Ãœber den Umgang mit Menschen. Adolph Knigge

Ãœber den Umgang mit Menschen - Adolph Knigge


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       50.

      Suche weniger selbst zu glänzen als andern Gelegenheit zu geben, sich von vorteilhaften Seiten zu zeigen, wenn Du gelobt werden und gefallen willst. Ich habe den Ruf eines vernünftigen und witzigen Mannes aus mancher Gesellschaft mitgenommen, in welcher wahrlich kein kluges Wort aus meinem Munde gegangen war und in welcher ich nichts getan hatte, als mit exemplarischer Geduld vornehmen und halbgelehrten Unsinn anzuhören, oder hie und da einen Mann auf ein Fach zu bringen, wovon er gern redete. Wie mancher besucht mich mit der demütigen Ankündigung: (wobei ich mich oft nicht des Lachens erwehren kann) er komme, um mir als einem gewaltigen Gelehrten und Schriftsteller seine Ehrerbietung zu bezeugen; der Mann setzt sich dann hin und fängt an zu reden, läßt mich, den er bewundern will, gar nicht zu Worte kommen, und geht, entzückt über meine lehrreiche und angenehme Unterhaltung, zu welcher ich nicht zwanzig Worte geliefert habe, von mir, höchst vergnügt, daß ich Verstand genug gehabt habe – ihm zuzuhören. Habe Geduld mit allen Schwächen dieser Art! Wenn daher auch jemand ein Geschichtchen oder sonst etwas vorbringt, das er gern erzählt, und Du hättest es auch schon mehr gehört und es wäre vielleicht ein Märchen, das Du selbst ihm einst mitgeteilt hättest, so laß es ihn doch nicht auf unangenehme Weise merken, daß die Sache Dir alt und langweilig ist, wenn die Person anders Schonung verdient. Was kann unschuldiger sein, als solche Ausleerungen zu befördern, wenn man dadurch andern Erleichterung und sich einen guten Ruf verschafft? Und wenn die Leute unschuldige Liebhabereien haben, z. B. gern von Pferden reden, es gern sehen, daß man eine Pfeife Tabak mit ihnen raucht, ein Glas Wein mit ihnen trinkt, so erzeige man ihnen diese kleine Gefälligkeit, wenn es ohne große Ungemächlichkeit und ohne Falschheit geschehn kann. Desfalls habe ich nie die Gewohnheit der Hofleute von gemeinerm Schlage gut finden können, die jedermann nur mit halbem Ohre und zerstreuter Miene anhören, ja gar mitten in einer Rede, die sie veranlaßt haben, einfallen, ohne das Ende abzuwarten.

       51.

      Übrigens aber rate ich auch an, um seiner selbst und um andrer willen ja nicht zu glauben, es sei irgendeine Gesellschaft so ganz schlecht, das Gespräch irgendeines Mannes so ganz unbedeutend, daß man nicht daraus irgend etwas lernen, irgendeine neue Erfahrung, irgendeinen Stoff zum Nachdenken sammeln könnte. Aber man soll nicht aller Orten Gelehrsamkeit, feine Kultur fordern, sondern gesunden Hausverstand und geraden Sinn begünstigen, vorziehn und reden und wirken lassen, sich auch unter Menschen von allerlei Ständen mischen; so lernt man zugleich nach und nach den Ton und die Stimmung annehmen, die nach Zeit und Umständen erfordert werden.

       52.

      Mit wem aber soll man am mehrsten umgehn? Natürlicherweise läßt sich auch diese Frage nur nach eines jeden besondern Lage beantworten. Hat man die Wahl (und wirklich hat man diese doch öfter, als man glaubt), so wähle man sich die Weisern zu seinem Umgange, Leute, von denen man lernen kann, die uns nicht schmeicheln, die uns übersehen; allein gewöhnlich gefällt es uns besser, einen Zirkel untergeordneter Geister um uns her zu versammeln, die in Kreisen tanzen, so oft unser hoher Genius seine Zauberrute schwingt. Wir bleiben indessen dadurch immer, wie wir waren, kommen nie weiter in Weisheit und Tugend. Es gibt zwar Lagen, in welchen es nützlich und lehrreich, sich unter Menschen von allerlei Fähigkeiten zu mischen, ja wo es auch Pflicht ist, nicht bloß mit Leuten umzugehn, von denen wir, sondern auch mit solchen, die von uns lernen können, und die ein Recht haben, dies zu fordern; diese Gefälligkeit aber darf nie so weit gehn, daß die Rechenschaft, die wir einstens von unsrer goldenen Zeit und von der Obliegenheit, uns zu vervollkommnen, geben sollen, dabei Gefahr laufe.

       53.

      Es ist oft eine höchst sonderbare Sache um den Ton, der in Gesellschaften herrscht. Vorurteil, Eitelkeit, Schlendrian, Autorität, Nachahmungssucht und wer weiß, was sonst noch stimmen diesen Ton so, daß zuweilen Menschen, die an einem Orte zusammen leben, jahraus, jahrein, sich auf eine Weise versammeln, unterhalten, Dinge miteinander treiben und über Gegenstände reden, die allen zusammen und jedem einzelnen unendliche Langeweile machen. Dennoch glauben sie, sich den Zwang antun zu müssen, diese Lebensart also fortzuführen. Gewährt wohl die Unterhaltung in den mehrsten großen Zirkeln einem einzigen von den da Versammelten wahres Vergnügen? Spielen unter fünfzig Personen, die jeden Abend die Karten in die Hand nehmen, wohl zehn aus wahrer Neigung? Um desto erbärmlicher ist es, wenn freie Menschen in kleinern Orten oder gar auf Dörfern, die zwanglos leben könnten, um den Ton der Residenzen nachzuahmen, sich ebenso peinlich unter das Joch dieser Langenweile krümmen. Hat man Gewicht bei seinen Mitbürgern und Nachbarn, so ist es Pflicht, alles dazu beizutragen, den Ton vernünftiger zu stimmen. Ist das aber nicht der Fall, und man gerät einzeln in einen solchen Zirkel, so vermehre man nicht durch ein schiefes oder stummes mürrisches Betragen der Anwesenden und des Hauswirts Verlegenheit, es voreinander zu verbergen, daß sie sich sämtlich weit von da weg wünschten, sondern man zeige sich vielmehr als einen Meister in der Kunst, viel zu reden, ohne etwas zu sagen, und mache sich wenigstens das Verdienst, den Raum auszufüllen, wovon außerdem gewöhnlich die Verleumdung Besitz nimmt.

      In volksreichen, großen Städten kann man am allerunbemerktesten und ganz nach seiner Neigung leben; da fallen eine Menge kleiner Rücksichten weg; man wird nicht ausgespähet, kontrolliert, beobachtet; es laufen nicht so aus Mund in Mund die interessanten Nachrichten: wievielmal in der Woche ich Braten esse, ob ich oft oder selten ausgehe und wohin; wer zu mir kommt, wie stark der Lohn ist, den ich meiner Köchin gebe, und ob ich kürzlich mit ihr geschmält habe? Meine Kleidung wird nicht gemustert; man fragt nicht in jedem Kramerhause meine Magd, wenn sie für vier Pfennige Pfeffer holt, für wen der Pfeffer ist und wozu der Pfeffer gebraucht werden soll? Eine unbedeutende Anekdote beschäftigt da nicht sechs Wochen lang alle Zungen; man wandelt unbemerkt, friedenvoll und ungeneckt durch den großen Haufen hin, besorgt seine Geschäfte und wählt sich eine Lebensart, wie man sie für zweckmäßig hält. In kleinen Städten ist man verurteilt, mit einer Anzahl oft sehr langweiliger Magnaten in strenger Abrechnung von Besuchen und Gegenbesuchen zu stehn, die gewöhnlich gleich nach dem Mittagstische ihren Anfang nehmen und bis zu der Bürgerglocke, das heißt bis zehn Uhr abends fortdauern, während welcher Zeit die Unterhaltung gewöhnlich den König von Preußen, den Kaiser, andre hohe Potentaten, und was der Reichspostreuter von ihnen meldet, zum Gegenstande hat. Das ist nun freilich erschrecklich; doch gibt es auch Mittel, dort den Ton des Umgangs nach und nach zu verfeinern oder das schwache Publikum daran zu gewöhnen, nachdem es ein vierter Jahr hindurch über uns gelästert hat, uns endlich auf unsre Weise leben zu lassen, wenn man sich übrigens redlich, menschenfreundlich, dienstfertig und gesellig beträgt. Am übelsten aber pflegt man in den mittlern Städten daran zu sein, sowohl in den Reichsstädten der geringem Klasse, als in unbeträchtlichen Residenzen. Da herrschen gewöhnlich, neben einem übertriebenen Luxus und solchen sittlichen Verderbnissen, die mit der Korruption in den größten Städten wetteifern, noch obendrein alle Gebrechen kleiner Städte, Klatschereien, Anhänglichkeit an Schlendrian, an Gewohnheiten und Familienverbindungen, die abgeschmacktesten Forderungen und die lächerlichste Klassifizierung der Stände. So habe ich eine Stadt gesehn, in welcher ein Mann durch seine kürzlich erhaltene Bedienung, die ehemals dort nicht existiert hatte, so sehr von allen übrigen einmal bestimmten Rangordnungen abgesondert war, daß er wie ein Elefant in einer Menagerie immer für sich allein spazierengehn mußte, ohne seinesgleichen, weder einen Gesellschafter, noch eine Gefährtin finden zu können. Vielleicht bin ich parteiisch für meine liebe Vaterstadt, aber ich glaube (und auch andre einsichtsvollere Männer lassen ihr diese Gerechtigkeit widerfahren), daß, obgleich Hannover nicht zu den größten Städten in Deutschland gehört, man dennoch hier so frei und unbemerkt leben könne als irgendwo. Vermutlich hat unsre Verbindung mit England, wo manche Vorurteile von der Art verachtet werden, hierzu viel beigetragen. Da nun aber in den wenigsten Städten von Deutschland diese glückliche Stimmung angetroffen wird, so muß man lernen, sich nach den herrschenden Sitten zu richten, und nichts kann unvernünftiger und für den Eiferer selbst von nachteiligem Folgen sein, als wenn ein einzelner, der nicht besonders in Ansehen steht, auftreten und seine Vaterstadt reformieren will. Nirgends kommt indessen ein solcher Deklamator übler an als in den Reichsstädten, wo alte Sitte und Schlendrian innig verwebt sind in die Regierungsform und in alle übrigen Verhältnisse. Dort kann zuweilen der bloße Schnitt eines Rocks oder ein bißchen mehr oder weniger Gold darauf, wodurch ein Kaufmann sich von seinen Mitbrüdern unterscheidet,


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