Gesammelte Sci-Fi-Romane in einem Band. Hans Dominik
unseren Arbeiten nur beschieden sein, wenn wir auch im Quellsystem der Flüsse schmelzen dürften, die im chinesischen Ilidreieck entspringen und in unserem Gebiet münden. Ich berühre hier eine heikle Frage, über die Herr Isenbrandt ihnen näheren Vortrag halten wird. Herr Isenbrandt hat das Wort.«
Als dieser sich erhob, füllte sich der Raum mit Spannung. Man wußte, daß jetzt etwas kam.
»Meine Herren! Ich will nur ganz kurz auf die heutigen gewaltsamen Anschläge auf unsere Tresore zurückkommen, um ihnen zu sagen: Das war gelbe Arbeit. Der Raub der Analysen und Synthesen des neuen Dynotherms ist mißlungen. Der Vorfall zeigt aber, wie gut es ist, daß wir die Fabrikation des neuen Dynotherms nicht wie die der alten Präparate im Uralgebirge bewerkstelligen, sondern nach den mitteleuropäischen Gebirgen verlegt haben. Der längere Transportweg wird durch die viel geringeren benötigten Mengen reichlich aufgewogen.
Der zweite Anschlag ist leider gelungen. Die Pläne für die Besetzung und Bearbeitung des chinesischen Iligebietes sind fort … in chinesischen Händen. Diplomatische Verwicklungen sind ja nicht zu befürchten, da die Gelben daraufhin keine Vorstellungen machen können. Aber das Beste daran, die Überraschung, ist verloren. Wir würden also gegebenenfalls einen vorbereiteten Gegner finden.
Und doch …!« Die Gestalt des Sprechers straffte sich. Seine Mienen schienen gewandelt. Das waren nicht mehr die Züge eines Gelehrten und Erfinders. Die Augen eines großen Kriegsmannes waren es, die einen Kampf um Sein oder Nichtsein mit einem übermächtigen Gegner schauen. Die schmalen Lippen fest zusammengepreßt, die Rechte auf der Tischplatte zur Faust geballt, so stand er da in sekundenlangem Schweigen.
»Und doch …!« Wie eine Fanfare hatten die Worte durch den Saal geklungen und jedes Ohr aufhorchen gemacht.
»Wir müssen das Ilidreieck haben!«
»Right or Wrong!« nickte der Vertreter Englands.
»Keinen Krieg!« Der Russe rief es und sprang erregt auf.
»Wir sind als nächste Nachbarn des Gelben Reiches am besten über die Machtverhältnisse informiert. Wollen Sie die blühenden Fluren Turkestans in Wüsten und Ruinen verwandelt sehen? Soll die Arbeit eines Dezenniums umsonst gewesen sein?«
Lebhaftes Stimmengewirr erfüllte den Saal. Die Meinungen waren geteilt. In erregtem Für und Wider platzten die Ansichten aufeinander. Gelassen schaute Isenbrandt eine Weile auf die erregten Gruppen. Dann erhob er seine Stimme von neuem:
»Um diese Gefahren zu vermeiden, machte ich meinen Vorschlag. Ich will jetzt nicht von unseren Arbeiten sprechen, die ohne das Ilidreieck nicht zur vollen Auswirkung gelangen können. Ich will mich auch nicht auf die Tatsache stützen, daß das Land vor 150 Jahren schon einmal russischer Besitz war. Daß es Rußland in einer Zwangslage entrissen wurde. Ein Blick auf die Karte hier an der Wand müßte genügen, um Sie von der Notwendigkeit zu überzeugen, daß das Iligebiet unser wird.«
Er war an die Karte herangetreten.
»Sie sehen, wie hier vom Pamirplateau aus nördlich ziehend das Alaigebirge und anschließend der Thian-Schan die Grenze gegen China bilden. Da springt auf dem 80. Längengrad die Grenze plötzlich vom Gebirgskamm ab und geht über das offene Ilital nach Norden, statt naturgemäß auf dem Gebirgskamm zu bleiben.
Was ist die Folge davon? Die Gelben haben hier ein Glacis, das eine ständige Drohung für uns ist. Dessen ist sich China wohlbewußt. Das an sich kleine, mäßig fruchtbare Gebiet bietet wirtschaftlich für das große Himmlische Reich kein Interesse. Aber als Ausfallspforte gegen den Westen ist es von höchster Bedeutung.
Die gelbe Gefahr ist noch im Werden. Sie verkörpert sich nicht nur in der Person des großen Kaisers Schitsu. Stirbt er, wird ein anderer kommen, früher oder später, unter dem sich die Entwicklung fortsetzen wird. Der Kaiser ist nur ein Exponent bei Verhältnisse, die sich in jedem Fall durchsetzen. Nicht um Augenblickspolitik wollen wir handeln. Auf Menschenalter müssen wir uns sichern.«
Georg Isenbrandt hatte geendet. Wiederum begann eine lebhafte, von vielen Stimmen gleichzeitig geführte Debatte. Nicht wenige waren es, die zu Isenbrandt hintraten und ihm zustimmend die Hand schüttelten. Bis der Präsident sich Gehör verschaffte.
»Meine Herren, wir werden morgen um dieselbe Zeit wieder zusammenkommen, um über das heute Besprochene abzustimmen. Sie haben vierundzwanzig Stunden Zeit, um sich von ihren Regierungen die letzten Informationen zu holen.«
Die Strahlen der Aprilsonne vergoldeten die Kuppeln von Orenburg und ließen sie aufleuchten und schimmern wie einst vor einem Vierteljahrtausend, als der Befehl der Kaiserin Elisabeth hier die Grenzburg gegen die Stämme Asiens entstehen ließ. Die Sonnenstrahlen überfluteten das Bahnhofsgebäude und spielten und glitzerten in tausend Reflexen in den gewaltigen Eisenkonstruktionen des großen Postflughafens neben dem Bahnhof.
Zur Höhe von zweihundert Meter reckten sich die stählernen Bauten. Wie seine Filigranarbeit stand ihr Fachwerk in der sichtigen Frühlingsluft. Nur bei der Betrachtung aus der Nähe sah man, daß gigantische Stahlträger die einzelnen Maschen dieses Netzwerkes bildeten. Eines Fachwerkes, das stark genug war, um in schwindelnder Höhe noch die schweren Plattformen zur Aufnahme der großen Flugschiffe zu tragen.
Jetzt war der Flugplatz leer. Verlassen standen die riesigen Landungsanlagen. Scheinbar unbewohnt lag das Posthotel inmitten der parkartigen Gartenanlagen. Langsam wanderte der Zeiger der großen Uhr am Turm des Hotels über das Zifferblatt. Eben erreichte er die Zwölf, und mit weithin schallenden Schlägen verkündete das Werk die Mittagsstunde.
Auf der Nordostecke der Landungsplattform erhob sich ein eiserner Turm und ragte noch einmal fünfzig Meter in die Hohe. In seinem obersten Teil, dicht unter dem Dach, von dem die russische Postflagge wehte, lagen die Diensträume für den Stationschef und die Telegraphisten. Hier liefen Telegraphenleitungen von allen Teilen des Flugplatzes zusammen, hier standen die Wellentelephone, durch welche die Station jederzeit mit den Flugschiffen verkehren konnte.
Der Stationschef trat in den Telegraphistenraum.
»Was Neues, Gregor Iwanowitsch?«
»Alles in Ordnung, Fedor Fedorowitsch.«
Der Chef blätterte in dem Stationsbuch, das aufgeschlagen auf dem Tisch lag. Notizen über den laufenden Dienst. Telephonate aus den Schiffen der verschiedenen Linien.
Orenburg war ein Knotenpunkt für den Luftverkehr. Die große europäische Linie Berlin–Moskau–Orenburg spaltete sich hier in drei Zweigstrecken. Die sibirische Linie nach Omsk und Tomsk, die Südostlinie nach Ferghana und die persische Linie nach Teheran.
Der Chef überflog die Aufzeichnungen … Das sibirische Schiff hatte vor einer halben Stunde zwei Zimmer im Hotel bestellt … Das persische Schiff hatte vor zwanzig Minuten gesprochen. Vom Moskauer Schiff war vor einer Stunde das letzte Gespräch gekommen. Es meldete die Abgabe und Übernahme der Post über Samara beim Überschreiten der Wolga.
Der Stationschef verglich seine Uhr mit der Normaluhr über dem Apparatetisch.
»Noch fünfundvierzig Minuten bis zur Ankunft des Moskauer Schiffes … Starke Besetzung heute … Nach den Listen hundertsechzig Passagiere … Gregor Dimidow ist ein beliebter Kapitän … Die Reisenden benutzen sein Schiff mit Vorliebe. Obwohl Nummer achtzehn längst nicht mehr das neueste Schiff ist …«
Das plötzliche Ansprechen eines der Telephonapparate unterbrach die Worte des Stationschefs.
»Achtzehn … tick tick tick, tä tä tä, tick tick tick, tä tä tä …«
Achtzehn war die Nummer des Schiffes Moskau – Orenburg, das hier in fünfundvierzig Minuten erwartet wurde. Die Morsezeichen, die danach im peitschenden Rhythmus in je drei Kürzen und drei Längen gegeben wurden, bedeuteten den internationalen Notruf für höchste Gefahr.
Was war geschehen?
Unaufhörlich schrillten die Notrufe weiter durch den Raum … Keine telephonische Mitteilung, die nähere Aufklärung gegeben hätte. War die Telephonanlage an Bord von Nummer achtzehn in Unordnung geraten? Arbeitete nur noch die Telegraphenanlage und