Rübezahl: Die beliebsten Sagen & Märchen vom Berggeiste aus dem Riesengebirge (Illustriert). Rosalie Koch
um seinen Menschenhaß im Mittelpunkte der Erde zu verbergen. Nach und nach aber überwand er auch diesen wieder und lebte von Zeit zu Zeit unter den Gebirgsbewohnern, stiftete mancherlei Gutes oder neckte die Menschen mit ihren Schwächen und Gebrechen, so daß mancher dieselben erkannte und sich besserte, zu seinem und seiner Mitmenschen Wohl. Nie aber hatte der Berggeist wieder versucht, ein schönes Erdenkind zu entführen, oder etwas zu versprechen, was er nicht halten konnte.
Fürst Ratibor aber führte die schöne Emma im Triumph an den Hof ihres Vaters zurück, der ihn nun mit der Hand der Prinzessin und einer schönen Stadt belohnte, die nach dem Besitzer „Ratibor“ genannt wurde. Das sonderbare Abenteuer, das die Prinzessin im Riesengebirge erlebt hatte, und ihre schlaue Flucht wurden das Märchen des Landes und pflanzte sich von Geschlecht zu Geschlecht weiter fort. Die Bewohner der umliegenden Gegend, die den Berggeist bei seinem Geisternamen nicht zu nennen wußten, legten ihm nun einen Spottnamen auf und nannten ihn fortan nur Rübenzähler oder Rübezahl.
Der Kräutersammler.
Vor langen Jahren lebten in einem Dörfchen am Riesengebirge ein paar alte Leute, Bieder, ehemals ein Köhler, und Else, sein Weib, arm und unbeachtet, in einer kleinen, baufälligen Hütte. Sie hatten keine Kinder und nur wenig Anverwandte, denn die Armut hat nur einen Freund, und der ist im Himmel. Es lebte zwar noch eine Schwester des Köhlers mit ihrer Tochter, aber sie wohnte im Böhmenlande, war auch eine Witwe und mußte sich kümmerlich ernähren.
Um diese alten Leute nun kümmerte sich niemand; sie hatten gar oft früher die helle Sonne, als ein Stück schwarzes Brot im Hause, und die arme Else näßte ihr Gespinnst oft mit Kummertränen, seit ihr guter Alter an der Gicht daniederlag und seine gelähmten Hände auch nicht mehr die Spindel halten konnten, womit er sonst seinem Weibe das Brot verdienen half. Da ward freilich die Not erst recht groß, denn Else mußte den Kranken hegen und pflegen, und konnte nun nicht mehr jeden Tag, wie sonst, eine Strähne des schönsten Garnes spinnen. Wenn jetzt der Garnhändler an der Hütte vorbei kam und an die kleinen Scheiben des Fensterchens pochte, — da schüttelte Else oft nur traurig den Kopf, denn sie hatte ja kein Garn zu verkaufen, oder es war so wenig, daß die paar Groschen eben nur zu Salz und Brot ausreichten. So verging den armen Leuten die Zeit unter Leiden und Entbehrungen.
Da saß eines Tages der alte Bieder vor der Hütte und wärmte die kranken Glieder im Strahl der Sonne; Else brachte ihm die Pfeife mit dem Kopf aus Holz heraus, nahm dann Rocken und Spindel und setzte sich neben den Greis auf den Holzblock. Auf der Landstraße wirbelten kostbare Reisewagen den Staub auf und nahmen die Richtung nach dem nahe gelegenen Warmbrunn, dessen weltberühmtes Bad schon Tausenden von Kranken Heilung und Hilfe bereitet hat. — „Ach,“ seufzte die arme Else, „wenn wir doch auch reich wären, wie jene vornehmen Reisenden; dann könntest du auch das Warmbad brauchen für deine kranken Glieder und würdest wohl noch einmal gesund und rüstig.“ — Bieder ließ traurig den Kopf sinken, und als Else nun ihren Mann so niedergeschlagen sah, hätte sie ihm gern Mut und Freudigkeit zugesprochen. Sie erhob daher ihre freilich schon zitternde Stimme und begann das schöne Lied von Neumark: „Wer nur den lieben Gott läßt walten etc.“ — „Weißt du auch,“ schob sie zuvor ein, „was mir der Pfarrer neulich von diesem schönen Liede erzählte? Georg Neumark habe in Hamburg in so großer Armut gelebt, daß er seine liebe Violine habe versetzen müssen. Da fand er unvermutet Gönner, die ihn reichlich unterstützten und ihm auch eine Anstellung verschafften. Nun konnte er das liebe Instrument wieder einlösen, und aus Freude darüber machte er das Lied — Wer nur den lieben Gott läßt walten, — welches er selbst zuerst unter Tränen des Dankes gesungen hat.“ An dieser Erzählung richtete sich ihre eigene gebeugte Seele auf, und ihr Gesicht hatte den Ausdruck froher Ergebung angenommen, als sie zu der letzten Strophe des Liedes kam: „Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verläßt er nicht.“
Da kam auf der Landstraße ein hübsches Mädchen daher, die trug ein kleines Bündel Kleider unter dem Arme; sie schien sehr ermüdet zu sein, und die unbeschuhten Füße waren an manchen Stellen wundgerissen von Baumwurzeln und Gestrüpp. Als sie nun in die Nähe der Hütte kam, stand sie mit einem: „Grüß euch Gott!“ still, und fragte mit fremdklingender Aussprache: „Könnt ihr mir wohl sagen, ob hier ein Mann mit Namen Bieder wohnt?“
„Das bin ich selbst,“ antwortete der Alte, und in dem nämlichen Augenblicke lag das fremde Mädchen an seinem Halse und schluchzte: „Die Mutter grüßt euch nochmals, lieber Ohm; am Osterfeste ward sie begraben!“ — „Tot?“ fragte Bieder erschrocken, und faltete die Hände. „Du lieber Gott im Himmel! — Und du, mein Mädchen, bist wohl Theresens Kind? So sei uns denn herzlich willkommen!“
Else trat nun auch herbei, gab dem Mädchen die Hand, strich ihr dann liebkosend die vollen Zöpfe aus dem braunen Gesicht und klopfte sie auf die Wange. Da faßte sie der Base Hand und bat mit ihrer sanften Stimme: „Ach, sei du nun mein Mütterlein, Base Else! siehe, ich bin ja ohne Schutz und Schirm wie ein Vöglein des Waldes.“
„Für dich auch wird der Vater sorgen,“ sprach da die gute Else, umarmte das verlassene und verwaiste Mädchen und führte es hinein in die Hütte, daß es sich ausruhe und an ein wenig Brot und Käse stärke. Am Abend machte die gute Alte für Susy ein Lager von Heu und Baumblättern zurecht, und so ärmlich dies war, schlief das Mädchen doch so süß, als läge es auf dem weichsten Flaum.
Else aber ließ die Sorge nicht schlafen. Sie ging schon frühe hinaus vor die Hütte, um ungesehen zu beten und zu weinen, und suchte zugleich junge Erdbeerblätter zum Frühtrank für sich und den Vater; für Susy hatte sie noch ein Töpfchen Milch aufgespart. — Von der neuen Tochter hatte Else zwar jetzt Unterstützung und Pflege für ihre alten Tage zu erwarten, aber es fehlte dem Mädchen doch manches, zu dessen Anschaffung Else keinen Rat wußte. Wäsche und Kleider hatte Susy meist den harten Leuten lassen müssen, bei denen die Mutter gewohnt hatte, und denen sie in der langen Krankheit vieles schuldig geblieben war. Zwar blühte Susy frisch und kräftig wie eine Alpenrose, hatte eine silberhelle Stimme und wußte schöne Lieder zu singen, die sie mit der Zither begleiten konnte, aber Else hätte lieber für das Mädchen gebettelt, als das sie zugegeben hätte, daß sie damit ihr Brot zu verdienen suche. Woher aber das Nötige zu ihrem Unterhalt nehmen? Das gute Mütterchen sah keinen Ausweg und vergaß, daß Einer in der Höhe lebt, der ja viel tausend Wiege findet, wo der Verstand nicht einen sieht.
Da hörte Else plötzlich den Gesang einer Männerstimme im stillen Walde, und alsbald kam ein Kräutersammler mit seiner Blechkapsel auf dem Rücken daher. Er schien Else nicht zu bemerken und sang laut und verständlich für jene:
„Wider alle Wunden
Gibt’s ein kräftig Kraut,
Der hat Heilung funden,
Der dies Kräutlein braut.
In des Glaubens Garten
Ist es nur zu schaun,
Lernt das Kräutlein warten,
Es heißt: Gottvertraun!“ —
Else horchte hoch auf, das Herz pochte ihr fast laut, und ein Glaube, stark wie Felsengrund, kam hinein. Sie schämte sich ihres Kleinmutes, trocknete ihre Tränen und erwiderte freundlich den Gruß des Reisenden, der indes näher gekommen war.
„Habt ihr etwas von meiner Ware nötig?“ fragte er Else und zeigte auf den Kräuterkasten; doch diese schüttelte wehmütig den Kopf, indem sie antwortete:
„Ach, lieber Freund, das Kräutlein, dessen ich bedarf, habt ihr doch wohl nicht in eurem Kasten, denn für den Tod ist kein Kraut gewachsen; und mein armer Mann wird die Gicht nicht eher los, biß sie ihm Erde und Rasen aufgelegt haben.“
Da lächelte der Fremde seltsam und wiederholte singend: „Wider alle Wunden gibt’s ein kräftig Kraut usw.“
Else war ganz wunderbar zumute; sie