens von 2000 Tonnen, der es ebenfalls auf das Wrack abgesehen hatte. Dort war ein Boot bereits im Wasser, mit acht Ruderern besetzt, tanzte es schon auf das Wrack zu, wir hörten den wilden Gesang zum Rudertakt, an Bord wurde gejubelt, triumphierend wurde das Sternenbanner der Vereinigten Staaten gezeigt.
Aber die ›Sturmbraut‹ war bedeutend näher. Noch konnte es uns gelingen.
Meine vierzehn Matrosen hatten schnell gelost, wer mit ins Boot gehen sollte. Ich ließ es nicht zu, suchte die fähigsten Burschen aus. Das Aussetzen eines Bootes war bei diesem Schlingern ungeheuer schwierig. Ich war bereit, von meinen acht Booten drei zu opfern. Dort an dem Schoner trieben auch schon die Trümmer eines Bootes, vielleicht hatte einer dabei auch sein Leben lassen müssen, und so fanden es auch meine Leute ganz selbstverständlich, dabei vielleicht ein oder beide Beine zu verlieren. – Doch das ist die christliche Seefahrt, darüber ist kein Wort zu verlieren.
Oelzeug aus, Rock aus, Hose ab, Stiefel ab – in Hemd und Unterhosen waren ich und sechs Matrosen bereit, im schon ausgeschwungenen Boote den Kampf mit den Planken des wütend um sich schlagenden Schiffes aufzunehmen.
Blodwen, welche fast die ganze Nacht neben mir auf der Kommandobrücke zugebracht, hatte offenbar große Lust, die Partie mitzumachen, aber bei diesen Vorbereitungen gab sie doch ihr Vorhaben auf.
Ich fasse mich kurz. Es gelang mir, gleich das erste Boot freizubekommen. Die sechs Matrosen sprangen von oben nach, teils direkt ins Boot, teils ins Wasser und wurden aufgefischt, es gab nur eine einzige blutige Nase.
Und dann ging es unter einem Gesange fort, daß sich die eschenen Ruderstangen wie die Reitgerten bogen und die Matrosen bei jedem Durchholen unter den Duchten verschwanden. Das amerikanische Boot näherte sich von der anderen Seite. Wie die Entfernungen standen, konnten wir nicht taxieren, doch schienen die Chancen für uns nicht günstig zu stehen, dort drüben waren acht Ruderer, und ich hatte doch lieber diesen kleinen Kutter mit nur sechs Mann gewählt.
Von den Schiffen aus mußte diese Wettjagd noch viel interessanter aussehen, alles brüllte mit, von vornherein entschlossen, das Boot zu opfern. Jetzt kam das amerikanische Boot hinter das Schiff, uns also aus den Augen. Da schossen aber auch wir schon auf das Wrack zu.
Ich ließ die Riemenstange fallen, ergriff das Seil mit dem kleinen Enterhaken und sprang über die Köpfe der Matrosen hinweg nach vorn.
Ein Gegenkommando war schon gar nicht möglich, und so viel war mir klar, daß es sich jetzt um die Ausnutzung jeder einzelnen Sekunde handelte.
»Wahrschau!!!«
Ein Krachen, und unter meinen Füßen zersplitterte das Boot. Aber mein geschleuderter Enterhaken hatte gefaßt, und ich hing am Seile.
Es ist seltsam, wie schnell und dabei doch wie klar man in solchen Augenblicken denken kann.
»Komme ich ihnen zuvor? Oder sind die Amerikaner schon oben?«
Mir ist es, als ob ich eine Viertelstunde kalkuliert hätte, was ich oben erblicken würde. Am allerwenigsten dachte ich jetzt an meine sechs im Wasser liegenden Matrosen. Mochte der oder jener ertrinken, ich kümmerte mich den Teufel darum. Das hier war einfach Krieg.
Und dann schwang ich mich über die Bordwand. Wahrhaftig, dort drüben hing ebenfalls schon ein Enterhaken! Aber ich war der erste.
»Ich ergreife Besitz von diesem Wrack!«
Ich hatte es nicht allein geschrien,