Gesammelte Sci-Fi-Romane in einem Band. Hans Dominik
Miene eines gelben Diplomaten zur Schau zu tragen, und seine Ungeduld kam in seinen Zügen und Bewegungen deutlich zum Ausdruck. Er unterbrach das Spiel mit dem Bleistift nur, um hin und wieder das Telephon vom Haken zu nehmen und kurze Fragen zu stellen.
Die Uhr hub aus und schlug halb sechs. In ihren verhallenden Schlag mischte sich der Klang der Telephonglocke.
Die Meldung des Sekretärs, daß Mr. Collin Cameron soeben die Botschaft betreten habe.
Wang Tschung Hu legte den Apparat wieder auf die Gabel, suchte einen Moment zwischen verschiedenen, an dem großen Diplomatentisch befestigten Hebeln und legte einen davon um. Im gleichen Augenblick war ein Telephon auf seinem Tisch mit den Lauschmikrophonen verbunden, die sich in der Wohnung des Hausmeisters der Botschaft befanden. Jedes Wort, was dort unten gesprochen oder auch nur geflüstert wurde, mußte hier oben klar und deutlich aus dem Apparat kommen.
Die Gründe, die Seine Exzellenz Herrn Wang Tschung Hu veranlaßt hatten, diese Verbindung zwischen seinem Schreibtisch und der Wohnung seines Hausmeisters herstellen zu lassen, waren von besonderer Art. Wutin Fang, der da unten in der bescheidenen Stellung eines Hausmeisters wirkte, war in Wirklichkeit chinesischer Generalstabsoffizier und Chef der gelben Spionage in Europa. Der Botschafter mußte jederzeit offiziell versichern können, daß er Leute, wie jetzt diesen Mr. Collin Cameron, nicht kenne, niemals gesehen oder gesprochen habe. Aber Seine Exzellenz hatten ein großes und berechtigtes Interesse daran, zu erfahren, was solche Leute mit Wutin Fang verhandelten. So saß Wang Tschung Hu jetzt mit gespannter Aufmerksamkeit vor dem Telephon. Stimmen erklangen aus dem Apparat.
»Was bringen Sie uns, Mr. Cameron?«
»Schlechte Neuigkeiten, Herr Wutin Fang. Es hat nicht geklappt.«
»Ich verstehe nicht, wie das möglich war?«
»Wie das möglich war? … Ich hatte Ihnen den genauen Plan besorgt … Die Lage der Tresore, in denen die Kompagnie die Proben und Analysen des neuen Dynotherms aufbewahrt. Die Tresore sollten gesprengt werden. Ihre Leute haben ein harmloses Feuerwerk veranstaltet, aber keine Sprengung … Ein paar Fensterscheiben in Trümmer, ein paar Türfüllungen herausgeschlagen, aber die Tresore kaum beschädigt … Ganz unmöglich, an die Proben des Dynotherms heranzukommen … ich habe das Menschenmögliche versucht … Mehr, als für meine Person gut war …«
»… Verdammt … wir müssen die Analysen haben. Wenn es heute nicht ging, muß es das nächste Mal gehen.«
»Halten Sie die Direktoren der Kompagnie nicht für Kinder! Ein zweites Mal wird sich eine Gelegenheit nicht wieder bieten … gewiß nicht … ganz bestimmt nicht … dafür wird der Erfinder des neuen Stoffes sorgen. Isenbrandt war während der Sprengung im Gebäude. Ich sah ihn, wie er mit den Direktoren das Haus verließ. Meinen Sie, der wüßte nicht, um was es sich gehandelt hat …«
»Wir werden die Analysen bekommen. Wenn nicht morgen, dann übermorgen.«
»Machen Sie, was Sie wollen … ich kann mich mit der Angelegenheit nicht mehr abgeben … Ich habe mich schon zu sehr exponiert. Ich bin gesehen worden …«
»Von wem … von Isenbrandt?«
»Nein. Der hatte andere Dinge im Kopf und kennt mich auch nicht … ein Freund von ihm, ein amerikanischer Journalist … ein verdammter Schnüffler. Ich kenne ihn von Frisco her … Jetzt kennt er mich auch. Ich vermute beinahe, daß er mich schon von drüben her verfolgt. Ich muß Berlin von hier aus sofort verlassen.«
»Ihr Bericht ist wenig befriedigend, Mr. Cameron … Sie haben uns zu dem Unternehmen veranlaßt … Jetzt ziehen Sie sich zurück.«
»Weil ich muß. Die Gründe habe ich Ihnen gesagt. Das Unternehmen ist fehlgeschlagen, weil Ihre Leute schlecht gesprengt haben … Immerhin … Ich habe daraus zu machen versucht, was sich machen ließ. An die Analysen in den Panzergewölben war nicht heranzukommen. Für den Tresor im ersten Stock reichten die Sprengmittel, die ich bei mir hatte …«
»Mir wurde von zwei Explosionen berichtet … Haben Sie …«
»Ich habe es getan, weil ich es für die letzte Gelegenheit hielt, in das Kompagniegebäude zu kommen … Auf die Gefahr hin, verhaftet zu werden … auf die Gefahr hin, nichts zu finden … Ich habe gefunden.«
»Was haben Sie …«
»Wollen Sie, bitte, selbst sehen!«
Bisher hatten die Lauschmikrophone jede Silbe in den Apparat des Botschafters geleitet. Aber sehen konnte Wang Tschung Hu nichts. Er hörte deutlich das Knistern, wie wenn Papiere ausgebreitet und gerade gestrichen werden.
Dann wieder die Stimme Collin Camerons:
»Ich meine, der Besuch hat sich immerhin gelohnt.«
»Das Ilidreieck …«
Seine Exzellenz Herr Wang Tschung Hu preßte den Hörer mit Gewalt gegen das Ohr, aber er hörte nichts mehr. Wutin Fang schwieg, als habe er mit dem einen Wort schon zuviel gesagt. Collin Cameron sprach weiter:
»Ich lasse Ihnen die Pläne hier. Ich kann es nicht mehr riskieren, sie selbst nach China zu bringen. Die Marchesa di Toresani ist hier. Die kann das besorgen … ich muß sofort und auf dem schnellsten Wege nach Kaschgar.«
Wang Tschung Hu hörte, wie Papiere gefaltet wurden und die Tür eines Tresors in ihr Schloß fiel. Dann Blättern wie in einem Buche und dann die Stimme Wutin Fangs: »In vierzig Minuten geht das Ostschiff. Sie können es noch erreichen.« – –
Die Hände tief in den Taschen seines Mantels verborgen, ging Wellington Fox auf der gegenüberliegenden Seite der Straße vor der chinesischen Botschaft auf und ab. Der feine kalte Regen schien seiner offenbar recht guten Stimmung keinen Abbruch zu tun.
»Hab’ ich dich doch endlich, mein Freund«, kam es im Selbstgespräch von seinen Lippen. »Zwar nicht in meinen Fäusten, in denen ich dich gern hätte. Aber deine Schliche kenne ich jetzt … und die sind schlimmer, als ich dachte. Georg wird Augen machen, wenn ich ihm schneller als die liebe Polizei volle Aufklärung über den Täter gebe. Es dürfte jetzt auch Zeit sein, Isenbrandt etwas von meinen Beobachtungen in den Staaten zu erzählen … und von der Rolle, die der Bursche da spielt. Isenbrandt! Isenbrandt! Du spielst ein größeres Spiel, als du ahnst … Hier ist meine Arbeit für heute zu Ende.«
Er wollte sich eben dem Innern der Stadt zuwenden, als das plötzliche Halten eines Autos vor der Botschaft ihn noch einmal stillstehen ließ. Er kniff die Augen zusammen, um in der unsicheren Beleuchtung besser zu sehen.
Eine Dame, deren hoher Wuchs die Europäerin verriet, verließ den Wagen und schritt, von einem grauhaarigen Diener begleitet, durch den Vorgarten in das Haus. Mit einem Umwege begab sich Wellington Fox noch einmal auf den Bürgersteig vor der Botschaft. Als er den Wagen erreichte, kam die Besucherin mit ihrem Diener bereits wieder aus dem Gebäude. Ein dichter Schleier verbarg ihre Züge. Aber Wellington Fox starrte den beiden nach und starrte noch, als das Auto längst verschwunden war.
»Hallo! Was war das? Werden deine Augen schwach, Wellington? Vor einer Minute hätte ich noch geschworen, daß der Diener ein alter, grauhaariger Bursche war. Und jetzt hatte er schwarzes Haar. So schwarz wie deines, mein Freund Collin Cameron. Lauf, Bursche! Wir treffen uns wieder.«
Der Präsident Dr. Reinhardt sprach in der Direktoriumssitzung der Europäischen Siedlungsgesellschaft: »… über die wirtschaftlichen und technischen Erfolge im letzten Jahre gibt der Bericht des Aufsichtsrates der Gesellschaft ein anschauliches und erfreuliches Bild. Sie kennen ihn ja alle. Ich möchte nur die wichtigsten Punkte hervorheben. Die Schmelzarbeiten haben mit 3,6 Milliarden Kubikmeter Wasser die Ziffer des Vorjahres um 600 Millionen übertroffen. Die Zahl der europäischen Siedler auf unseren Gebieten hat sich, die russischen nicht miteingerechnet, um 200 000 vermehrt, die auf etwa 50 000 Quadratkilometer Neuland angesetzt sind. Auf das Gesellschaftskapital von einer Milliarde Pfund Sterling wird eine Dividende von 6 Prozent in Aussicht gestellt. Die Börse bewertete unsere Aktien schon seit dem Bekanntwerden des neuen Dynotherms nach dem Verfahren unseres Herrn Isenbrandt mit 150 Prozent des Nennwertes. Sie können an Ihre Staaten