Gesammelte Sci-Fi-Romane in einem Band. Hans Dominik
selbst für das gerächt, was frevle Hand ihr angetan. Keine andere Meinung herrschte in Europa, in der Welt. Dann wurden langsam andere Stimmen laut. Man achtete ihrer kaum. Sie sagten: Unmöglich, daß die Natur aus sich selbst heraus das gestörte Gleichgewicht der Kräfte hergestellt hatte. Die Sialscholle, einmal zerrissen, abgedrängt von den aufstrebenden Simamassen, konnten niemals wieder dahin zurückkehren, wo sie gelagert hatten. Gewiß, daß ihre Masse, wuchtend auf den im Erdboden begrabenen Sedimentärschichten und anderen Sialmassen, diese nach unten drückte, bis sie, unter die benachbarten Massen gedrängt, Ausgleich suchend, sich hoben.
Nicht die Natur selbst, eine andere Macht mußte hier am Werk gewesen sein. Die gleiche Macht, die auch die anderen Wunder vollbracht: Vineta, Black Island gehoben.
Menschenmacht?
An der Frage scheiterte jeder.
Telenergetische Konzentration?
Das Wort, schon vor längerer Zeit aufgetaucht, beschäftigte unablässig alle führenden Geister der physikalischen Wissenschaft, theoretisch längst erkannt! Doch nie war es gelungen, die Nullpunktenergie auszulösen. Die Wissenschaft, so weit vorgeschritten, stand doch erfolglos vor diesem letzten Hindernis.
Schon war die Mehrzahl der Gelehrten der Meinung, daß dieses Welträtsel dem menschlichen Geist ewig verschlossen bliebe. Denn diese Erkenntnis, weitergeführt bis zur Konstruktion des technischen Mittels, des wirkenden Instruments, müßte der Allgemeinheit in die Hände gegeben, zur Katastrophe, zum Chaos führen.
Jeder einzelne der Beherrscher der übrigen. Kein Diener mehr, nur Herren im Kampf um die alleinige Macht. Tod, Vernichtung für alles Lebende, Umwälzung der Natur. Keine Grenzen mehr für menschlichen Geist, für menschliche Kraft … für menschliche Schwäche.
Das Ende der Menschheit.
Nie konnte Schicksalsmacht solche Waffen in schwache Menschenhand legen. Das Schicksal … Gott, der Lenker aller Dinge?
Sein Werk? Die einzige Erklärung. Da brachten die Zeitungen vom Osten eine neue Wendung.
Reisende, die durch Gebiete gekommen, wo einst die Wiege der Menschheit gestanden, hatten dort mit den Weisen, Alten, den Bewahrern jahrtausendealter Kultur und Wissenschaft gesprochen, bei ihnen Erkenntnis, Lösung des Rätsels gesucht.
Da war die Antwort gekommen.
»Warum sucht ihr nicht bei dem, das euch am nächsten liegen müßte?«
Und wieder ging es durch die Welt wie damals, als die Prophezeiung des Unglücks bekannt wurde, anknüpfte an die mysteriösen Buchstaben J. H. Sein Werk, Menschenwerk? Gab es noch Wesen, die zwischen Gott und den Menschen standen, er müßte es sein. Wo war er? Wer kannte ihn?
Auf ihrer Fahrt durch den Atlantik vernahm Uhlenkort alles, hörte alles.
Wo war der Freund jetzt? Seine Gedanken wanderten zurück bis zu dem Tage, an dem sie sich als Jünglinge zum ersten Mal sahen. Eine Fahrt auf dem Rhein. Hilferufe vom Ufer. Ein Ertrinkender. Er war in den reißenden Strom gesprungen, hatte den Ertrinkenden unter Aufbietung aller Kräfte gerettet. Das Band zwischen ihnen, durch die Tat geknüpft, war fester geworden von Jahr zu Jahr. J. H. war sein Freund seit diesem Tage.
Schicksal, rätselhaftes! Ließ den, der zum Höchsten bestimmt war, in Todesnot geraten, damit er ihn rettete, sein Freund würde. Dieser hatte ihm das, was er getan, tausendfach wieder vergolten. Christie! Dessen Hand hatte sie ihm wiedergegeben.
Er war in Saltadera auf den Strand gesprungen, um ihn zu umarmen, ihm zu danken. Der Freund war fort. Wie ein Schlag hatte ihn die Erkenntnis getroffen. Der Freund war fort. Mit dem Flugzeug entwichen.
Wohin? Zu neuer Tat, zu der das Schicksal ihn rief? Nicht anders konnte es sein!
In der gestrigen Nacht hatte Uhlenkort auf Deck gestanden, das Nachtglas vor den Augen. Hatte nach Westen hinübergeschaut, wo die blaue Welle des Golfstroms sich den Weg nach Norden bahnte. War dann in leichten Schlaf versunken. Die Geschehnisse der letzten Tage und Wochen – zu stark hatte alles an seinen Nerven gezerrt. Der Schlaf, der ihn so lange mied, kam wieder. Leichte, wohlige Träume hatten ihn umfangen. Hamburg … Christie. Da, plötzlich war er aufgewacht. Ein sausender, kühler Luftstrom war über seinen Kopf hinweg gestrichen.
Er war aufgesprungen, hatte sich umgeschaut. Die See war ruhig.
Nur leise kräuselten sich die Wellen des Ozeans vor dem Rumpf des Schiffes.
Da, im Süden hinter ihnen … ein Dunkles … ein Vogel … ein Flieger.
Der Freund, der ihn begrüßte? Jetzt? Schon längst hatte die Sonne den höchsten Stand überschritten. Sein Glas war zum Himmel gerichtet. Er konnte sein Auge nicht losmachen. Ein kleiner dunkler Punkt kreiste in unendlicher Höhe dort oben.
Ein Flieger? Der Freund? Was tat er da? War es neue Tat? Was konnte das sein?
Das Heck des Bootes hob sich plötzlich stark in die Höhe. Das Schiff geriet in wildes Schwanken.
»Hallo!« Tredrups Stimme traf sein Ohr. »Hallo! Sie wollen mit, die warmen Wasser der Drift, Diener des Stromes, des Lebensspenders für die Alte Welt. Du, Uhlenkort, suchst wohl noch immer den Freund da oben?«
Er lachte.
»Sinnestäuschung, Uhlenkort! Meine Augen, schärfer als deine, sehen den dunklen Punkt nicht, der da oben kreist, wie du meinst.«
Uhlenkort schaute ihn an. Was war mit ihm geschehen? Das Geheimnis des Freundes! Kein Sterblicher außer ihm, der J. H. näher gekommen als Tredrup seit jenen Tagen, wo sie in Saltadera gelandet waren. Wie weggewischt alles, was dessen scharfer, kluger Geist gedacht, geahnt … Verstellung? Uhlenkort hatte zuerst gedacht, hatte dann die Meinung geändert. Tredrup verstellte sich nicht. Harmlos, wie ohne Ahnung von alledem, was vorher geschah. Ein Teil seines Gedächtnisses schien ausgelöscht von Schicksals Hand. Nicht anders konnte er sich’s erklären … keinen Wissenden außer ihm selbst gab es.
Tredrup setzte sich zu ihm. Sein Auge, schärfer als das des Liebenden, hatte den Zustand Christies tiefer durchschaut.
»Zuviel, Uhlenkort, für ein junges Mädchen! Hamburg, die Verwandten, das Wiedersehen in der Heimat. Zuviel Freude auf einmal!
Sie muß das Überstandene langsam überwinden. Auch zu große Freude kann schaden. Wir fahren an den Säulen des Herkules vorbei zur Riviera, lassen sie dort oder bleiben bei ihr und kehren dann erst nach Hamburg in die Heimat zurück, wenn sie wieder ist, wie sie war!«
Die weiten Gesellschaftsräume des Kasinos in Monte Carlo erstrahlten in blendender Lichtfülle. Der große Maskenball war glänzender Abschluß der Saison. Von allen Teilen der Riviera traf man sich zum letzten Mal in zwangloser Freiheit, bevor die Gesellschaft sich in alle Winde zerstreute. In einer Loge saßen Christie, Uhlenkort und Tredrup.
Mit blitzendem Auge verfolgte Christie das frohe Leben und Treiben unten im Saal.
»Du hattest recht, Klaus«, wandte sich Uhlenkort an Tredrup. »Dein Vorschlag, an der Riviera Station zu machen, war gut. Christie bedarf mehr der Zerstreuung als der Ruhe. Ihre Erlebnisse in den letzten Wochen waren zuviel für ihr schwaches Frauenherz. Tante Harlessen wird morgen kommen, bei ihr bleiben, bis sie sich erholt, bis sie zurückkommen kann in das Vaterhaus nach Hamburg.«
Er wandte sich wieder zu Christie.
»Ermüdet es dich nicht, Christie, dem bunten Treiben da unten so lange zuzusehen?«
»Nein, Walter, nicht im geringsten. Ich fühle mich so wohl, so wohl wie selten. Immer Neues, immer Interessanteres bietet das frohe Bild da unten. Sieh da! Eine Mexikanerin tritt durch die Tür.«
Sie klatschte leicht in die Hände.
»Wie schön! Wie schön ist das Bild, das so viele Erinnerungen in mir lebendig macht. Dein Glas, Walter!«
Sie sah eine Weile hindurch, gab es ihm zurück.
»Sieh, Walter, das wunderbare Kostüm. Es ist echt bis in die kleinste Einzelheit. Ich verstehe mich nur zu gut darauf, trug