Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 5 – Arztroman. Patricia Vandenberg
erklärte Jonas. »Der nächste Gasthof ist ein bißchen sehr weit entfernt, und manchmal bleiben Besucher über Nacht. Ich denke, daß es dir so am liebsten ist.«
Janine dankte ihm mit einem strahlenden Lächeln. »Er ist sehr lieb«, sagte sie weich. »Meine Mutter war gegen ihn, weil er Elektriker ist, das hat ihr nicht gepaßt. Dabei hat sie sich mit Männern abgegeben, die einfach widerlich waren.«
Sie sagte das so aggressiv, daß Jonas aufhorchte. »Du hast diese Männer kennengelernt?«
»Ein paar, aber ich habe ihr dann gesagt, daß sie mich künftig mit solchen Konfrontationen verschonen soll. Ich mußte ihr leider ein paar Wahrheiten sagen. Damals hoffte ich noch, daß es nur eine vorübergehende Phase bei ihr wäre, weil sie sich ärgerte, weil Papa wieder geheiratet hatte. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich begriff, warum sich Papa scheiden ließ.«
»Wie alt warst du?«
»Zwölf.«
»War deine Mutter auch mal längere Zeit mit einem Mann zusammen?«
»Zweimal. Die haben dann auch bei uns gewohnt. Es hat mich wütend gemacht. Ich habe ihr gedroht, daß ich es Papa sagen und ihn bitten würde, mich zu sich zu nehmen, aber eigentlich wollte ich ja nicht weg von Beate. Es war eine schreckliche Zeit. Aber sie hat sich dann doch von diesem Kerl getrennt. Erst ein paar Jahre später hat sie wieder einen Liebhaber angeschleppt. Verstehen Sie, wie mir zumute war? Ich habe mich für meine Mutter geschämt. Ich hatte immer Angst, Beates Eltern würden ihr den Umgang mit mir verbieten, aber sie waren immer sehr nett zu mir. Ich sollte nicht soviel reden.«
»O doch, rede nur«, sagte Jonas väterlich.
»Darüber konnte ich nicht mal mit Beate sprechen, mit niemandem. Ich wurde viel schneller erwachsen als Beate. Der neue Freund von meiner Mutter wurde aufdringlich, wenn sie mal weg war und ich von der Schule nach Hause kam, das war am schlimmsten. Ich habe mich mit dem
Brieföffner gewehrt, und zum Glück kam sie hinzu und hat endlich begriffen, mit was für Gesindel sie sich einließ, da sie doch meinte, sie würde Frau Baronin werden. Der Titel war das einzig Vornehme an ihm. Nun habe ich das endlich mal von der Seele.«
»Und das ist gut so. Es wird dir bald viel besser gehen, Janine.«
»Ich weiß nicht, warum ich immer wieder an diese Zeit denken mußte, ich wollte es doch gar nicht.«
»Es war eine sehr wichtige Entwicklungszeit, und gerade da bekamst du einen so schlechten Eindruck vom anderen Geschlecht. Aber nun hast du einen lieben Freund gefunden.«
»Ich habe Andy sehr lieb, weil er eben ganz anders ist, aber gerade deshalb will ich ihn nicht heiraten, wenn ich nicht wieder laufen lerne.«
»Das wirst du aber.«
»Ich möchte es so gern glauben.«
»Das mußt du auch. Fühlst du nicht, wie deine Zehen sich bewegen?«
»So ein bißchen, und manchmal kribbelt es in meinen Beinen.«
»Das ist der Anfang, Janine«, sagte er aufmunternd.
»Kann das wirklich sein, daß ich jetzt befreit bin von diesem Ballast?«
»Es hilft sehr, wenn man über etwas reden kann, was so quälend war, eben Ballast, wie du richtig erkannt hast.«
Beate hatte mit dem Therapeuten Milo Wassergymnastik gemacht und schwamm nun noch ein paar Runden. Tim war in der Schwimmhalle und sprach jetzt mit Milo. Er wollte wissen, wie sich Beate bei den Übungen machte, die gar nicht so leicht waren.
»Sie schwimmt wie ein Fisch, das siehst du doch, Tim. Und es macht ihr keine Mühe, sich auch extrem zu bewegen. Eigentlich braucht sie keine Anweisungen, aber es macht Spaß, mit ihr zu arbeiten. Es ist für mich auch eine Erholung, da die anderen Patienten schwierig genug sind.«
Beate kam aus dem Wasser, schlank und feingliedrig, aber doch sportlich wirkend.
»Darf ich nachher reiten, Tim?« fragte sie, in ihren Bademantel schlüpfend.
»Du kannst wohl nicht genug kriegen«, lachte er. »Du mußt auch ruhen, sonst kriegen wir es mit dem Doc zu tun.«
»Ich bin aber nicht müde und fühle mich pudelwohl.«
»Dann reden wir nach dem Mittagessen noch mal darüber. Jetzt ist Therapiereiten.«
»Da würde ich auch gern zuschauen, um zu lernen, was da zu beachten ist. Vielleicht kann man das später bei Janine umsetzen, oder wäre das für sie keine Therapie?«
»Zur Zeit bestimmt nicht. Es ist anstrengend, im Sattel zu sitzen.«
Thea kam in die Halle.
»Ich gehe mich umziehen«, sagte Beate hastig, woraus Tim entnahm, daß sie Thea nicht begegnen wollte. Aber die machte sich demonstrativ an Milo heran, der gegen einen Flirt nichts zu haben schien.
Tim konnte es nur recht sein, wenn es auch offensichtlich war, daß sie ihn provozieren wollte. Ihn ließ das kalt. Und Thea machte schon wieder einen Fehler, als sie sehr anzüglich sagte, daß Tim der Neuen wohl deshalb nachsteige, weil ihre Eltern so betucht wären.
So was ernüchterte Milo sofort.
»Du spinnst«, sagte er spöttisch. »Es ist wohl ärgerlich, weil du nicht sein Typ bist.«
Tim war längst verschwunden. Er mußte sich schließlich auch um andere Patienten kümmern, wenn er viel lieber auch nur bei Beate gewesen wäre.
Beate hatte sich schon fürs Mittagessen umgekleidet und sich zu Janine auf die Terrasse gelegt. Die Sonne schien warm, und sie freute sich, daß Janine schon Farbe bekommen hatte. Sie machte auch einen sehr zufriedenen Eindruck, war völlig entspannt und summte leise vor sich hin.
»Du bist aber gut drauf«, stellte Beate fest.
»Mir geht es auch gut, und Andy kann hier ein Gästezimmer bekommen. Ich habe schon mit dem Doc gesprochen. Er ist einmalig, Bea, ein richtiger Seelentröster.«
»Brauchst du denn so was noch?«
»Es scheint so, ich habe mich freigeredet. Weißt du, ich habe doch vieles nur verdrängt.«
»Was du mir nicht gesagt hast?«
»Ich konnte es nicht, Bea, es war so widerwärtig und ich hatte immer Angst, daß uns der Lebenswandel meiner Mutter auseinanderbringen würde.«
»Ich hätte mich von nichts und niemand beeinflussen lassen, Janine.«
»Das können wir jetzt sagen, aber wir waren damals Kinder, und Inge war sehr streng.«
»Sie wollte immer recht behalten und konnte deine Mutter nie ausstehen. Aber das beruhte auf Gegenseitigkeit.«
»Natürlich sieht im Nachhinein alles nicht gar so schlimm aus, aber für mich war es eine üble Zeit. Wenn ich dich nicht gehabt hätte, ich weiß nicht, was ich getan hätte.«
»Darüber brauchen wir auch nicht mehr nachzudenken.« Beate streichelte ihr die Wange. »Es wird alles gut, Janine.«
»Jetzt glaube ich auch daran!«
*
Erst am Abend hatte Tim Gelegenheit, Beate allein zu sprechen.
»Wenn du willst, reiten wir morgen früh zusammen aus«, sagte er.
Sie sah ihn überrascht an. »Traust du mir das schon zu?«
»Ich traue dir sehr viel zu. Du brauchst eigentlich gar keine Hilfe.«
»Sag das nicht, wenn meine Eltern kommen, sonst nehmen sie mich mit. Mama jammert schon, daß es ihr Hause zu einsam ist.«
»Und ich würde dich hier vermissen«, sagte er, obgleich er das gar nicht hatte sagen wollen. Aber das Aufleuchten in ihren Augen verriet ihm, daß es sie freute.
»Morgen, gleich nach dem Frühstück?« sagte er leise.
»Erlaubt