Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker) - Robert Kraft


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gesehen, und dabei dennoch fähig, auch den schwersten Sturm und Seegang zu bestehen.

      Soeben wurden die Hauptsegel festgemacht, auch der mächtig weit herausgeschobene Klüverbaum zurückgeholt. Die vier Matrosen, welche in der Takelage arbeiteten, auf den Rahen standen, paßten gar nicht zu der Zierlichkeit, sie nahmen sich aus wie große Brummkäfer im Netze einer Zwergspinne, denselben Eindruck machten die beiden an Deck stehenden Männer, und schließlich gewahrten wir auch noch eine Frau, oder, da wir mit der Besitzerin dieser Lustjacht zu rechnen hatten, eine Dame.

      Am hingerissensten von Bewunderung ob dieses niedlichen Schiffchens war Karlemann.

      »Das möchte ich haben, das möchte ich haben!« rief er ein übers andere Mal, und ich konnte es ihm nachfühlen.

      So ein Liliputanerschiff, aber ganz genau einem großen Segler nachgeahmt, hätte auch gut für diesen Knirps gepaßt, zumal wenn er als Matrosen ebensolche Knirpse hätte, da konnte er sein Ideal ja gleich verwirklichen.

      Ich konnte gar nicht begreifen, wie diese sechs ausgewachsenen Männer und das Weib dort drüben eigentlich Platz fanden, wie sie in dem Dingelchen beim Schlafen nur die Beine ausstrecken konnten. Freilich dachte ich dabei mit einiger Angst an meine eigenen Spazierhölzer.

      Mit einem Male ging dort drüben am Mittelmast der zusammengeknotete Notwimpel hoch, wurde wieder etwas heruntergeholt, wieder hochgezogen, um schließlich stehen zu bleiben.

      Wir konnten schon mit bloßen Augen erkennen, was dort vorging. Die Frau hatte die Notflagge hochgezogen, der eine Mann widersetzte sich, aber die Frau behielt ihren Willen.

      Was sollte die Notflagge? Das Dingelchen tanzte mit der Eleganz einer Primaballerina auf den nur mäßigen Wellen, die Takelage war in tadelloser Krönung, in den Davits hingen die vier Boote, von hier aus wie Nußschalen aussehend, sogar aus dem blitzenden Messinggeländer durfte man schließen, daß dort drüben keine Not herrschen konnte.

      Ich ließ den Flaggenkasten kommen, stellte nach dem internationalen Signalbuch die Fragen zusammen, und es ist wohl bekannt, daß man sich mit solchen Fragen vollständig unterhalten kann, da wird kein Interpunktionszeichen weggelassen, und sind die Matrosen im Anknüpfen der bunten Lappen genügend geübt, so geht dieses Signalisieren fast ebenso schnell wie das Schreiben.

      »Was gibt es dort?« ließ ich meine erste Flaggenreihe fragen.

      Auch drüben kletterten jetzt schnell die bunten Lappen in die Höhe.

      Ich hatte nur die geläufigsten Fragen und Antworten und überhaupt Signale im Kopfe, sonst mußte auch ich nach dem Flaggenbuche buchstabieren.

      »Se-no-ri-ta,« begann ich also zu buchstabieren, »Mer-ce-des Calioni wünscht von Bord zu gehen.«

      »Mercedes Calioni,« sagte da neben mir Doktor Selo. »Das ist die berühmte mexikanische Tänzerin.«

      »Na na, gar so berühmt wird sie wohl nicht sein,« meinte ich, schon neue Flaggen zusammenreihen lassend.

      »O, die ganze amerikanische Männerwelt liegt anbetend zu ihren Füßen,« mußte der Schiffsarzt noch hinzusetzen.

      »Nach Ihrer Aeußerung müßte dann die ganze amerikanische Männerwelt nur aus Schwachköpfen und Waschlappen bestehen, und das glaube ich nicht,« versetzte ich und hatte meiner Verachtung über dergleichen Sachen wohl genügenden Ausdruck gegeben.

      Im Augenblick dachte ich nur daran, daß ich vorhin in Gedanken das Schiffchen mit einer graziösen Ballerine verglichen hatte, und jetzt entpuppte sich die Besitzerin, für welche ich die Dame doch sicher halten mußte, wirklich als eine solche.

      »An Bord meines Schiffes?« lautete meine nächste Frage. Drüben wurde die Ja-Flagge gehißt.

      Ich mußte diese Fragen und Antworten aus der Signalsprache natürlich immer für Blodwen übersetzen.

      »Zu uns an Bord will sie sich begeben?« rief da Blodwen auch schon gleich ganz wild. »Auf keinen Fall – auf keinen Fall – so eine Tänzerin – weiter fehlte nichts!!«

      Ich tat wohl am klügsten, daß ich mich gar nicht weiter darauf einließ, sondern im Fragen fortfuhr.

      »Weshalb?«

      »Sie ist krank,« ward sofort zurückgegeben.

      »Siehst du, Blodwen, sie ist krank, an Bord dieses winzigen Dingelchens kann sie doch nicht die nötige Pflege finden.« »Weshalb denn nicht? Können wir ihr denn helfen?«

      »Jawohl, vielleicht, wir haben doch einen Arzt.«

      Unterdessen hatte ich eine neue Frage zusammenstellen lassen. »Was fehlt ihr?«

      Drüben blieb die Antwort einige Zeit aus.

      »Die weiß selber nicht, was ihr fehlt!« rief Blodwen.

      Da kletterten wieder die bunten Wimpel empor.

      »Sie ist toll.«

      Wahrhaftig, ich wenigstens irrte mich nicht, die beiden letzten Flaggen ergaben das Wort ›toll‹.

      Und damit ich sicher sein sollte, daß ich mich nicht irrte, wurden die beiden letzten Flaggen herunter geholt und durch zwei andere ersetzt, welche das Wort ›verrückt‹ ergaben, so daß also die ganze Reihe lautete: sie ist verrückt.

      Was sollte ich davon denken? Nun, man durfte es fast glauben, das Weibsbild dort drüben benahm sich wie rasend, oder doch, als hätte sie einen tüchtigen Klaps – so sprang sie herum wie ein Sandfloh, immer nach dem Mast und nach dem Geländer und winkte uns mit einem weißen Tuche, und dann wieder zurück nach dem Mast und den Matrosen die Flaggenleine aus der Hand gerissen, und dann nach dem größten Boote und daran herumgefuhrwerkt, als wolle sie es ganz allein ins Wasser lassen.

      Jedenfalls aber war mir so viel klar, daß sie selbst von dem Geisteszeugnis, welches ihr die Mannschaft ausgestellt hatte, nichts wußte, die hatten ihr etwas anderes gesagt; denn das würde sie sich wohl schwerlich gefallen lassen.

      Unterdessen war das größere Boot von Matrosenhänden aber wirklich ausgeschwungen und herabgelassen worden, bei diesem Seegange ohne besondere Schwierigkeit, das Weib stieg hinein, recht geschickt, gar nicht wie sich sonst Frauen bei so etwas anstellen – es war ja auch so eine Ballerine, die auf den Zehennägeln balancieren kann – nur zwei Mann gingen hinein, der eine nahm das Steuer, der andere ruderte, dann kamen noch eine Menge Kisten und Koffer hinein, und ab ging die Fahrt – und dann wurde auch noch ein zweites Boot hinabgelassen, erst recht gefüllt mit Kisten und Koffern, darunter auch ein Ding, welches ich erst für eine Badewanne hielt, so eine, in die man sich nur zusammengekauert setzen kann, das Ding war oben viel breiter als unten, in der Mitte so ausgeschweift – aber wie sich dann herausstellte, war es eine mächtige Hutschachtel, die allerdings auch so groß sein mußte, um den gewaltigen Hut mit Straußenfedern aufnehmen zu können.

      »Die will wirklich zu uns,« rief Blodwen, »sie bringt gleich ihre ganze Garderobe mit! Und sie kommt nicht zu uns, ich will es nicht, ich will nicht!«

      Blodwen war ganz außer sich, machte in diesem Augenblicke eben keinen schönen Eindruck auf mich.

      »Blodwen, nimm doch Vernunft an,« bat ich, ganz ruhig, »wir wissen ja noch gar nicht, weshalb sie ihr Schiff verlassen will, und es gibt zwischen Seeleuten oder richtiger zwischen Schiffen eine besondere Art von Höflichkeit, welche man Routine nennt, diese Bordroutine legt gewisse Verpflichtungen … «

      »Und ich will dieses Frauenzimmer nicht auf meinem Schiffe haben!!« schrie Blodwen, vor Zorn blau und rot im Gesicht, und dabei stampfte sie wiederholt mit dem Fuße auf.

      Ich muß offen gestehen, daß ich in diesem Augenblicke die größte Lust hatte, ihr eine ins Gesicht zu hauen – trotz aller Liebe in den Flitterwochen. Möge mir der Leser das nicht verübeln. Ich war eben kein Pastor geworden, wie’s meine Eltern wollten, sondern Seemann, vom Schiffsjungen an. Und ich schämte mich ob dieses Benehmens meiner … Herrin, will ich sagen, in meiner eigenen Seele.

      Aber ich beherrschte mich, und ich hatte einen recht glücklichen Gedanken.


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