Historische Romane von Henryk Sienkiewicz. Henryk Sienkiewicz
meinen Bruderssohn Zbyszko dem Herrn Ipytko aus Mielsztyn, denn unter diesem Heerführer ziehen all’ unsre Ritter aus.«
Die Fürstin Danuta blickte auf die schöne Gestalt Zbyszkos, aber das Gespräch ward durch den Eintritt eines Mönches unterbrochen, der nach der Begrüßung der Fürstin ihr demütig vorhielt, daß sie ihre Ankunft nicht durch einen Boten kund gethan habe, und daß sie sich nicht im Kloster, sondern in diesem gewöhnlichen Wirtshause aufhalte, das ihrer hohen Würde unwert sei. Im Kloster sei doch kein Mangel an Gemächern und Wohnungen, worin jedermann Unterkunft finde, und nun erst die hohe Frau, die Gattin des Fürsten, von dessen Vorfahren und Blutsverwandten die Abtei so viele Wohlthaten erhalten habe.
Aber die Fürstin antwortete in heiterem Tone: »Wir sind nur hier eingekehrt, um unsere Glieder wieder einigermaßen zu strecken, und in der Frühe müssen wir uns nach Krakau aufmachen. Bisher schliefen wir bei Tag und fuhren bei Nacht, der Kühle wegen, und obwohl hier bei unserer Ankunft die Hähne schon krähten, wollte ich die gottesfürchtigen Mönche nicht wecken, vornehmlich nicht mit solcher Gesellschaft, welche mehr an Gesang und Tanz als an Ruhe denkt.«
Da jedoch der Mönch noch weiter in sie drang, fügte sie hinzu: »Ich bleibe hier. Wir haben jetzt die beste Zeit, einige weltliche Gesänge anzuhören, aber zum Frühgottesdienst gehen wir in die Kirche, um den Tag mit Gott zu beginnen.«
»Man wird eine Messe lesen für das Wohlergehen des gnädigen Fürsten und der gnädigen Fürstin,« sagte der Mönch.
»Der Fürst, mein Gatte, wird erst nach vier oder fünf Tagen ankommen.«
»Unser Herrgott kann auch aus der Ferne seinen Segen verleihen, und mittlerweile möge es uns armen Klosterbrüdern vergönnt sein, Wein hierher zu bringen.«
»Wir werden uns dankbar dafür erweisen,« erwiderte die Fürstin.
Kaum hatte der Mönch sich entfernt, so rief sie: »Schnell, Danusia, steige auf die Bank und erfreue unser Herz mit dem nämlichen Liede, das Du in Zator gesungen hast.«
Als sie dies hörten, trugen zwei Hofherren eine Bank herein. Die fahrenden Schüler setzten sich an die beiden Enden, und das junge Mädchen, welches der Fürstin die mit Kupfernägeln beschlagene Laute nachgetragen hatte, stellte sich hinauf. Ihr Haupt war mit einem Blumenkranze geziert, die Haare hingen aufgelöst über ihre Schultern herab, sie hatte ein himmelblaues Gewand an und rote Schühchen mit langen Spitzen. Wie sie so dastand, sah sie aus wie ein wunderbar schönes Kind auf einem Heiligenbild oder in einem Kripplein in der Kirche. Offenbar war es aber nicht das erste Mal, daß sie so dastand, um der Fürstin vorzusingen, denn nicht die geringste Verwirrung zeigte sich auf ihrem Gesichte.
»Singe, Danusia, singe!« riefen die Hofdamen.
Nun nahm sie die Laute zur Hand, hob den Kopf in die Höhe wie ein Vogel, der zu singen anfängt, und die Aeuglein zudrückend, begann sie mit ihrem Silberstimmchen:
»Wie wär’ ich gerne
Ein Gänslein klein,
Ich flög’ in die Ferne
Zu Jasio mein!«
Die fahrenden Schüler begleiteten sie, der eine auf der Zither, der andere auf seiner großen Laute, die Fürstin, welche weltliche Gesänge über alles liebte, neigte das Haupt bald auf die eine, bald auf die andere Seite, und das Mädchen sang weiter, mit einer zarten, frischen, kindlichen Stimme, die klang wie Vogelgezwitscher im frühlingsgrünen Walde
»In Schlesien flög’ ich nieder
Auf grünem Rain,
Die Waise sieh wieder,
Jasiulek mein!«
Und wieder begleiteten die fahrenden Schüler. Der junge Zbyszko aus Bogdaniec aber, der, von Kindheit an nur an den Krieg und dessen fürchterliche Erscheinungen gewöhnt, in seinem ganzen Leben noch nichts Aehnliches erschaut hatte, berührte den Arm eines neben ihm stehenden Masuren und fragte: »Wer ist das?«
»Ein Mägdlein vom Hofe der Fürstin. An fahrenden Sängern, welche den Hof ergötzen, fehlt es nicht, aber sie ist die beliebteste Sängerin, und die Fürstin hört keine andern Gesänge so gerne wie die ihrigen.«
»Mich wundert dies nicht. Sie ist ja ein wahrer Engel, und ich kann den Blick nicht von ihr abwenden. Wie wird sie genannt?«
»Und das wißt Ihr nicht? Danusia! Jurand aus Spychow, ein mächtiger und tapferer ›Comes‹, welcher zu den Landsassen gehört, ist ihr Vater.«
»Ach! Solch ein Wesen haben noch keine menschlichen Augen gesehen.«
»Sie wird auch von allen geliebt, sowohl ihres Gesanges als ihrer Schönheit wegen.«
»Und wer ist ihr Ritter?«
»Sie ist ja noch ein Kind.«
Durch den Gesang Danusias ward das Gespräch unterbrochen. Zbyszko blickte sie von der Seite an. Während er ihre hellen Haare, ihr erhobenes Köpfchen, ihre zugedrückten Augen und ihre ganze Gestalt betrachtete, die zugleich von dem Scheine der Wachslichter und von den durch die offenen Fenster fallenden Mondstrahlen beleuchtet wurde, staunte er immer mehr. Ihn dünkte, er habe dies schöne Bild schon einmal gesehen, ob im Traume oder zu Krakau auf einem Kirchenfenster, wußte er jedoch nicht zu sagen.
Und abermals den Arm des Hofherrn berührend, fragte er leise: »An Euerm Hofe ist sie?«
»Ihre Mutter kam aus Litauen mit der Fürstin Anna Danuta, und diese verheiratete sie an den Grafen Jurand von Spychow. Sie stammte aus einem mächtigen Geschlechte, war anmutig und mild, auch ward sie mehr als alle andern Mädchen von der Fürstin geschätzt. Sie selbst liebte die Fürstin innig, deshalb gab sie ihrer Tochter den gleichen Namen – Anna Danuta. Vor fünf Jahren nun, als bei Zlotorja die Deutschen unsern Hof überfielen, starb sie vor Schrecken. Damals nahm die Fürstin das Kind zu sich, und seit jener Zeit leitet sie dessen Erziehung. Der Vater kommt häufig an den Hof und sieht es mit Vergnügen, daß es seiner Tochter gut geht und daß sie unter dem Schutze der Fürstin steht. Allein so oft er Danusia anschaut, so oft vergießt er Thränen um die verstorbene Gattin, und dann sinnt er nur darauf, Rache an den Deutschen zu nehmen, für das, was sie ihm angethan. In ganz Masovien liebte niemand seine Ehefrau so innig, wie er die seine geliebt hatte – und ihretwegen hat er schon gar viele Deutsche ums Leben gebracht.«
Zbyszkos Augen blitzten und die Adern auf seiner Stirne schwollen an. »So ward also ihre Mutter von den Deutschen getötet?« fragte er.
»Ja und nein! Sie starb durch den Schrecken. Vor fünf Jahren war ja Frieden im Lande, niemand dachte an Krieg, und jeder konnte ungefährdet seines Weges ziehen. Der Fürst befand sich auf der Reise nach Zlotorja, wo er einen Turm bauen lassen wollte, er fuhr allein mit seinem Hofstaate, ohne Krieger, wie gewöhnlich zur Zeit des Friedens. Da überfielen ihn die Deutschen ohne Kriegserklärung, ohne jede Veranlassung. Aller Gottesfurcht Hohn sprechend, auch nicht bedenkend, daß seine Vorfahren ihnen viele Wohlthaten erwiesen hatten, banden ihn auf ein Pferd und führten ihn mit sich fort. Seine Leute aber wurden vollständig aufs Haupt geschlagen. Lange befand sich der Fürst in Gefangenschaft, und erst als König Wladislaw ihnen mit Krieg drohte, gaben sie Jurand aus Angst frei. Aber bei jenem Ueberfall starb Danusias Mutter, denn ihr Herz zog sich krampfhaft zusammen und stand dann plötzlich still.«
»Und Ihr, Herr, seid Ihr dabei gewesen? Wie nennt Ihr Euch? Ich vergaß es.«
»Mikolaj aus Dlugolas heiße ich, und Obuch werde ich genannt. Bei dem Ueberfall bin ich zugegen gewesen. Ich habe es mit angesehen, wie ein Deutscher, der Pfauenfedern als Helmzier trug, die Mutter Danusias an dem Sattel festbinden wollte, und wie sie vor seinen Augen starb. Auf mich haben sie mit der Hellebarde geschlagen, ich trage noch ein Merkmal davon.«
Bei diesen Worten zeigte er auf eine tiefe, sich unter den Haaren bis zu den Augenbrauen hinziehende Narbe in der Hirnschale.
Ein kurzes Schweigen folgte. Zbyszko blickte wieder auf Danusia, dann fragte er: »Und Ihr sagt, Herr, sie habe noch keinen Ritter?«
Doch wartete er die Antwort nicht ab, da in diesem Augenblick der Gesang verstummte. Einer