Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


Скачать книгу
Frauenzimmer gibt, derentwegen man sich schlägt, so scheint es wieder andre zu geben, über die man sich gleichsam die Hände reicht. Sie haben nun gemeinschaftlich Europa verlassen. Vielleicht gründen sie ein Königreich auf irgend einer Insel, und Oskar Ehrenberg wird Minister.«

      Willy Eißler war erschienen, blaßgelb im Gesicht, übernächtig und heiser. »Grüß Sie Gott Baron, verzeihen Sie, daß ich nicht paff bin, aber ich habe schon gehört, daß Sie da sind. Irgendwer hat Sie in der Kärtnerstraße gesehen.«

      Georg bat Willy, seinem Vater vom Grafen Malnitz Grüße zu bestellen – er selbst hätte diesmal leider keine Zeit, den alten Herrn aufzusuchen, dem er – wie er mit bescheidner Koketterie bemerkte – seine Stellung in Detmold verdanke.

      »Was Ihre Zukunft anbelangt, lieber Baron«, sagte Willy, »hab ich mir nie Sorgen gemacht, besonders seit ich im vorigen Jahr – oder ist es schon länger her? – Ihre Lieder von der Bellini hab singen hören. Aber daß Sie sich entschlossen haben Wien zu verlassen, das war eine gute Idee von Ihnen. Hier hätte man Sie jedenfalls noch einige Jahrzehnte lang für einen Dilettanten gehalten. Das ist schon einmal nicht anders in Wien. Ich kenne das. Wenn die Leute wissen, daß einer aus guter Familie ist, nebstbei Sinn für schöne Krawatten, gute Zigaretten und verschiedene andre Annehmlichkeiten des Daseins hat, so glauben sie ihm die Künstlerschaft nicht. Ohne ein Zeugnis von draußen werden Sie hier nicht ernst genommen… also bringen Sie nur bald einige glänzende mit, Baron.«

      »Ich werde mich bemühen«, sagte Georg.

      »Haben die Herren übrigens schon das Neueste gehört«, begann Willy wieder. »Leo Golowski, wissen Sie, der Einjährige, der den Oberleutnant Sefranek erschossen hat, ist frei.«

      »Aus der Untersuchungshaft entlassen?« fragte Georg.

      »Nein, ganz frei ist er. Sein Advokat hat ein Abolitionsgesuch an den Kaiser eingereicht, das ist heute günstig erledigt worden.«

      »Unglaublich«, rief Breitner.

      »Warum wundern Sie sich denn so, Breitner?« meinte Willy. »Es kann doch auch einmal etwas Vernünftiges geschehen in Österreich.«

      »Duell ist nie vernünftig«, sagte Skelton, »und daher kann auch eine Begnadigung wegen Duells nicht vernünftig sein.«

      »Duell, lieber Skelton, ist entweder etwas viel Schlimmeres oder viel Besseres als vernünftig«, erwiderte Willy. »Entweder ein ungeheuerlicher Blödsinn oder eine unerbittliche Notwendigkeit. Entweder ein Verbrechen oder eine erlösende Tat. Vernünftig ist es nicht und braucht es nicht zu sein. In Ausnahmefällen kann man mit der Vernunft überhaupt nichts anfangen. Und daß in einem Fall, wie der, von dem wir grad sprechen, das Duell unvermeidlich war, das werden auch Sie zugeben, Skelton.«

      »Absolut«, sagte Breitner.

      »Ich kann mir ein Staatswesen denken«, bemerkte Skelton, »in dem selbst Differenzen solcher Art vor Gericht ausgeglichen würden.«

      »Solche Differenzen vor Gericht! O fröhlich!… Glauben Sie wirklich, Skelton, daß in einem Fall, wo es sich nicht um Besitz-und Rechtsfragen handelt, sondern wo sich Menschen mit einem ungeheuern Haß gegenüberstehen, glauben Sie wirklich, daß da mit Geld-oder Arreststrafen ein Ausgleich geschaffen werden könnte? Es hat schon seinen tiefen Sinn, meine Herren, daß Duellverweigerung in solchen Fällen bei allen Leuten, die Temperament, Ehre und Aufrichtigkeit in sich haben, stets als Feigheit gelten wird. Bei den Juden wenigstens«, setzte er hinzu. »Denn bei den Katholiken ist es bekanntlich immer nur die Frömmigkeit, die sie abhält sich zu schlagen.«

      »Kommt sicher vor«, sagte Breitner schlicht.

      Georg wünschte zu wissen, wie sich die Sache zwischen Leo Golowski und dem Oberleutnant abgespielt hätte.

      »Ja richtig«, sagte Willy, »Sie sind ja ein Zugereister. Also der Oberleutnant hat das ganze Jahr hindurch diesen Leo Golowski erheblich kuranzt und zwar…«

      »Die Vorgeschichte kenn ich«, unterbrach Georg, »zum Teil aus direkter Quelle.«

      »Ach so. Also am ersten Oktober war die Vorgeschichte, um bei diesem Ausdruck zu bleiben, zu Ende; das heißt, Leo Golowski hat das Freiwilligenjahr hinter sich gehabt. Und am zweiten in der Früh hat er sich vor die Kaserne hingestellt und ruhig gewartet, bis der Oberleutnant aus dem Tor gekommen ist. In diesem Moment ist er auf ihn zugetreten, der Oberleutnant greift nach seinem Säbel, Leo Golowski packt ihn aber bei der Hand, läßt sie nicht aus, hält ihm die andere Faust vor die Stirn – und damit war das Weitere so ziemlich gegeben. Übrigens wird auch erzählt, daß Leo dem Oberleutnant folgende Worte ins Gesicht geschleudert haben soll… ich weiß nicht recht, ob’s wahr ist.«

      »Welche Worte?« fragte Georg neugierig.

      »Gestern, Herr Oberleutnant, sind Sie mehr gewesen als ich, jetzt sind wir vorläufig einmal gleich – aber morgen um die Zeit wird wieder einer von uns mehr sein, als der andere.«

      »Etwas talmudisch«, bemerkte Breitner.

      »Das müssen Sie freilich am besten beurteilen können, Breitner«, erwiderte Willy und erzählte weiter: »Also am nächsten Morgen in den Auen bei der Donau war das Duell. Dreimaliger Kugelwechsel. Zwanzig Schritte ohne Avance. Wenn resultatlos, Säbel bis zur Kampfunfähigkeit… Die ersten Schüsse hüben und drüben fehlen, und nach dem zweiten… nach dem zweiten ist der Golowski richtig bedeutend mehr gewesen als der Oberleutnant – denn der war nichts, weniger als nichts; ein toter Mann.«

      »Armer Teufel«, sagte Breitner.

      Willy zuckte die Achseln. »Es ist halt einmal einer an den Unrechten gekommen. Mir tut er auch leid. Aber man muß doch sagen, es stände manches anders in Österreich, wenn alle Juden entsprechenden Falls sich so zu benehmen wüßten wie der Leo Golowski. Leider…«

      Skelton lächelte. »Sie wissen Willy, vor mir darf man nichts gegen die Juden sagen, ich liebe sie. Und es täte mir leid, wenn man sich entscheiden wollte die Judenfrage durch eine Reihe von Zweikämpfen zu lösen, denn dann würde am Ende von dieser vortrefflichen Rasse kein einziges männliches Exemplar übrigbleiben.«

      Am Ende des Gesprächs mußte Skelton zugeben, daß das Duell in Österreich vorläufig nicht abzuschaffen wäre. Aber er erlaubte sich die Frage, ob das gerade für das Duell und nicht vielmehr gegen Österreich spräche, da doch manche andere Länder, er wollte aus Bescheidenheit keines nennen, seit Jahrzehnten den Zweikampf nicht mehr kennten. Und ob er zu weit gehe, wenn er sich gestatte, Österreich, in dem er sich übrigens seit sechs Jahren wahrhaft zu Hause fühle, als das Land der sozialen Unaufrichtigkeiten zu bezeichnen. Hier wie nirgends anderswo gebe es wüsten Streit ohne Spur von Haß und eine Art von zärtlicher Liebe, ohne das Bedürfnis der Treue. Zwischen politischen Gegnern existierten oder entwickelten sich lächerliche persönliche Sympathien; Parteifreunde hingegen beschimpften, verleumdeten, verrieten einander. Nur bei wenigen fände man ausgesprochene Ansichten über Dinge oder Menschen, jedenfalls seien auch diese wenigen allzuschnell bereit, Einschränkungen zu machen, Ausnahmen gelten zu lassen. Man habe hier beim politischen Kampf geradezu den Eindruck, wie wenn die scheinbar erbittertsten Gegner, während die bösesten Worte hinüber und herüberflögen, einander mit den Augen zuzwinkerten: »Es ist nicht so schlimm gemeint.«

      »Was glauben Sie, Skelton«, fragte Willy, »zwinkern sie auch, wenn die Kugeln hin und herfliegen?«

      »Sie täten’s wohl, Willy, wenn nicht der Tod hinter ihnen stünde. Aber dieser Umstand beeinflußt nicht die Gesinnung, sondern nur die Haltung, denk ich mir.«

      Sie saßen noch lange Zeit zusammen und plauderten fort. Georg hörte allerlei Neuigkeiten. Er erfuhr unter anderm, daß Demeter Stanzides den Kauf des Gutes an der ungarisch-kroatischen Grenze abgeschlossen habe, und daß die Rattenmamsell einem freudigen Ereignis entgegensehe. Willy Eißler war gespannt auf das Ergebnis dieser Rassenkreuzung und vergnügte sich indes damit, Namen für das zu erwartende Kind zu erfinden, wie Israel Pius oder Rebekka Portiunkula.

      Später begab sich die ganze Gesellschaft ins benachbarte Kaffeehaus, Georg spielte mit Breitner eine Partie Billard; dann ging er auf sein Zimmer. Im Bett notierte


Скачать книгу