Rübezahl: Die beliebsten Sagen & Märchen vom Berggeiste aus dem Riesengebirge (Illustriert). Rosalie Koch
eigenes Gebiet nicht wiedererkannte. Grünes Saatenfeld erhob sich, wo früher ein finsterer Wald gestanden hatte, und auf Wiesen weideten Schafe und Rinder, unter der Obhut singender Hirten und schützender Hunde. Da lagen einzelne Hütten in den Tälern, aus deren Schornsteinen der Rauch lustig emporstieg und vor deren Türen muntere Kinder spielten, mit fröhlichem Geschrei. Der Gnom wunderte sich nicht wenig über diese neuen Erscheinungen; seine größte Aufmerksamkeit aber erregten die Gestalten der Menschen, die er nie zuvor gesehen hatte. Seine Neugier ward rege, und er beschloß, diese fremden Wesen näher kennen zu lernen, indem er ihre Gestalt annahm und einige Zeit unter ihnen lebte.
Zuerst trat er als Knecht in die Dienste eines Landwirtes und verrichtete seine Arbeit aufs beste. Was er unternahm, das gelang, und er schaffte seinem Herrn so großen Nutzen, daß dieser leicht ein reicher Mann hätte werden können. Aber er war ein Verschwender und verjubelte leichtsinnig alles, was der fleißige und geschickte Knecht erwarb, dem er für seine treuen Dienste nicht einmal dankte. Darüber ward denn der Berggeist ärgerlich und suchte sich einen andern Herrn, bei dem er sich als Schafhirt vermietete. Und wieder gedieh unter seiner Aufsicht die Herde aufs beste; kein Schaf erkrankte, keins zerriß der Wolf, solange der Gnom sie hütete. Aber der Herr war ein Geizhals, der niemals genug hatte, dem treuen Knechte kaum satt zu essen gab und ihm, so oft er konnte, den bedungenen Lohn verkürzte. Darum ging dieser auch bald wieder aus diesem Dienst und kam als Gerichtsdiener zu einem Amtmann. Er versah auch diesen Dienst mit allem Eifer, und in kurzer Zeit war im ganzen Kreise kein Dieb oder Straßenräuber mehr zu finden. Als aber der Berggeist sah, daß der Amtmann ein ungerechter Richter war, der sich durch Geschenke und Schmeicheleien bestechen ließ, mochte er ihm nicht länger dienen und lief davon. Da er nun durch Zufall an lauter schlechte Menschen geraten war, glaubte der Gnom, daß sie alle nicht anders wären, und ohne Lust, weitere Proben davon zu machen, nahm er sich vor, so weit sein Gebiet reichte, die Menschen zu necken und zu plagen, damit sie sich wenigstens aus dieser Gegend entfernen sollten. Später freilich sah er auch diesen Irrtum ein und lernte manchen tugendhaften und guten Menschen kennen und schätzen und hat denn auch, wie wir sehen werden, mit seinen Zauberkünsten manchem armen Schelm aus der Not geholfen.
Wenn er nun wieder von Zeit zu Zeit die Oberwelt besuchte, neckte er die Reisenden und mischte sich in ihre Geschäfte. Er leitete die Fremden irre, die sein Gebiet betraten oder trieb Regenwolken zusammen, um sie durch Sturm und Gewitter zu erschrecken. Er stellte oft in der ödesten Gegend ein Wirtshaus, oder einen wundervollen Palast auf und äffte die hungrigen und ermüdeten Wanderer auf alle Weise damit. Wenn betrügerische Roßtäuscher sein Gebiet betraten, zeigte er sich nicht selten auf einem schönen Pferde als ein vornehmer Herr; ließen sie sich nun verleiten, ihm das Roß abzukaufen und ritten weiter damit, so verwandelte es sich nach kurzer Zeit in einen Strohwisch. — Traf er dagegen einen unbemittelten Edelmann, der auf einem mageren Klepper traurig durch das Gebirge ritt, so kam er ihm wohl als ein stattlicher Reiter entgegen, ließ sich in irgend ein Gespräch mit ihm ein, und suchte ihn zu irgend einer Wette zu veranlassen. Er selbst verlor dann, und gab dem glücklichen Gewinner sein schönes Pferd, steckte ihm auch wohl noch heimlich eine Rolle mit Gold in die Tasche.
Solche Vorfälle wurden aber bald bekannt, und lockere Burschen oder Abenteurer, die davon hörten, suchten nun die Wohltätigkeit des Berggeistes auf ähnliche Weise in Anspruch zu nehmen. Aber da wurden sie empfindlich getäuscht; wenn sie auch glücklich das Pferd erlisteten, so verwandelte es sich doch bald genug in einen dürren Stock, auf dem sie immer weiter ritten, ohne es zu bemerken und zum Gespött in Stadt und Land wurden, wohin sie kamen.
So trieb er sein Wesen oberhalb des Gebirges, bald als neckender Spuk, bald als Wohltäter der Armen, je nachdem seine Laune eben war. Die Märchen, welche über den Berggeist Rübezahl noch im Munde des Volkes fortleben, findet ihr, meine jungen Leser, hier größtenteils gesammelt und neu bearbeitet. Die Autoren, von denen ein Teil derselben entnommen worden, sind: Musäus, Lehnert u. a. m.
Woher Rübezahl seinen Namen hat.
Unsichtbar schlich der Berggeist einmal von seinem Felsen ins Tal hinab, und lustwandelte zwischen grünem Gesträuch und blühenden Hecken. Da gewahrte er die Gestalt eines überaus lieblichen Mädchens, welches die Tochter eines Fürsten war, der im schlesischen Gebirge herrschte, und die sich mit ihren Gespielinnen ins Gras gelagert hatte. Sie pflegte oft mit den Jungfrauen ihres Hofes in diesen Büschen zu lustwandeln, für ihren Vater Erdbeeren zu pflücken oder Wohlgeruch duftende Kräuter und Blumen zu sammeln. „Ei,“ dachte der Berggeist, „dies schöne, heitere Wesen wär’ eine gar erfreuliche Gesellschaft in meinem einsamen Reiche,“ — und alsbald entführte er als ein Sturmwind die schöne Emma, indem er die Augen der Gespielinnen durch Staub und Sand blendete, die nun mit ihrem Wehklagen Berg und Tal erfüllten und ohne Unterlaß nach der geraubten Prinzessin suchten.
Der König, ihr Vater, war sehr betrübt darüber, nahm die goldene Krone von seinem Haupte und verhüllte sein weinendes Angesicht in den Purpurmantel.
Am traurigsten aber war die Prinzessin selbst, als sie sich plötzlich in dem Palaste des Berggeistes befand, den er im Augenblicke aufgebaut und mit soviel Reichtum und Glanz ausgeschmückt hatte, wie es die Königstochter selbst am Hofe ihres Vaters nicht gesehen. Sie selbst war auf das kostbarste gekleidet, und eine ganze Reihe Kisten und Schränke standen mit allerlei Putz und Schmuck für sie angefüllt. Ein schöner Lustgarten umgab den Palast von drei Seiten, die Obstbäume darin trugen purpurrote und goldene Früchte, und auf den Rasenplätzen, die von den seltensten Blumen eingefaßt waren, lag der erquickendste Schatten. Der Berggeist, bemüht, daß es seinem schönen Gaste gefallen solle, ernannte die Prinzessin zur unumschränkten Herrin dieser Besitzung und folgte jedem ihrer Winke wie einem Befehl. Aber bei alledem fühlte sich Emma doch unglücklich, denn sie sehnte sich nach ihrem Vater und ihren Gespielinnen zurück.
Der Gnom bemerkte bald die Traurigkeit der holden Prinzessin und dachte: Es mangelt ihr nur an Unterhaltung, denn der Mensch ist an Geselligkeit gewöhnt, gleich der Biene und Ameise. Und flugs ging er hinauf aufs Feld, zog auf einem Acker ein Dutzend Rüben aus, legte sie in einen zierlich geflochtenen Korb und brachte sie der Prinzessin.
„Holde Erdentochter,“ redete er sie an, „du sollst nun nicht länger einsam sein; in diesem Korbe ist alles enthalten, was du bedarfst, um diesen einsamen Ort zu beleben. Nimm diesen kleinen, buntgeschälten Stab, berühre eine dieser Rüben damit und gib ihr diejenige Gestalt, welche dir gefällt.“ Darauf verließ er die Prinzessin.
Diese zögerte keinen Augenblick, von dem Zauberstabe Gebrauch zu machen. „Brinhild!“ rief sie, „meine liebe Brinhild, erscheine!“ und alsbald umschlang die Gerufene ihre Knie und liebkoste die holde Gebieterin mit Tränen der Freude. Emma überließ sich nun ganz dem Glück, ihre liebste Gespielin um sich zu haben; sie lustwandelte Hand in Hand mit ihr durch den Garten, brach von den köstlichsten Früchten für sie, dann zeigte sie ihr die schönen Kleider, die Ketten und Spangen von Gold und Edelsteinen und vergaß über Brinhildes Bewunderung fast allen Harm.
Nun verwandelte Prinzessin Emma auch noch die übrigen Rüben durch den Zauberstab, so daß sie wieder ihre Kammerfrauen und sogar ihre Cyperkatze und ihr Hündchen um sich hatte. Wie sie so ihren alten Hofstaat um sich versammelt sah, war sie wohl zufrieden mit dem Berggeiste und zeigte ihm zum erstenmale ein freundliches Gesicht. Aber ihr Glück war von kurzer Dauer, denn nur zu bald bemerkte Emma, daß die blühende Gesichtsfarbe ihrer Gesellschafterinnen erbleichte und sie nur noch die einzige frische Rose unter den abwelkenden Jungfrauen war. Ja eines Morgens, als Emma klingelte, kamen an Stäben und Krücken statt der Kammerfrauen lauter alte Matronen ins Zimmer gehumpelt, die zitterten und husteten, daß es traurig anzusehen war; das Lieblingshündchen selbst lag im Verscheiden, und die Cyperkatze konnte nicht mehr kriechen vor Schwäche. Bestürzt verließ die Prinzessin diese unheimliche Gesellschaft, trat auf den Söller hinaus und rief den Gnom, der auch sogleich erschien.
„Was hast du mit meinen Gespielinnen und Kammerfrauen gemacht, boshafter