Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


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was gedenkst du zu tun?«

      »Aufrichtig gestanden, ich weiß nicht recht. Du begreifst, daß ich nicht auf der Stelle hinfahren kann, besonders unter diesen Umständen.«

      Felician schien nachdenklich. »Mit einem kleinen Aufschub wird ja wohl nichts verloren sein«, sagte er dann.

      »Das denk ich mir auch. Vor allem muß ich wissen, wie’s draußen geht. Ich möchte mich natürlich auch gern mit Anna beraten.«

      »Wo hast du denn das Telegramm, darf man’s lesen?«

      »Drin auf dem Schreibtisch liegt’s«, sagte Georg, der eben damit beschäftigt war, sich die Schuhe zuzuschnüren.

      Felician begab sich ins Nebenzimmer, nahm die Depesche zur Hand und las. »Das ist ja viel dringender«, bemerkte er, »als ich gedacht habe.«

      »Mir scheint, Felician, es kommt dir noch immer merkwürdig vor, daß ich nun bald einen wirklichen Beruf haben soll.«

      Felician stand wieder bei seinem Bruder, strich ihm übers Haar und sagte: »Es ist vielleicht eine gute Fügung, daß die Depesche gerade gestern gekommen ist.«

      »Gut? Inwiefern?«

      »Ich meine, nach so einem trüben Ereignis dürfte dir die Aussicht auf praktische Betätigung doppelt wohltun… Aber ich muß dich jetzt leider verlassen. Ich hab noch eine ganze Menge zu tun; Abschiedsbesuche unter anderm.«

      »Wann fährst du denn, Felician?«

      »Heut in acht Tagen. Sag Georg, du kommst doch heut wahrscheinlich noch vom Land zurück?«

      »Wenn draußen alles in Ordnung ist, ganz bestimmt.«

      »Wir könnten uns vielleicht am Abend noch treffen?«

      »Das wär mir sehr lieb, Felician.«

      »Also wenn’s dir recht ist – ich bin von sieben Uhr an zu Hause. Wir können vielleicht zusammen soupieren, aber allein, nicht im Klub.«

      »Ja, gern.«

      »Und ich möcht dich was bitten«, begann Felician nach kurzem Schweigen wieder. »Bestell draußen einen Gruß von mir, einen herzlichen… und sag ihr, daß ich den innigsten Anteil nehme.«

      »Ich danke dir, Felician, ich werde es ihr ausrichten.«

      »Wirklich, Georg, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr es mich berührt hat«, fuhr Felician mit Wärme fort. »Ich hoffe nur, sie kommt bald darüber hinweg… Und du auch.«

      Georg nickte. »Weißt du«, sagte er leise, »wie er hätte heißen sollen? Felician!«

      Felician sah seinem Bruder ins Auge, sehr ernst, dann drückte er ihm die Hand. »Aufs nächstemal«, sagte er mit einem guten Lächeln. Noch einmal drückte er dem Bruder die Hand und ging. Georg sah ihm nach, zwiespältig bewegt. Ganz unangenehm ist es ihm ja doch nicht, dachte er, daß es so gekommen ist. – Rasch machte er sich fertig und beschloß, heute wieder einmal zu Rad aufs Land zu fahren.

      Erst als er über die belebteren Straßen hinaus war, kam er zum Gefühl seiner selbst. Der Himmel hatte sich ein wenig getrübt, und von den Hügeln her wehte Georg ein kühler Wind wie Herbstgruß entgegen. Er wollte in der kleinen Ortschaft, wo das gestrige Ereignis jedenfalls schon bekannt geworden war, niemandem begegnen und nahm den obern Weg zwischen Wiesen und Gärten zum rückwärtigen Eingang. Je näher der Augenblick kam, da er Anna wiedersehen sollte, um so schwerer wurde ihm ums Herz. Am Gitter saß er vom Rad ab und zögerte ein wenig. Der Garten war leer; unten lag das Haus, in Stille versunken. Georg atmetet tief und schmerzlich auf. Wie anders hätte es sein können! dachte er, schritt hinab und hörte den Kies unter seinen Füßen knirschen. Er trat auf die Veranda, lehnte das Rad ans Geländer und schaute durch das offene Fenster ins Zimmer hinein. Anna lag mit offenen Augen.

      »Guten Morgen«, rief er möglichst heiter.

      Frau Golowski, die an Annas Bett gesessen war, erhob sich und erzählte gleich: »Gut haben wir geschlafen, fest und gut.«

      »Na, das ist schön«, sagte Georg und schwang sich über die Brüstung ins Zimmer.

      »Du bist ja sehr unternehmend heute«, sagte Anna mit ihrem verschmitzten Lächeln, das Georg an längst vergangene Zeiten erinnerte. Frau Golowski teilte mit, der Professor wäre am frühen Morgen dagewesen, hätte sich vollkommen zufrieden gezeigt, und Frau Rosner in seinem Wagen mit in die Stadt genommen. Dann entfernte sie sich, mit guten Blicken.

      Georg beugte sich zu Anna nieder, küßte sie innig auf Augen und auf Mund, rückte den Stuhl näher, setzte sich und sagte: »Mein Bruder – grüßt dich herzlich.«

      Es zuckte unmerklich um ihre Lippen. »Danke«, erwiderte sie leise und bemerkte dann: »Du bist ja mit dem Rad herausgekommen?«

      »Ja«, erwiderte er. »Da muß man nämlich auf den Weg aufpassen, was zuweilen sein Gutes hat.« Dann berichtete er vom Abschluß des gestrigen Abends, erzählte das Ganze wie eine spannende Geschichte, und erst zum Schluß, wie es sich gehörte, durfte Anna erfahren, wie Heinrichs Geliebte geendet hatte. Er erwartete sie bewegt zu sehen, aber sie behielt einen sonderbar harten Zug um den Mund.

      »Es ist doch furchtbar«, sagte Georg. »Findest du nicht?«

      »Ja«, erwiderte Anna kurz, und Georg fühlte, daß ihre Güte hier völlig versagte. Er sah den Widerwillen aus ihrer Seele fließen, nicht lau wie von einem Wesen zum andern hin, sondern stark und tief, wie einen Strom des Hasses von Welt zu Welt. Er ließ das Thema fallen und begann von neuem: »Jetzt was Wichtiges, mein Kind.« Er lächelte, hatte aber ein wenig Herzklopfen.

      »Nun?« fragte sie gespannt.

      Er nahm das Detmolder Telegramm aus seiner Brusttasche und las es ihr vor. »Was sagst du dazu?« fragte er mit gespieltem Stolz.

      »Und was hast du geantwortet?«

      »Noch gar nichts«, erwiderte er beiläufig, als wäre er nicht gesonnen, die Sache sonderlich ernst zu nehmen. »Ich wollt es natürlich vorher mit dir besprechen.«

      »Also was denkst du?« fragte sie unbeweglich.

      »Ich… lehne natürlich ab. Ich depeschiere, daß ich… in der nächsten Zeit keineswegs hinkommen könnte.« Und er erläuterte ihr ernsthaft, daß mit einem Aufschub weiter nichts verloren sei, da er ja als Gast jedenfalls willkommen und diese dringende Aufforderung doch nur einem Zufall zu verdanken war, auf den zu hoffen man nicht das Recht gehabt hätte.

      Sie ließ ihn eine Weile reden, dann sagte sie. »Du bist schon wieder einmal leichtsinnig. Vor allem find ich, hättest du gleich antworten sollen. Und…«

      »Nun, und?… Vielleicht auch gleich heute früh fortfahren, statt zu dir herauszukommen – wie?« scherzte er.

      Sie blieb ernst. »Warum nicht?« sagte sie. Und auf sein befremdetes Zurückwerfen des Kopfes: »Mir geht es ja Gott sei Dank sehr gut, Georg; und auch wenn es mir etwas schlechter ginge, helfen könntest du mir ja doch nicht, also…«

      »Ja, Kind«, unterbrach er sie, »mir scheint, du verstehst gar nicht recht, um was es sich handelt! Das Hinfahren ist natürlich eine ziemlich einfache Sache – aber – das Dortbleiben! Das Dortbleiben mindestens bis Ostern! So lange dauert die Saison.«

      »Na, daß du nicht fortgefahren bist, ohne mir vorher adieu zu sagen, Georg, das finde ich natürlich ganz in der Ordnung. Aber siehst du, fort mußt du ja jedenfalls, nicht wahr? Wenn wir auch gerade in der letzten Zeit nicht darüber gesprochen haben, wir haben’s doch beide gewußt. Also ob du in vier Wochen wegfährst, oder übermorgen – oder heute…«

      Nun begann Georg sich ernstlich zu wehren. Das sei durchaus nicht gleichgültig, ob in vier Wochen oder heute. Im Laufe von vier Wochen könne man sich doch mit gewissen Gedanken vertraut machen – und überdies alles genau besprechen – hinsichtlich der Zukunft.

      »Was gibt es da viel zu besprechen«, erwiderte sie müd. »In vier Wochen nimmst du… kannst du mich


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