Sophienlust Staffel 8 – Familienroman. Diverse Autoren
nennen?« fragte er gütig und umfaßte ihre eiskalten Hände.
»Ja, Doktor…«
»Bitte, nennen Sie mich Dieter. Nicht wahr, wir wollen Freunde sein?«
»Aber Sie wissen doch nicht…«
»Ingrid, ich weiß alles.«
»Und Sie glauben mir?« fragte sie erschüttert.
»Selbstverständlich glaube ich, daß Sie unschuldig sind. Trotzdem möchte ich gern alle Einzelheiten über diesen Fall wissen. Aber erst einmal müssen Sie an Ihr leibliches Wohl denken. Ob Sie es glauben oder nicht, ich bin ein ausgezeichneter Koch«, fügte er ver-gnügt hinzu.
Ingrid lachte plötzlich hellauf.
»Na also«, stellte er zufrieden fest. »Lachen ist gesund und befreit die Seele von ihrer schweren Last. So, und nun führen Sie mich bitte in Ihre Küche. Irgend etwas Eßbares werden Sie gewiß im Eisschrank haben.«
»Habe ich«, ging sie auf seinen leichten Ton ein. »Eier sind da.«
»Das reicht. Ich mache uns eine Eierspeise.«
»Bier ist auch noch da.«
»Phantastisch«, entgegnete er lachend.
Genauso wie bei ihrem ersten Beisammensein fühlte sich Ingrid bei diesem Mann wieder seltsam geborgen. Seine Nähe strahlte so viel Ruhe aus, daß sie auf einmal weniger sorgenvoll in die Zukunft blickte.
Das Mahl, das Dieter kurz darauf zu bereitet hatte, war tatsächlich sehr schmackhaft. Ingrid trank sogar zwei Gläser Bier. Als sie danach abräumen wollte, sprang er dienstbeflissen auf und rief: »Das mache ich.«
»Aber das geht doch nicht. Ich…«
»Und ob das geht.« Geschickt wie ein Kellner balancierte er das Tablett hinaus in die Küche. Lächelnd blickte Ingrid ihm entgegen, als er ins Wohnzimmer zurückkam.
Dieter setzte sich ihr gegenüber und bot ihr eine Zigarette an. Dann gab er ihr Feuer. »So, Ingrid, und nun erzählen Sie mir alles.«
Zuerst stockend, dann aber fließend berichtete sie von dem Abend im Krankenhaus, an dem das Morphium entwendet worden war. Diesmal gab sie auch zu, daß ihr Mann mindestens zehn Minuten allein im Schwesternoffice auf sie gewartet hatte.
Aufmerksam hörte Dieter Heidenreich ihr zu.
Ingrid holte nun die Flasche Whisky, die noch von Guidos letztem Besuch da war, und Gläser. Dann brachte sie Eiswürfel und Selterswasser.
Dieter stellte noch einige geschickte Fragen, so daß er im Laufe des Abends Einzelheiten aus Ingrids Ehe erfuhr. Auch Pia war zur Sprache gekommen.
»Ich habe Ihnen nun fast eine Lebensbeichte abgelegt«, versuchte Ingrid schließlich zu scherzen.
»Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen Ingrid«, entgegnete er und zog ihre Hand an die Lippen.
»Dann glauben Sie mir wirklich?«
»Natürlich tue ich das. Ich bin überzeugt, daß auch die Leute im Krankenhaus im Grunde ihres Herzens von Ihrer Unschuld überzeugt sind.«
»Das glaube ich weniger. Hätten sie mich sonst fristlos entlassen?«
»Als Krankenschwester dürfte Ihnen doch bekannt sein, daß man gerade in dieser Beziehung besonders vorsichtig sein muß. Der Fall wird sich gewiß aufklären. Hat die Polizei Sie schon verhört?«
»Bisher noch nicht. Aber ich warte täglich auf eine Vorladung.«
»Vielleicht bleibt sie ganz aus.« Er erhob sich. »Es ist schon spät. Ich gehe jetzt. Darf ich wiederkommen, Ingrid?«
»Ich würde mich sehr über Ihren Besuch freuen«, erwiderte sie lebhaft und brachte ihren Gast hinaus.
»Kopf hoch«, sagte Dieter beim Abschied und küßte wieder ihre Hand.
»Sie haben mir sehr geholfen, Dieter.« Lächelnd blickte sie ihn an.
»Und wenn ich wieder nach Sophienlust fahre, werden Sie mich begleiten, nicht wahr?«
»Ja, Dieter.«
Ingrid wartete noch an der Treppe, bis seine Schritte im Treppenhaus verhallt waren. Dann schloß sie ab und hängte die Sicherheitskette vor. In dieser Nacht schlief sie zum erstenmal seit langer Zeit wieder tief und traumlos.
*
Dafür hatte Dr. Dieter Heidenreich eine sorgenvolle Nacht hinter sich. Immer wieder kam er zu dem Schluß, daß Ingrids Mann in diesen Morphiumdiebstahl verwickelt war.
Als er nach einigen Stunden unruhigen Halbschlafs erwachte, hatte er sich zu einem Entschloß durchgerungen. Obwohl es nicht in seinen Zeitplan paßte, nahm er sich einen Tag frei, um nach München zu fahren
Auf der Fahrt in die Isarmetropole wurde ihm bewußt, daß er für Ingrid mehr als nur freundschaftliche Gefühle hegte. Darum hatte er auch jedes Wort, das ihren Mann betraf, gut behalten.
Gegen Mittag erreichte Dr. Heidenreich München. Der Stadtteil Bogenhausen war ihm bekannt, so daß er auch die Straße leicht fand, in der Guido Laurens wohnte. Doch niemand öffnete ihm auf sein Läuten.
Dieter entschloß sich, im Wagen auf die Rückkehr von Ingrids Mann zu warten. Er hoffte nur, daß er seine Zeit nicht umsonst opferte.
*
Guido war inzwischen verzweifelt. Mehrmals hatte er versucht, Pia in ihrem Appartement zu erreichen. Doch sie schien wie vom Erdboden verschwunden zu sein.
Dabei war er sich Pias Liebe so sicher gewesen. Auf den Gedanken, daß sie ihn eines Tages verlassen könnte, war er niemals gekommen. Fassungslos stand er nun vor den Scherben seines Liebesglücks. Er schwor sich, Pia zurückzuholen. Ohne sie erschien ihm das Leben sinnlos, die Welt leer und tot.
An diesem Tag hatte er wieder über eine Stunde vor Pias Appartement gewartet und war danach in ein Lokal gegangen, um sich zu betrinken. Dabei hatte er festgestellt, daß das durch das Morphium verdiente Geld schon fast aufgebraucht war.
Plötzlich dachte er an die Bar, in der er Pia zum letztenmal gesehen hatte. Warum war er nicht schon früher dorthin gegangen? fragte er sich. Bestimmt würde er dort etwas über Pias Verbleib erfahren. Vielleicht würde er sie sogar dort antreffen.
Vorher wollte er aber noch ein Bad nehmen. Darum fuhr er zunächst einmal heim.
Nach dem Bad war Guido jedoch so müde, daß er sich niederlegte und über eine Stunde tief schlief. So hörte er auch nicht Dieters Läuten.
Als er erwachte, war es bereits nach sieben.
Dieter wollte gerade losfahren, als er einen Mann das Haus verlassen sah, auf den Ingrids Beschreibung haargenau paßte.
Dieter entschloß sich jäh, ihn nicht anzusprechen, sondern ihm unauffällig zu folgen. Auf diese Weise bestand die Möglichkeit, daß er auch einige Bekannte von Guido kennenlernte.
Unauffällig folgte Dieter Guidos Wagen und bekam in Schwabing sogar einen Parkplatz direkt hinter ihm.
Guido war viel zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, als daß er auf seine Umgebung geachtet hätte. Als er die Bar betrat, entdeckte er Pia sofort. Sie saß mit Karl Kunze in einer Nische. Es war nicht schwer zu erkennen, daß sie bis über beide Ohren in seinen »Komplizen« verliebt war. Er aber behandelte sie etwas von oben herab.
Guido holte tief Luft. Dann ging er auf die beiden zu.
Unwillkürlich rückte Pia näher an ihren neuen Geliebten heran. »Es ist Guido«, wisperte sie nervös.
»Ich sehe es, Pia«, bekam sie gelassen zur Antwort. »Denke an das, was ich dir gesagt habe. Wir brauchen neuen Stoff.«
»Ich weiß.« Pia streckte Guido die Hand entgegen. »Wie schön, dich einmal wiederzusehen«, sagte sie honigsüß.
Guido übersah ihre Hand und setzte sich an den Tisch.