Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Ðртур Шницлер
in einer andern Stadt, in einem andern Land wird dich von gewissen beschränkten und kleinlichen Auffassungen kurieren. Aber es ist eher ärger geworden. Ich merk es ja. Daß einer losschlägt, wie es Leo Golowski getan, das kann ich noch verstehen, so wenig ich es billigen möchte. Aber immer dastehen, die geballte Faust in der Tasche, sozusagen, was hat das für einen Zweck? Besinn dich doch auf dich! Persönlichkeit und Leistung setzen sich am Ende immer durch. Was kann dir Arges passieren? Daß du um ein paar Jahre später die Professur kriegst als ein anderer. Das Unglück fänd ich nicht so groß. Deine Arbeiten wird man doch nicht totschweigen können, wenn sie was wert sind…«
»Es kommt ja nicht allein auf mich an!« warf Berthold ein.
»Aber es handelt sich meist um derartige Interessen zweiten Ranges. Und um wieder auf unser früheres Thema zu kommen, ob sich auch für den Oberleutnant, wenn er den Leo Golowski niedergeschossen, ein Ehrenberg oder Ehrenmann mit hunderttausend Gulden gefunden hätte, das ist sehr die Frage. So, und jetzt steht es dir frei, auch mich für einen Antisemiten zu halten, wenn’s dir Spaß macht, obwohl ich jetzt direkt in die Rembrandtstraße zur alten Golowski fahre. Also grüß dich Gott, und werd endlich vernünftig.« Er reichte seinem Sohn die Hand. Der nahm sie, ohne eine Miene zu verziehen. Der Alte wandte sich zum Gehen. An der Tür sagte er: »Wir sehen uns wohl abends in der Gesellschaft der Ärzte?«
Berthold schüttelte den Kopf. »Nein Vater. Ich verbringe den heutigen Abend in einem minder gebildeten Lokal, in der silbernen Weintraube, wo eine Versammlung des sozialpolitischen Vereins stattfindet.«
»Bei der du nicht fehlen kannst?«
»Unmöglich.«
»Na, sag’s mir lieber gleich aufrichtig. Du kandidierst für den Landtag?«
»Ich… werde kandidiert.«
»So! Glaubst du dich denn jetzt fähig, den… Unannehmlichkeiten die Stirn bieten zu können, vor denen du im vorigen Jahr die Flucht ergriffen hast?«
Berthold blickte durchs Fenster, in den Herbstregen hinaus. »Du weißt, Vater«, erwiderte er mit zuckenden Brauen, »daß ich damals nicht in der richtigen Verfassung gewesen bin. Jetzt fühl ich mich stark und gewappnet… trotz deiner früheren Bemerkungen, die doch nicht durchwegs zutreffen. Und vor allem: ich weiß ganz genau, was ich will.«
Der Alte zuckte die Achseln. »Ich versteh’s ja nicht recht, wie man eine positive Arbeit aufgeben kann… Ja du wirst sie aufgeben müssen, denn zwei Herren kann man nicht dienen… wie man so was hinwerfen kann, um… um Reden zu halten vor Leuten, deren Beruf es sozusagen ist, vorgefaßte Meinungen zu haben – hinwerfen, um Überzeugungen zu bekämpfen, an die meistens auch der nicht glaubt, der vorgibt, sie zu vertreten.«
Berthold schüttelte den Kopf. »Diesmal, ich versichre dich, Vater, lockt mich kein rednerischer oder dialektischer Ehrgeiz. Diesmal hab ich mir ein Gebiet abgesteckt, auf dem es mir hoffentlich möglich sein wird ebenso positive Arbeit zu leisten wie im Laboratorium. Ich habe nämlich die Absicht, mich, wenn es irgend geht, um nichts anderes zu kümmern, als um Fragen der öffentlichen Gesundheitspflege. Für diese Art der politischen Betätigung kann ich vielleicht sogar auf deinen Segen rechnen, Vater.«
»Auf meinen… ja. Aber ob auf deinen eigenen…?«
»Wie meinst du das?«
»Auf den Segen, den man etwa innere Berufung nennen könnte.«
»Du zweifelst sogar an der?« erwiderte Berthold betroffen.
Der Diener trat ein und brachte dem alten Doktor eine Visitenkarte. Der las sie. »Ich stehe gleich zur Verfügung.« Der Diener entfernte sich.
Berthold, ziemlich erregt, sprach weiter: »Ich darf wohl sagen, daß meine Vorbildung, meine Kenntnisse…«
Der Vater, mit der Karte spielend, unterbrach ihn.
»Ich zweifle nicht an deinen Kenntnissen, deiner Energie, deinem Fleiß. Aber mir scheint, um auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheitspflege was besonders zu leisten, dazu gehört, außer diesen vortrefflichen Eigenschaften doch noch eine, von der du meiner Ansicht nach sehr wenig besitzest: Güte, lieber Berthold, Liebe zu den Menschen.«
Berthold schüttelte heftig den Kopf »Die Menschenliebe, die du meinst, Vater, halt ich für ganz überflüssig, eher für schädlich. Das Mitleid – und was kann Liebe zu Leuten, die man nicht persönlich kennt, am Ende anderes sein – führt notwendig zu Sentimentalität, zu Schwäche. Und gerade, wenn man ganzen Menschengruppen helfen will, muß man gelegentlich hart sein können gegen den einzelnen, ja muß imstande sein ihn zu opfern, wenn’s das allgemeine Wohl verlangt. Du brauchst nur dran zu denken, Vater, daß die ehrlichste und konsequenteste Sozialhygiene direkt darauf ausgehen müßte, kranke Menschen zu vernichten, oder sie wenigstens von jedem Lebensgenuß auszuschließen. Und ich leugne gar nicht, daß ich in dieser Richtung allerlei Ideen habe, die auf den ersten Blick grausam erscheinen könnten. Aber Ideen, glaub ich, denen die Zukunft gehört. Du brauchst dich nicht zu fürchten, Vater, daß ich gleich damit beginnen werde, den Mord der Schädlichen und Überflüssigen zu predigen. Aber philosophisch geht mein Programm ungefähr darauf hinaus. Weißt du übrigens, mit wem ich neulich über dieses Thema ein sehr interessantes Gespräch gehabt habe?«
»Was für ein Thema meinst du?«
»Präzis ausgedrückt: ein Gespräch über das Recht, zu töten. Mit Heinrich Bermann, dem Schriftsteller, dem Sohn des verstorbenen Abgeordneten.«
»Wo hast du denn Gelegenheit gehabt, ihn zu sehen?«
»Neulich in einer Versammlung. Therese Golowski hat ihn mitgebracht. Du kennst ihn doch auch, nicht wahr, Vater?«
»Ja«, erwiderte der Alte, »schon lang.« Und er fügte hinzu: »Heuer im Sommer hab ich ihn wieder gesprochen, bei Anna Rosner.«
Wieder zuckte es heftig um Bertholds Brauen. Dann sagte er wie höhnisch: »So was ähnliches hab ich mir gedacht. Bermann erwähnte nämlich, daß er dich vor einiger Zeit gesehen hätte, wollte sich aber nicht recht erinnern wo. Ich schloß daraus, es müßte sich um eine – diskrete Angelegenheit handeln. Ja. So hat es also dem Herrn Baron beliebt, seine Freunde bei ihr einzuführen!«
»Dein Ton, lieber Berthold, läßt vermuten, daß gewisse Dinge bei dir doch nicht so gänzlich überwunden sind, als du früher angedeutet hast.«
Berthold zuckte die Achseln. »Ich habe nie geleugnet, daß mir der Baron Wergenthin antipathisch ist. Darum war mir ja diese ganze Geschichte von Anfang an so peinlich.«
»Darum?«
»Ja.«
»Und doch glaub ich, Berthold, würdest du der Sache anders gegenüberstehen, wenn du Anna Rosner irgend einmal als Witwe wiederfändest – selbst im Fall, daß dir der verstorbene Gatte noch antipathischer gewesen wäre, als der Freiherr von Wergenthin.«
»Das ist möglich. Man könnte dann doch annehmen, daß sie geliebt – oder wenigstens respektiert worden ist, nicht genommen und – weggeworfen, sobald der Spaß zu Ende war. Das hat für mich etwas… nun, ich will mich nicht näher ausdrücken.«
Der Alte sah seinen Sohn kopfschüttelnd an. »Es scheint wirklich, daß all die vorgeschrittenen Ansichten von euch jungen Leuten auf der Stelle hinfällig werden, sobald eure Leidenschaften und Eitelkeiten mit ins Spiel kommen.«
»In Hinsicht auf gewisse Fragen der Reinheit oder Reinlichkeit weiß ich mich keiner sogenannten vorgeschrittenen Ansicht schuldig, Vater. Und ich glaube, auch du wärst nicht sehr entzückt, wenn ich Lust verspürte, der Nachfolger eines mehr oder weniger verstorbenen Baron Wergenthin zu werden.«
»Gewiß nicht, Berthold. Besonders ihretwegen, denn du würdest sie zu Tode quälen.«
»Sei unbesorgt«, erwiderte Berthold. »Anna schwebt in keinerlei Gefahr von meiner Seite. Es ist vorbei.«
»Das ist ein guter Grund. Aber zum Glück gibt es einen noch bessern. Der Baron Wergenthin ist weder tot noch durchgegangen…«
»Auf das