Erich Mühsam: Verse eines Kämpfers (151 Gedichte in einem Band). Erich Muhsam
Alle verlangten den Brudermörder zu steinigen,
mich zu entsetzlichem Tode langsam zu peinigen.
Vorwärts stürzte mein Fuß, daß die Felsen klirrten . . .
Immer noch flieh ich dem Zorn der Menschengemeinde.
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Unstet und rastlos irr ich von Ort zu Ort.
Doch mein Mal an der Stirn, vom Scheite gebrannt,
allüberall verrät’s mich dem lauernden Feinde.
Allüberall treibt mich sein Racheruf fort.
Von den Stätten der Menschheit bin ich verbannt.
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Darbend fahr ich durchs Land, vogelfrei.
Doch, wo ein Rauch sich senkrecht zum Himmel hebt,
wo zufriedene Menschen sich dankbar beugen, –
ah! – da schleich ich mit krummem Rücken vorbei,
kralle die Hand, die vom Blute des Bruders klebt,
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heiße mein Feuermal gegen die Menschheit zeugen! –
Opfert ihm nur, dem Gott der Gerechten und Guten,
der eure Hütten mit köstlichen Früchten füllt,
der euern Leib mit wärmenden Fellen umhüllt!
Junge Lämmer laßt ihm zum Preise bluten!
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Danket für euern Reichtum dem Gotte der Reichen!
Und verschließt vor dem Hunger des Armen die Scheuer!
Wen Gott haßt, den mögt ihr richten als Schlechten!
Was euer Gott auf den Feldern gedeihen laßt, ist euer!
Ihr nur seid wert, dem Ebenbild Gottes zu gleichen!
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Aber auf mich ergieß sich der Zorn der Gerechten! – –
Kommt! Ich fürcht mich nicht mehr! Hier steh ich zum Kampf!
Eure geballten Fäuste schrecken mich nicht!
Brudermörder ihr selbst – und tausendfach schlimmer!
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Aus euerm Scheiterhauf raucht meines Herzbluts Dampf.
Trag ich so gut als ihr nicht Menschengesicht?
Aufrecht steh ich vor euch und fordre mein Teil! . . .
Gebt mir Freiheit und Land! – und als Bruder für immer
kehrt euch Kain zurück, der Menschheit zum Heil!
Golgatha
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Gebeugte Menschen mit stumpfem Blick
hocken in dumpfen Spelunken.
Den Neid im Auge, die Not im Genick,
von elendem Fusel trunken.
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Da tönt eine Stimme von außen herein:
„Kopf hoch! Ihr seid nicht verloren.
Ich füll eure Becher mit goldenem Wein.
Auch euch ist der Heiland geboren.
Heraus ins Freie und folgt mir nach,
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wo Schätze liegen!“
Die Stimme des Mannes, die also sprach,
hat plötzlich geschwiegen,
Ein Scherge führt ihn gefesselt fort.
Den Menschen aber da drinnen
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Klingt seiner Rede lockendes Wort
wie ferner Traum in den Sinnen.
Sie senken den Kopf auf des Tisches Brett
und trinken mit heiserem Lachen . . .
Ein Jude zog aus von Nazareth,
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die Armen glücklich zu machen.
An die Soldaten
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Sauft, Soldaten!
daß das Blut
heißer durch die Adern rinnt!
Saufen macht zum Sterben Mut.
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Sauft! Die Zeit der Heldentaten
fordert saftige Teufelsbraten.
Sauft! Der heilige Krieg beginnt.
Sauft und betet!
Gott erhört
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liebvoll der Gläubigen Ruf.
Wünscht, daß er den Feind zerstört!
Wenn ihr über Leichen tretet,
dankt dem Herrn, zu dem ihr flehtet,
daß er euch zu Mördern schuf.
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Feindeskissen bettet weich.
Wo des Feindes Witwe weint,
ist des Siegers Himmelreich.
Fremde Weiber – Leckerbissen –
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Schnaps, Gebet und kein Gewissen –
Krieg ist Krieg und Feind ist Feind.
Tapfrer Krieger,
der vergißt,
daß ein Herz im Leibe schlägt,
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daß er Mensch gewesen ist,
eh er Kämpfer war und Sieger.
Edler Held, der gleich dem Tiger
blutige Beute heimwärts trägt.
Heldenscharen
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kehrt ihr heim,
fielt ihr nicht von Feindeshand.
In der Brust den Todeskeim,
Krüppel mit gebleichten Haaren,
sucht, wo eure Stätten waren
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im zerwühlten Vaterland.
Qual und Lasten
sind der Dank.
Weib und Kind in bittrer Not.
Euer Heldentum versank.
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Darben lernt ihr nun und fasten.
Bettelnd mit dem Leierkasten
winselt ihr ums Gnadenbrot.
Testament