Rübezahl: Die beliebsten Sagen & Märchen vom Berggeiste aus dem Riesengebirge (Illustriert). Rosalie Koch
Da haben sich schon viele Gevatterinnen und Kaffeeschwestern versammelt und folgen dem Sarge mit großem Wehklagen. Nach der Einsegnung wird dieser nach damaliger Sitte noch einmal geöffnet, damit die guten Frauen ihre liebe Freundin zum letzten Male sehen können; aber plötzlich wird ein Schrei des Entsetzens gehört, und die ganze Grabbegleitung läuft wie toll und rasend vom Kirchhof herunter, denn im Sarge liegt niemand anders, als der alte Mecker-Friede, der Kriegsknecht, starr und steif im ledernen Koller, mit der Pickelhaube und dem Schwert an der Seite.
So hatten die Träger den unrechten Sarg erwischt und über der alten Anne Rosine feierlich geschossen und getrommelt. — Die Versammlung aber meinte, das sei nicht mit rechten Dingen zugegangen, Rübezahl habe dem Mecker-Friede noch im Tode etwas angetan, damit sich die kriegslustige Jugend daran spiegle und auch als Soldat die Menschlichkeit nicht vergesse. Das glaubte man auch bald allgemein, gewiß aber wußte es keiner.
Denn Freund Rübezahl, sollt ihr wissen, ist geartet wie ein Kraftgenie, launisch, ungestüm, sonderbar, bengelhaft, roh, unbescheiden, stolz, eitel, wankelmütig, heute der wärmste Freund, morgen fremd und kalt; nach der Stimmung, wie ihn Humor und innerer Drang jeden Augenblick empfinden läßt.
Die Anleihe.
Ein Bauer war mit seinem Weibe und sechs Kindern so verarmt und durch mancherlei Unglücksfälle herunter gekommen, daß er oft nicht wußte, wo er Brot für die Seinigen hernehmen sollte.
Eines Tages sagte er zu seiner Frau: „Du hast ja im Gebirge reiche Vettern; ich will hin, vielleicht lenkt Gott einem unter ihnen das Herz, daß er mir hundert Taler auf Zinsen leiht; mit diesem Gelde könnten wir uns aus unserer großen Not wieder aufhelfen.“
„Das gebe Gott!“ sagte diese mit schwacher Hoffnung, denn sie kannte ihre Vettern, die nach ihr und den ihrigen niemals gefragt hatten. Am andern Morgen sehr früh machte sich der Bauer auf den Weg, und schritt rüstig den ganzen Tag zu, bis er am Abend müde und matt zu den Vettern kam, und ihnen mit Tränen seine Not klagte, und um ihre Hilfe flehte. Aber überall wurde er mit harten, bittern Worten abgewiesen, und mußte viel spitzige Reden hören, von leichtsinnigen Wirten, und wie der in Not habe, der in der Zeit spare, und was dergleichen Dinge mehr.
Traurig und niedergeschlagenen Herzens machte er sich auf den Rückweg, und als er wieder ins Gebirge kam, überfiel ihn Gram und Angst mit großer Gewalt. Er hatte den Arbeitslohn von zwei Tagen verloren, und fühlte sich so entkräftet, daß er wohl auch am dritten Tage nicht würde arbeiten können. Zu Hause aber erwarteten ihn das abgehärmte Weib und die hungrigen Kinder, und er brachte ihnen nur leere Hände! — kein Geld, kein Brot, o wie sollte sein Herz den Jammer ertragen!
Der arme Mann sann hin und her, wie er Wohl Hilfe schaffen könne. Da fielen ihm die Geschichten vom Berggeiste ein. „Ich will mich an ihn wenden,“ sagte er, „vielleicht daß meine Bitten Gehör finden.“ Darauf rief er „Rübezahl! Rübezahl!“ und alsbald stand ein rußiger Köhler mit einem mächtigen Schürbaum in der Hand vor ihm, der einen wilden, struppigen Bart und glühende Augen hatte. Der Bauer zweifelte keinen Augenblick, daß dies der Berggeist sei, und faßte all seinen Mut zusammen, um sein Anliegen vorzubringen.
„Ich habe euch nicht aus Mutwillen gerufen,“ begann er, „sondern aus Not und Verzweiflung. Zu euch, lieber Herr vom Berge, habe ich das Zutrauen, daß ihr mir aus meiner Angst helfen werdet.“ Und nun erzählte er ihm von seinem Weibe und seinen Kindern, sowie von den unbarmherzigen Vettern, und bat nun ganz treuherzig, Rübezahl solle ihm die hundert Taler leihen, die er in drei Jahren mit Zinsen zurückzahlen wolle; dann sei ihm aus aller Not geholfen. —
„Wie? treibe ich Wucher?“ fragte der Berggeist zornig, „gehe zu den Menschen, deinen Brüdern, und borge bei denen, so viel du bekommen kannst; mich aber lasse in Ruhe, und rufe mich nicht wieder, wenn dir dein Leben lieb ist.“
Der Bauer ließ sich aber durch diese harte Rede nicht abschrecken, und schilderte den Jammer und die Not seiner Familie auf das rührendste. „Wollt ihr mir nicht helfen,“ setzte er traurig hinzu, „so erzeigt mir wenigstens die Wohltat, mich mit eurer Schürstange tot zu schlagen, damit ich nur nicht länger die Not der Meinigen sehe, der ich nicht abhelfen kann.“
Rübezahl sah den Bauer mit großen Augen an, hob dann die schwere Stange hoch in die Luft und schien ihn mit einem gewaltigen Streiche zerschmettern zu wollen. Da er aber dem Schlage nicht auswich, hielt er inne und hieß den Bauer ihm folgen. Nun ging es waldeinwärts durch dichtes Gesträuch, bis sie in ein enges Felsental kamen, an dessen Ende sich eine finstere Höhle befand, in die kein Strahl des Tageslichts drang. Nur kleine blaue Flämmchen sprangen jetzt aus dem Boden auf und beleuchteten schauerlich die schwarzen Steinwände. Die Höhle enthielt außer einem eisernen Kasten nur eine offene Braupfanne voll blanker, neugeprägter Taler; „da nimm dir das Geld, was du brauchst, und wenn du schreiben kannst, magst du mir einen Schuldschein darüber ausstellen,“ sagte Rübezahl, und holte aus dem Kasten Papier und Schreibzeug hervor, wobei er sich um, den Bauer gar nicht zu bekümmern schien, der indessen mit großer Gewissenhaftigkeit hundert Taler abzählte und auch nicht einen darüber nahm. Dann schrieb er den Schuldschein, so gut er vermochte, und Rübezahl schloß diesen in den eisernen Kasten.
„Geh nun.“ sagte der Berggeist, „und nütze das Geld gut; merke dir auch den Eingang in dies Felstal und vergiß den Zahlungstag nicht; ich bin ein gar strenger Schuldherr! Da hast du auch noch etwas für deine Kinder, was nicht auf dem Schuldschein steht,“ — und mit diesen Worten tat er einen tiefen Griff in die Braupfanne; der erfreute Vater konnte das reiche Geschenk kaum mit beiden Händen fassen.
Dankbar verließ er nun den Berggeist und fand auch glücklich aus dem engen Felsentale heraus, suchte sich den Eingang genau zu merken und ging, von der Freude gestärkt und beflügelt, seiner Heimat rüstig zu.
Sein Weib saß traurig am Ofen, als er in die Stube trat; sie wußte, wie wenig die Armut auf reiche Anverwandte rechnen dürfe und hatte kaum den Mut, ihren Mann anzusehen, aus Furcht, die vereitelte Hoffnung auf seinem Gesicht zu lesen. Wie schlug ihr aber das Herz vor frohem Schreck, als der Bauer den Quersack öffnete und daraus Fleisch und Wurst, Weißbrot und Brezeln für die Kinder nahm, was er in der Stadt für sie gekauft hatte. „Deine Vettern,“ sagte er zu der erstaunten Frau, „haben mich nicht nur sehr freundlich aufgenommen, sondern mir auch bereitwillig das Geld geliehen, um was ich sie gebeten.“ Da staunte das Weib noch mehr und pries in ihrem Herzen den guten Gott im Himmel, der die Herzen der Menschen lenkt wie Wasserbäche.
Nun kam ein neues Leben in die gesunkene Hauswirtschaft des Bauern. Es ward guter Same gekauft, der Acker ordentlich bestellt und noch zwei Kühe angeschafft; es lag ein sichtliches Gedeihen auf dem Gelde des Berggeistes, und bald vermehrte sich das Gut um eine schöne Wiese, ein Weizenfeld um das andere. Man fand nun weit und breit keinen fleißiger bearbeiteten Acker, nirgends schöneres und nutzentragenderes Vieh, und der tätige Wirt konnte schon bares Geld zurücklegen.
So war indes der Zahlungstag herangekommen. Da sagte eines Tages der Bauer zu Frau und Kindern: „Zieht nur eure besten Kleider an, der Hans mag die Pferde anspannen, wir wollen den Vettern das Geld selbst wieder heimbringen, was sie mir vor drei Jahren geborgt haben.“ Das war keine geringe Freude für die Kinder, und auch der Mutter war es lieb, daß sie nun ihren Wohlstand den guten Vettern würde zeigen können. Als sie nun ins Riesengebirge kamen, ließ der Bauer an einem schönen Punkte den Wagen halten und stieg mit den Seinen aus, teils um es den Pferden leichter zu machen, wie er sagte, teils auch um den Kindern einen schattigen Weg zu zeigen. Es fiel aber allen auf, daß der Vater sich immer sorgfältiger umschaute, je tiefer sie in den Wald kamen, und die Frau fragte daher besorgt: „Wir sind wohl vom rechten Wege abgekommen?“
Da erzählte er ihr und den Kindern erst, wie schnöde die Vettern ihn abgewiesen hatten, dagegen aber der Berggeist sich seiner erbarmt und ihm geholfen halbe. Anfänglich erschraken sie, als sie hörten, daß Rübezahl dem Vater das Geld geliehen,