MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 1). Robert Mccammon

MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 1) - Robert Mccammon


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Er meint, dass es auf die Dauer nicht helfen wird, nur die Bäume zu beseitigen, denen man den Schädlingsbefall ansieht. Außerdem denkt er, dass der Obstgarten an einen anderen Ort verlegt werden und die Erde mit Meereswasser und Asche gereinigt werden sollte.«

      Der Mann am Fenster gab einen leisen Schmerzenslaut von sich. Als er sprach, klang seine Stimme schwach. »Und wie viele Bäume sollen nun verbrannt werden?«

      Winston warf einen Blick in sein Buch. »Vierundachtzig Apfelbäume, zweiundfünfzig Pflaumen, achtundsiebzig Kirschen und vierundvierzig Birnen.«

      »Das heißt also, wir fangen wieder mal ganz von vorn an?«

      »Ich befürchte ja, Sir. Wie ich immer sage: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.«

      »Verdammt«, wisperte der Mann am Fenster. Er legte die Hände auf den Sims und starrte mit rotgeränderten braunen Augen auf seinen bedrohten Traum, der fast Wirklichkeit geworden wäre. »Ist es, weil sie uns verflucht hat, Edward?«

      »Ich weiß es nicht, Sir«, gab Winston ehrlich zu.

      Robert Bidwell, der Mann am Fenster, war siebenundvierzig Jahre alt und von Sorgen gezeichnet. Sein faltiges Gesicht war angespannt, die Stirn gerunzelt, und weitere Falten umklammerten den Mund und durchschnitten sein Kinn. Viele davon hatte er sich in den letzten fünf Jahren zugezogen; seit dem Tag, an dem ihm der offizielle Grundbrief für 400 Hektar Land an der Küste der Carolina-Kolonie verliehen worden war. Dies war sein großer Traum gewesen. Im ockerfarbenen Sonnenlicht, das schräg durch die unheilvoll aufquellenden Wolken fiel, lag seine Kreation vor ihm.

      Er hatte das Land Fount Royal, Königsquell, genannt. Dafür gab es zwei Gründe. Erstens war es ein an King William und Queen Mary für ihr nicht versiegendes Vertrauen in seine Fertigkeiten als Vorsteher und Verwalter gerichteter Dank, und zweitens eignete sich der Ort als Zwischenstation für den eines Tages zu erwartenden kommerziellen Verkehr. Gut sechzig Meter von der Eingangstür zu Bidwells Haus, dem einzig zweistöckigen der gesamten Siedlung, befand sich die Quelle: Ein länglicher Teich, dessen frisches aquamarinfarbenes Wasser sich über mehr als einen Hektar erstreckte. Bidwell hatte von einem Landvermesser erfahren, der die Gegend vor einigen Jahren kartografiert und dabei auch die Tiefe der Quelle untersucht hatte, dass sie mehr als vierzig Fuß tief war. Für die Siedlung war die Quelle lebenswichtig. In diesem Landstrich mit seinen Salzwiesen und stinkenden schwarzen Tümpeln bedeutete das Quellwasser eine gesicherte Süßwasserversorgung.

      Im seichten Wasser wuchsen Seebinsen. Wildblumen, die dem kalten Frühling standgehalten hatten, gediehen hier und da am grasbewachsenen Ufer. Die Quelle bildete das Ortszentrum von Fount Royal. Alle Straßen, deren Matsch mit Sand und zerstoßenen Austernschalen zu Leibe gerückt wurde, führten strahlenförmig darauf zu. Es gab nur vier Straßen, und Bidwell hatte sie alle benannt: Die Wahrheitsstraße verlief gen Osten, die Fleißstraße nach Westen, die Harmoniestraße in den Norden und die Friedensstraße nach Süden. Entlang der Straßen standen die weiß getünchten Holzhäuser, roten Scheunen, Zäune der Viehweiden, Geräteschuppen und Werkstätten, aus denen die Siedlung bestand.

      Der Schmied schürte sein Feuer an der Fleißstraße, gegenüber des Kurzwarenladens in der Wahrheitsstraße befand sich die Schule, und drei Kirchen (anglikanisch, evangelisch und presbyterianisch) drängten sich in der Harmoniestraße. Der Friedhof in der Harmoniestraße war nicht groß, aber leider schon gut belegt. Die Friedensstraße führte an den Sklavenhütten und Bidwells Stallungen vorbei zum Wald, der sich bis kurz vor den Sumpf und das Meer erstreckte. Die Fleißstraße führte weiter zu den Obstgärten und Feldern, auf denen Bidwell eines Tages eine reiche Ernte von Äpfeln, Birnen, Baumwolle, Mais, Bohnen und Tabak zu sehen hoffte. Der Galgen stand an der Wahrheitsstraße, wo sie gefangen gehalten wurde, und nicht weit davon, neben Van Gundy's Publick Tavern, befand sich das Gebäude für Gemeindetreffen. An verschiedenen Stellen in der Siedlung gab es kleine Geschäfte, deren Inhaber sich Bidwells Traum von einer Stadt im Süden angeschlossen hatten.

      Von den 400 Hektar, die Bidwell gekauft hatte, war gerade ein Fünftel bebaut, gepflügt oder wurde als Weide genutzt. Um die Siedlung herum war eine Holzpalisade aus mit Äxten angespitzten Stämmen errichtet worden, um alles, inklusive der Obstgärten, vor den Indianern zu schützen. Ein mit einer Muskete bewaffnetes Mitglied der Miliz hielt auf einem Wachturm im Wald Tag und Nacht Stellung. Das Haupttor an der Harmoniestraße bildete den einzigen Zugang zur Siedlung. Auch neben dem Tor stand ein Wachturm, von dem aus ein Milizsoldat jeden sehen konnte, der sich von der Straße aus näherte.

      In der bisherigen Existenz von Fount Royal hatten die Indianer für keinerlei Probleme gesorgt; vielmehr waren sie so unsichtbar, dass Bidwell sich gut hätte fragen können, ob es im Umkreis von hundert Meilen überhaupt Rothäute gab. Doch da waren die seltsamen Symbole, die Solomon Stiles während eines Jagdausflugs auf den Stamm einer Kiefer gemalt gefunden hatte. Stiles, ein geachteter Trapper und Jäger, hatte Bidwell erklärt, dass die Indianer die jenseits der Symbole liegende Wildnis als eine Gegend gekennzeichnet hatten, die nicht betreten werden durfte. Obwohl Bidwell das umliegende Land gehörte, entschloss er sich, nichts weiter zu unternehmen. Am besten ließ man die Rothäute in Ruhe, bis die Zeit gekommen war, sie auszuräuchern.

      Es schmerzte Bidwell, zu sehen, in welch verfallenem Zustand sein Traum sich inzwischen befand. Es gab zu viele leerstehende Häuser, zu viele vom Unkraut überwucherte Gärten, zu viele zerbrochene Zäune. Herrenlose Schweine suhlten sich im Matsch und bissige Hunde streunten umher. Im letzten Monat waren in mehreren Nächten fünf Gebäude Bränden zum Opfer gefallen, die mit harter Arbeit errichtet und dann verlassen worden waren. Der Rauchgeruch hing noch immer in der Luft. Bidwell wusste, wen die Siedler für die Brände verantwortlich machten. Selbst wenn sie nicht persönlich Hand angelegt hatte, dann waren es die Hände – oder auch Klauen – der teuflischen Biester und Kobolde, die sie heraufbeschworen hatte. Denn ihre Sprache war das Feuer, und sie machten damit nur allzu deutlich, was sie sagen wollten.

      Sein Traum lag im Sterben. Sie brachte ihn um. Ihr Geist – ihr Phantom – flüchtete durch die Gefängnisstäbe und starken Wände der Zelle, die ihren Körper gefangen hielten, und tanzte und trieb sich mit ihrem unheiligen Liebhaber herum, um noch mehr Schäden an Bidwells Traum zu planen. Eine solche Hydra als Strafe in die Wildnis zu verbannen, reichte nicht aus. Sie hatte gesagt, dass sie nicht gehen würde, dass keine Macht dieser Erde sie von ihrem Zuhause vertreiben könnte. Wenn Bidwell ein weniger rechtschaffener Mann gewesen wäre, hätte er sie vielleicht schon gleich zu Anfang hängen lassen und sich den ganzen Ärger erspart. Jetzt lag die Sache vor Gericht. Gott stehe dem Richter bei, der darüber entscheiden musste.

      Nein, dachte er grimmig. Gott stehe Fount Royal bei!

      »Edward«, sagte Bidwell. »Wie viele Einwohner haben wir jetzt?«

      »Ganz genau? Oder grob geschätzt?«

      »Grob geschätzt.«

      »So um die einhundert«, gab Winston zurück. »Aber das wird sich noch ändern, bevor die Woche rum ist. Dorcas Chester liegt im Sterben.«

      »Ja, ich weiß. Dieses nasse Wetter wird unseren Friedhof füllen.«

      »Apropos Friedhof … Alice Barrow liegt nun auch darnieder.«

      »Alice Barrow?« Bidwell wandte sich vom Fenster ab, um den andern Mann anzusehen. »Ist sie krank?«

      »Ich musste heute Morgen bei John Swaine vorbeischauen«, sagte Winston. »Cass Swaine sagte, dass Alice Barrow mehreren Leuten erzählt hat, wie sie unter Träumen vom Beelzebub leidet. Die Träume haben ihr eine solche Angst eingejagt, dass sie nicht mehr aus dem Bett kommt.«

      Bidwell schnaufte aufgebracht. »Und deshalb schmiert sie die nun jedem aufs Brot wie ranzige Butter, oder was?«

      »Es scheint so. Madam Swaine sagte mir, dass die Träume mit dem Friedhof zu tun haben. Sie hatte selbst zu viel Angst, um noch mehr zu erzählen.«

      »Herr im Himmel!«, stieß Bidwell aus. Seine Wangen röteten sich. »Mason Barrow ist ein vernünftiger Mann! Kann er denn nicht die Zunge seiner Frau im Zaum halten?« Mit zwei Schritten war er am Schreibtisch und schlug mit der flachen Hand darauf. »Es ist genau diese Art von Dummheit, die meine Stadt


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