MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 1). Robert Mccammon

MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 1) - Robert Mccammon


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wollte Euch nicht verärgern, Sir«, sagte Winston. »Ich sage Euch nur, was Ihr meiner Ansicht nach wissen solltet.«

      »Seht doch nur hin!« Bidwell winkte in Richtung Fenster, wo die regenschwangeren Wolken erneut das Sonnenlicht verschlangen. »Leere Häuser und leere Felder! Letzten Mai hatten wir mehr als dreihundert Einwohner! Dreihundert! Und jetzt sagt Ihr, dass wir nur noch einhundert haben?«

      »Ungefähr«, korrigierte Winston.

      »Ja, und wie viele werden dank Alice Barrow ihre Sachen packen? Verdammt, ich kann nicht warten und Däumchen drehen, bis ein Richter aus Charles Town kommt! Was kann ich tun, Edward?«

      Winstons Gesicht war in der feuchten Luft des Zimmers nass vor Schweiß geworden. Er schob sich die Brille höher auf die Nase. »Euch bleibt keine andere Wahl als zu warten, Sir. Wir müssen der Rechtsprechung gehorchen.«

      »Und welcher Rechtsprechung gehorcht der Leibhaftige?« Bidwell stemmte beide Hände auf den Schreibtisch und lehnte sich zu Winston vor. Auch Bidwells Gesicht war schweißbeperlt und gerötet. »Welchen Gesetzen und Regeln gehorcht seine Geliebte? Verdammt, ich kann nicht einfach zuschauen, wie meine Investitionen in dieses Stück Land von irgendeinem gruseligen Bastard zerstört werden, der den Leuten ein Verhängnis in die Träume scheißt! Ich habe meine Frachtgesellschaft nicht gegründet, indem ich zitternd wie ein Milchmädchen auf meinem Hintern sitzengeblieben bin!« Die letzten Worte spie er durch zusammengebissene Zähne hervor. »Kommt mit oder nicht, Edward, aber ich gehe jetzt, um Alice Barrows Tratsch ein Ende zu setzen!« Er stakste zur Tür, ohne auf seinen Stadtverwalter zu warten, der eilig sein Buch zuklappte und sich erhob, um wie ein Mops hinter einer breitbrüstigen Bulldogge hinterher zu zuckeln.

      Sie begaben sich über etwas nach unten, das für die restlichen Bürger von Fount Royal ein wahres Wunder war: über die Treppe. Allerdings hatte sie kein Geländer, denn der Tischlermeister, der den Treppenbau überwacht hatte, war an der roten Ruhr gestorben, bevor sie fertig war. Die Wände von Bidwells Herrenhaus waren mit Gemälden behängt, die englische Wiesen zeigten, sowie mit Wandteppichen, auf denen bei genauerem Hinsehen Spuren von Mehltau zu entdecken waren. Wasserflecken verunzierten viele der weiß getünchten Zimmerdecken, und in den dunklen Ecken lag Rattendreck. Als Bidwell und Winston mit laut stampfenden Stiefeln die Treppe hinuntergingen, wurde Bidwells Haushälterin sofort auf sie aufmerksam – sie reagierte auf jede Bewegung ihres Herrn. Emma Nettles war eine breitschultrige, schwergebaute Frau Mitte dreißig, die mit ihrer Hakennase und ihrem quadratischen Kinn einen rothäutigen Krieger in die Arme von Jesus zu treiben vermochte. Sie stand am Fuße der Treppe, ihren fülligen Körper wie üblich in eine schwarze Kutte gehüllt. Eine gestärkte weiße Haube zwang ihr geöltes und streng gekämmtes Haar, straff am Kopf anzuliegen.

      »Kann ich Euch helfen, Sir?«, fragte sie mit ihrem unverkennbaren schottischen Akzent. Eins der Sklavenmädchen wartete in ihrem furchterregenden Schatten.

      »Ich muss nach meinen Geschäften sehen«, sagte Bidwell knapp und schnappte sich einen marineblauen Dreispitz vom Ständer an der Wand – es hingen noch mehrere in anderen Farben daran, die zu seiner jeweiligen Kleidung passten. Er setzte den Hut auf, was angesichts der aufgebauschten Perücke nicht einfach war. »Ich werde Hühnerbraten und Brot zu Abend essen«, sagte er zu ihr. »Kümmert Euch ums Haus.« Er eilte an ihr und dem Sklavenmädchen vorbei zur Haustür, dicht gefolgt von Winston.

      »Mache ich doch immer, Sir«, flüsterte Madam Nettles, nachdem sich die Tür hinter den beiden Männern geschlossen hatte. Ihre tief in den Höhlen liegenden Augen schienen ebenso viel Unheil zu verheißen wie ihr Benehmen.

      Bidwell hielt nur kurz inne, um das verschnörkelte, weiß gestrichene Eisentor zu öffnen – sechs Fuß hoch war es und unter großen Unkosten aus Boston eingeschifft worden –, das sein Anwesen vom Rest der Siedlung trennte, und marschierte dann die Friedensstraße in einem Tempo entlang, das Winstons jüngeren und dünneren Beinen Mühe machte. Die beiden Männer kamen an der Quelle vorbei, wo Cecilia Semmes gerade einen Eimer mit Wasser füllte. Sie wollte Bidwell grüßen, überlegte es sich aber schnell anders, als sie sein wütendes Gesicht sah.

      Der letzte Sonnenstrahl wurde von den Wolken verschluckt, als Bidwell und Winston an der Sonnenuhr von Fount Royal vorbeigingen, die auf einem hölzernen Podest an der Kreuzung der vier Straßen stand. Tom Bridges, der mit seinem Ochsenkarren auf der Fleißstraße zu seiner Farm und Weide unterwegs war, rief Bidwell einen Gruß zu. Doch Fount Royals Gründer verlangsamte weder seine Schritte, noch gab er zu erkennen, den Farmer gehört zu haben. »Einen guten Tag auch, Tom!«, gab Winston zurück, und musste dann seinen Atem sparen, um mit seinem Arbeitgeber Schritt zu halten, der nach Osten auf die Wahrheitsstraße abgebogen war.

      Zwei Schweine lagen mitten auf der Straße in einer Matschsuhle. Eines schnaufte fröhlich, während es tief im Schlamm wühlte, und ein räudiger Mischlingshund bellte aufgebracht. David Cutter, Hiram Abercrombie und Arthur Dawson standen unweit der Schweine, rauchten ihre Tonpfeifen und waren in eine anscheinend ernste Diskussion vertieft. »Guten Tag, Gentlemen!«, warf Bidwell ihnen zu, als er vorbeiging.

      Cutter nahm seine Pfeife aus dem Mund und rief: »Bidwell! Wann kommt endlich der Richter?«

      »Beizeiten, Sir, beizeiten!«, antwortete Winston hastig.

      »Ich habe den Macher gefragt, nicht seinen Schergen!«, spie Cutter aus. »Uns reicht's mit dem Warten! Dass sich doch endlich was tut! Ich glaube, die schicken uns keinen Richter her!«

      »Die Stadtverordneten haben es uns fest zugesagt, Sir!«, entgegnete Winston, dessen Wangen noch immer von der Beleidigung brannten.

      »Scheiß auf die Zusagen!«, meldete sich Dawson zu Wort. Er war der Schuster in Fount Royal, ein dürrer rothaariger Mann. »Die können uns auch eine Zusage geben, dass der Regen aufhört – aber stimmt das?«

      »Geht weiter, Edward«, drängte Bidwell leise.

      »Wir haben die Nase gestrichen voll vom Däumchendrehen!«, rief Cutter. »Hängen muss sie, und fertig!«

      Abercrombie, ein Farmer, der einer der ersten Siedler gewesen war, die auf Bidwells große Zeitungsanzeigen über die Gründung von Fount Royal geantwortet hatten, verkündete seine Meinung: »Je eher sie hängt, desto ruhiger können wir schlafen! Möge Gott uns davor bewahren, dass wir in unseren Betten verbrennen!«

      »Ja, ja«, brummte Bidwell und winkte ab. Seine Schritte hatten sich noch beschleunigt; Schweiß glänzte auf seinem Gesicht und verdunkelte den Stoff unter seinen Achseln. Winston hinter ihm war am Keuchen; in der drückenden Luft beschlugen seine Brillengläser. Beim nächsten Schritt versank sein rechter Fuß in einem Haufen schimmeliger Pferdeäpfel, denen Bidwell gerade flink ausgewichen war.

      »Wenn die uns wen schicken«, rief Cutter als letztes, »wird das irgendein Irrer sein, den sie dort aus einer Anstalt entlassen haben!«

      »Der Mann spricht von Tollhäusern, als ob er sich auskennt«, brummelte Bidwell vor sich hin. Sie kamen an der Schule vorbei, neben der das Haus des Lehrers Johnstone stand. Eine Weide mit einer kleinen Herde Rindvieh befand sich neben Lindstroms Farmhaus und Scheune, und dann kam das Gemeindehaus, vor dem ein Flaggenmast mit schlaffer britischer Fahne stand. Bidwell ging immer schneller. Da vorn waren die ungehobelten, fensterlosen Wände des Gefängnisses, dessen einzige Tür mit einer Kette und einem eisernen Schloss verriegelt war. Vor dem Gefängnis stand ein Pranger, auf dem Bösewichte, die gestohlen, Gott beleidigt oder auf andere Art und Weise den Zorn des Stadtrats auf sich gezogen hatten, gefesselt zur Schau gestellt und manchmal mit dem gleichen Dreck beworfen wurden, der Winston nun unter seinem rechten Schuh klebte.

      Am Ende der Wahrheitsstraße reihten sich nach dem Gefängnis diverse Häuser mit Scheunen, Gärten und kleinen Feldern aneinander. Manche Häuser standen leer, und eines war zu einer ausgebrannten Fassade verkommen. Unkraut und Dornenbüsche überwucherten die einsamen Gärten, und die Felder waren inzwischen mehr Sumpf als fruchtbare Erde. Bidwell marschierte zur Tür eines Hauses, das fast am Ende der Straße stand, und klopfte laut. Winston kam unweit von ihm zum Stehen und tupfte sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Gesicht.

      Schließlich öffnete sich die Tür einen Spalt breit. Das graue,


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