Erich Mühsam: Verse eines Kämpfers (151 Gedichte in einem Band). Erich Muhsam

Erich Mühsam: Verse eines Kämpfers (151 Gedichte in einem Band) - Erich  Muhsam


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ruf euch zu, doch euer Echo fehlt

       den Laut, der rein aus meiner Stimme klingt.

       Ich wink euch her. Doch ihr, wie unbeseelt,

       horcht tauben Ohrs, ob euch ein Stummer singt.

       Vergebne Zeichen! Aus den Zähnen pfeift

       10

      mißtönig euer ärgerlicher Spott.

       Kommt nie die Zeit, da ihr die Zeit begreift?

       Tritt nie aus finstern Kirchen euer Gott?

      Hoffnung (Mühsam)

       Inhaltsverzeichnis

      1910

      Von meiner Hoffnung laß ich nicht,

       ich ließe denn mein Leben,

       daß einmal noch das Weltgericht

       ein Lächeln muß umschweben.

       5

      Und kann es nicht durch Gott geschehn,

       daß sich die Menschheit liebe,

       so muß es mit dem Teufel gehn,

       dem sich die Welt verschriebe.

      Der Teufel hol Gesetz und Zwang

       10

      samt allen toten Lettern!

       Er leih dem Geiste Mut und Drang,

       die Tafeln zu zerschmettern!

      Am Anfang trennte Gottes Rat

       die Guten von den Bösen.

       15

      Am Ende steht die Menschentat,

       den Gottesbann zu lösen.

      Stumm starrt der Weltengeist und friert,

       wo wild Begriffe toben.

       Wenn einst das Wort die Tat gebiert,

       20

      wird er uns lächelnd loben.

      Tolstojs Tod

       Inhaltsverzeichnis

      (am 20. November 1910)

      Die Liebe ist verwaist. Ihr stärkster Hort,

       ihr Schützer, ihr Prophet, ihr Held, ihr Sohn,

       die menschgewordne Liebe selbst ging fort.

       Das Herz der Welt erbebt in seinen Festen,

       5

      erschüttert von des Worts Posaunenton,

       vom Testament des Weisesten und Besten.

       Er ging, wie nie ein Mensch noch sterben ging,

       nicht müde flüchtend, nicht mit Todesbeben;

       er sprengte seines Daseins goldnen Ring,

       10

      zu einen seines Herzens mächtigen Schlag

       mit dem der Welt. – An seinem Sterbetag

       grüßt ihn der Sieg des langen Kampfs: das Leben...

       Noch schläft die Sonne hinter Reif und Frost;

       vereiste Wege, nur vom Schnee erhellt,

       15

      durchkreuzen bleich und lang erfrorne Gründe.

       Durch den Novembermorgen pfeift und gellt,

       wie Atemstöße roher Menschensünde,

       von Schmerz und Wollust heulend der Nordost.

       Da trappeln Pferde. Eine Wagenspur

       20

      spult flimmernd sich im schneeigen Boden ab.

       Ein Greis verläßt sein Weib, sein Gut, sein Haus.

       Hinaus in Gottes einsame Natur!

       Die Hufe schlagen auf im scharfen Trab, –

       in Rußlands stillste Einsamkeit hinaus.

       25

      Was arme Menschen Wohlstand dünkt und Glück:

       Bequemlichkeit und festliches Geschmeide

       und Zärtlichkeit und liebende Betreuung, –

       der flüchtige Greis wirft keinen Blick zurück.

       Die Seele, eingekrustet im Genuß,

       30

      sehnt sich nach Reinigung und nach Erneuung.

       Sie wäscht sich rein von aller Menschheit Leid

       Und aller Menschheit weiht sie ihren Kuß. –

       Sucht nicht den Gatten, sucht den Vater nicht,

       der ohne Abschied ging, um Gott zu finden;

       35

      in seiner Sterbestunde für die Blinden

       Gott anzuflehn um Stab und Mut und Licht.

       Der euch verließ, gehört euch nicht allein.

       Stört nicht sein Tun, so ihr die Menschheit achtet!

       Wenn ihr barmherzig seid, tränkt nicht mit Wein

       40

      den Sterblichen, der nach Erlösung schmachtet! –

       Der Tag steigt auf. Die helle Sonne leuchtet

       ins herbstliche Gefild mit heller Glut,

       daß rings vom Tau und Schnee sich funkelnd feuchtet,

       und daß des Greisen welke Brust sich dehnt,

       45

      noch einmal sich zurück zur Jugend sehnt,

       noch einmal rascher rieseln fühlt das Blut.

       Dann sinkt der Leib zusammen siech und schwach. –

       Nur rasch ihn betten unters nächste Dach! –

       Und die ihn lieben, kommen, ihn zu pflegen,

       50

      noch einmal seine bleiche Hand zu küssen

       und zu empfangen Scheidegruß und Segen.

       Er wehrt sie ab. Schon dorren seine Lungen,

       schon jagt in irrem Schlag der Puls des Kranken:

       In dieser Stunde nicht bedrängt sein müssen

       55

      von Zärtlichkeiten und Erinnerungen.

       Nur noch zu Gott die Worte und Gedanken! –

       Da draußen liegt die weite weiße Erde,

       das Schlachtfeld, wo Millionen Menschen leiden,

       wo Haß und Kampf und Kriege und Beschwerde

       60

      das Menschenherz von seiner Gottheit scheiden.

       Liebt euch! Seid Freunde, Brüder! Haltet Frieden!

       Seid gut und widerstehet der Gewalt! – –

       Der Sterbende hat an die Bahnstation

       die ganze Menschheit vor sein Bett beschieden,

       65


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