Vegetarisch leben. Armin Risi
Körper in Zerfallsprodukte wie Cadaverin und Putrescin. Das nicht verwertete Protein lagert sich ab und dient als Nahrung für die zahlreichen Fäulnisbakterien, was die Gesundheitsrisiken, die bereits im vorherigen Abschnitt («Probleme für die Verdauung») erwähnt wurden, nochmals verschärft.
Fazit: Um die täglich notwendigen maximal 30 Gramm Protein zu bekommen, brauchen wir kein Fleisch zu essen; es ist leicht möglich und sogar viel gesünder, sie aus rein vegetarischer Nahrung zu beziehen (Hülsenfrüchte, Nüsse, Getreide, frische Früchte, Blatt- und Wurzelgemüse, Keimlinge).
Dass der Mensch gar nicht so viel Protein braucht, wird außerdem durch die folgende Tatsache belegt: Als Säugling benötigt der Mensch die höchste Proteinkonzentration in der Nahrung, da innerhalb weniger Monate das Körpergewicht verdoppelt werden muss. Die natürliche Nahrung des Säuglings ist die Muttermilch, die 1,2% Protein enthält. Der Erwachsene benötigt also bestimmt nicht mehr als 1,2% Proteinanteile in der Nahrung, was wiederum für die vegetarische Ernährung spricht: Gemüse und Früchte haben 1,5-2%, Milch 4%, Getreide 5-10% und Fleisch 15-25% Proteinanteile, die dazu noch, wie bereits erwähnt, nicht gänzlich abbaubar sind.
Die Frage lautet also nicht: Woher bekommen die Vegetarier ihr Protein?, sondern: Wie werden die Fleischesser all ihre schädlichen Proteinüberschüsse wieder los?
Neueste Studienergebnisse aus dem Jahre 2014 haben einmal mehr aufschlussreiche Erkenntnisse über die gesundheitlichen Folgen von tierischem Eiweiß zu Tage gebracht, insbesondere bei älteren Menschen.
In einer Studie von Morgan E. Levine et al. von der University of Southern California in Los Angeles war eine doppelt so hohe Proteinzufuhr im Alter zwischen 50 und 65 Jahren mit einer um 75% erhöhten Gesamtmortalität nach 18 Jahren und einer vierfach erhöhten Krebsmortalität assoziiert. Diese Effekte traten nicht oder nur stark vermindert auf, wenn es sich dabei um pflanzliches Protein handelte (etwa 70% des Proteins wurde aus tierischen Lebensmitteln aufgenommen). Gemäß derselben Studie war die Diabetesmortalität über alle Altersgruppen hinweg bei hoher Proteinaufnahme um das Fünffache erhöht.
Ähnliche Ergebnisse zeigt auch die EPIC-Diabetes-Studie der Niederländerin Ivonne Sluijs et al. (2010): Im Follow-up von zehn Jahren erhöhte der reichliche Verzehr von tierischem Protein das Diabetesrisiko um 118%, pflanzliches Protein hingegen verhielt sich neutral. Der besonders reichliche Verzehr von Kohlenhydraten erhöhte das Risiko nur um 15%, Ballaststoffe senkten es sogar.
Eisenmangel?
Eisenmangel (Anämie) ist eine der häufigsten Mangelerkrankungen des Menschen. Die Ursache für diesen Mangel ist jedoch entgegen weitverbreiteten Behauptungen nicht etwa einer vegetarischen oder veganen Ernährung zuzuschreiben, sondern – wie die meisten Mangelerkrankungen – einer einseitigen Ernährung. Denn Fleischesser sind genauso von Anämie betroffen: «Blutanalysen haben ergeben, dass Vegetarier nicht häufiger als andere Menschen unter einem Eisenmangel leiden.» (Dr. Andreas Hahn vom Institut für Lebensmittelwissenschaft der Universität Hannover, zitiert in Focus 10/2001, S. 164)
Eisenmangel entsteht, wenn der Körper zu viel Eisen verliert oder zu wenig Eisen aus der Nahrung aufnimmt – sei es, weil die heutige (denaturierte) Nahrung arm an Eisen ist, oder sei es, weil der Körper das Eisen nicht mehr richtig aufnehmen kann. Hierbei sind vielerlei Faktoren zu beachten. Zum Beispiel können Verdauungsprobleme und pharmazeutische Medikamente die Eisenaufnahme stark vermindern. Bei Frauen kann durch die heute übliche Ernährungsweise mit viel erhitztem tierischem Protein zudem der Blutverlust während der Menstruation stark erhöht werden, was ebenfalls einen Eisenverlust nach sich zieht.
Es ist eine Tatsache, dass Fleisch viel verwertbares Eisen enthält, weshalb die Annahme weit verbreitet ist, der Mensch müsse Fleisch essen, um genügend Eisen zu erhalten. Dies ist jedoch eine einseitige Sichtweise, denn Eisen findet sich auch in vielen pflanzlichen Lebensmitteln. (Von diesen Pflanzen beziehen auch die Schlachttiere ihr Eisen!)
Der menschliche Organismus hat die Wahl, wie viel Eisen er aus der Nahrung aufnehmen möchte, doch beim Essen von Fleisch wird der körpereigene Regulationsmechanismus umgangen. Weil das Eisen im Tierfleisch in exakt derselben Form vorliegt wie im menschlichen Blut, gelangt es zu einem großen Teil direkt ins Blut. Dies ist eine der Ursachen, warum Fleischesser unter einer erhöhten Infektionsanfälligkeit leiden. Wenn das Eisen hingegen nicht «pfannenfertig» über das Fleisch aufgenommen wird, aktiviert der menschliche Körper seinen eigenen Stoffwechsel und holt aus der pflanzlichen Nahrung mehr Eisen heraus, das heißt, er erhöht seine Resorptionsrate. Durch die gleichzeitige Aufnahme von Vitamin-C-reichen Nahrungsmitteln und Getränken (z.B. Frucht- und Gemüsesäfte) wird die Eisenaufnahme deutlich begünstigt.
Dies ist eigentlich schon lange bekannt. So schrieb Die Weltwoche, Zürich, bereits in ihrer Ausgabe vom 12. Februar 1987: «Aus Deutschland kommt für die Vegetarier frohe Kunde. […] Eine fünf Jahre dauernde Studie hat Erfreuliches zu Tage gefördert. Ausgerottet ist der Aberglaube, dass, wer kein Fleisch isst, an Eisenmangel leidet. Die Studie hat bewiesen, dass Körper, die weniger Eisen bekommen (und Fleisch liefert 30% unseres Nahrungseisens), einfach mehr Eisen aus der verabreichten Nahrung lösen. Ähnlich ist es mit dem Kalzium.» Deshalb wurden auch beim Eisen die offiziellen Angaben der erforderlichen Menge in den letzten Jahren mehrfach nach unten korrigiert.
Fazit: Vegetarier haben im Durchschnitt zwar geringere Eisenspeicher und damit etwas weniger Eisen im Blut (was viele Mediziner mittlerweile sogar als gesundheitlichen Vorteil ansehen!), einen Mangel an Eisen weisen sie jedoch nicht häufiger auf als Fleischesser.
Hinweis: Pflanzliche Produkte, die einen besonders hohen Eisengehalt aufweisen, sind zum Beispiel: Kürbiskerne, Sesam, Mohn, Weizenkeime, Linsen, Pistazien, Trockenpfirsiche, Sojabohnen, Sonnenblumenkerne, Kichererbsen, Erbsen und Haferflocken sowie Gemüse wie Spinat, Petersilie, Gartenkresse, Fenchel, Mangold und Feldsalat.
Mangel an Vitamin B12?
Das Vitamin B12 ist sowohl für den Stoffwechsel als auch für den Zellaufbau sehr wichtig, insbesondere für die Nervenzellen. Obwohl der Mensch pro Tag nur 1 bis 3 Mikrogramm (Millionstelgramm) dieses Vitamins benötigt, gibt es Menschen, die unter einem Vitamin-B12-Mangel leiden, und zwar wiederum unter Vegetariern und Veganern genauso wie unter Fleischessern. Mit anderen Worten: Die Versorgung mit Vitamin B12 kann nicht einfach durch das Essen von Fleisch abgedeckt werden.
Das B12-Thema sollte sehr differenziert betrachtet werden. So haben Untersuchungen gezeigt, dass in Indien lebende Vegetarier kaum unter Vitamin-B12-Mangel leiden. Inder hingegen, die nach England umzogen, bekamen dort plötzlich einen B12-Mangel, obwohl sie ihre vegetarische Ernährung beibehalten hatten. Gerade in den Industrienationen ist trotz des hohen Fleischkonsums immer häufiger ein B12-Mangel zu beobachten. Andererseits gibt es Menschen, die ihr Leben lang nie tierische Produkte konsumiert haben und keinen B12-Mangel aufweisen. Wie lassen sich diese Widersprüche erklären?
Gemäß heute weitverbreiteter Ansicht kommt Vitamin B12 nur in tierischen Produkten vor. Dieses Vitamin kann vom Körper eines Tieres leicht gespeichert werden, weshalb die Menschen, die Tiere essen, zusammen mit dem Fleisch auch deren B12-Vorrat übernehmen. Unerwähnt bleibt dabei meistens, dass die Säugetiere (Rinder, Schweine usw.) dieses Vitamin nicht selbst bilden, sondern dass es in ihrem Verdauungstrakt von Bakterien produziert wird.
Beim Menschen geht man heute davon aus, dass sein Verdauungstrakt keine solchen Bakterien enthält. Ob dies auch auf gesunde, vegan lebende Menschen zutrifft, ist noch nicht definitiv geklärt, denn es wäre durchaus möglich, dass sich bei Menschen mit einem gesunden Darmklima (ohne Übersäuerung, Verklebungen, Schwermetalle, Antibiotika usw.) nach einer oder zwei Generationen eine Darmflora regeneriert, die auch B12-Bakterien aufnehmen kann.
Bakterien, die B12 produzieren, sind jedoch nicht nur im Tierdarm vorhanden, sondern auch in jedem gesunden Humusboden sowie auf allen Pflanzen, die aus einem solchen Boden wachsen. Die pro Tag benötigten 1 bis 3 Mikrogramm B12 könnte der Mensch also leicht (indirekt) über naturbelassene pflanzliche Nahrung aufnehmen. Wenn aber die Mikrostruktur der Böden durch schwere Maschinen, Chemie und Überdüngung zerstört wird, werden auch diese Bakterien abgetötet, und so bekommen weder die Tiere noch die Menschen ausreichend Vitamin B12. Dies wird heute noch verstärkt,