Ãœber den Umgang mit Menschen. Adolph Knigge

Ãœber den Umgang mit Menschen - Adolph Knigge


Скачать книгу
ein eigenes Haar, das einen feinen Kopf deckt, davontragen.

      In Dörfern und auf seinem Landgute lebt man in der Tat am ungezwungensten, und für jemand, der Lust hat, sich zu beschäftigen und zum besten andrer etwas beizutragen, findet sich da mannigfaltige Gelegenheit, indem man an dem nützlichsten, zu sehr niedergedrückten und vernachlässigten Stande zum Wohltäter werden kann; allein die geselligen Freuden sind auf dem Lande nicht so leicht zu verschaffen. In Augenblicken, wo man gerade Bedürfnis fühlt, seine Arme nach einem treuen Freunde auszustrecken, ist dieser Freund vielleicht Meilen weit von uns entfernt; man müßte denn reich genug sein, einen ganzen Hofstaat von Freunden um sich her zu versammeln, aber auch das hat seine üble Seite, und sehr reiche Leute fühlen ja ohnehin selten dies Bedürfnis. Um also hier glücklich und vergnügt leben zu können, ohne so sehr wohlhabend zu sein, soll man die Kunst verstehn, das Gute aus dem Umgange der Menschen, die man grade bei sich haben kann, zu schmecken und zu erkennen, der einfachen Freuden nicht müde zu werden, damit zu geizen, und ihnen auf erfindungsreiche Art Mannigfaltigkeit zu geben. Weil man auf dem Lande seine Frau, seine Kinder und seine Hausfreunde vom Morgen bis zum Abend ununterbrochen um sich zu sehn pflegt, so entsteht leicht Überdruß, Leere im Umgange. Dies kann durch einen Vorrat guter Bücher, die neuen Stoff zur Unterhaltung geben, durch interessanten Briefwechsel mit abwesenden Edeln und durch weise Einteilung der Zeit, indem man manche Tagesfristen einzeln in seinen Zimmern zubringt, gehoben werden, und nichts ist süßer auf dem Lande, als wenn, nach einem nützlich verlebten Tage, wo jeder für sich seine Geschäfte besorgt hat, des Abends sich der kleine Zirkel zum Spaziergange, muntern Scherze und zwanglosen Gespräche wieder versammelt. Es gibt selbst Prinzen, die diesen Genuß kennen, und ich habe noch vor nicht gar langer Zeit am Fuße der vogesischen Gebirge einige Wochen an dem Hofe eines guten und klugen Fürsten auf diese Art sehr glücklich hingebracht.

      Nichts aber ist erschrecklicher und doch häufiger zu finden, als wenn Menschen, die in kleinen Städten oder gar auf dem platten Lande täglich miteinander umgehn müssen, in ewigem Zwiste miteinander leben, und dabei doch nicht reich genug sind, sich jeder für sich eine besondre Existenz zu schaffen. Sie bauen sich eine Hölle auf Erden. Nirgends also ist es so wichtig als hier, schonend, nachsichtig, geschmeidig, vorsichtig, klug und mit einer Art von Koketterie im Umgange zu verfahren, um Mißverständnissen, Ekel und Überdrusse vorzubauen.

       54.

      In fremden Städten und Ländern ist Vorsichtigkeit im Umgange zu empfehlen, und das in manchem Betrachte. Wir mögen nun dort Unterricht und Belehrung, oder ökonomische und politische Vorteile oder bloß Vergnügen suchen, so ist es sehr notwendig, gewisse Rücksichten nicht zu verachten. Im ersten Falle, nämlich wenn wir reisen, um uns zu unterrichten, versteht sich's vor allen Dingen von selbst, daß wir wohl überlegen, in welchem Lande wir sind, und ob man da ohne Gefahr und Verdruß von allem reden und nach allem fragen dürfe. Es gibt leider auch in Deutschland Staaten, in welchen die Regierungen es nicht gern sehen und es scharf ahnden, wenn gewisse Werke der Finsternis an das Tageslicht gezogen werden. Da ist Behutsamkeit nötig, sowohl in Gesprächen und Nachforschungen als in der Wahl der Menschen, mit denen man sich in Verbindung einläßt. Übrigens muß ich auch hier erinnern, daß sehr wenig Reisende eigentlich Beruf haben, sich um die innere Verfassung fremder Länder zu bekümmern; allein törichte Neugier, Vorwitz, unruhiger Tätigkeitstrieb jagt jetzt haufenweise die Menschen hinaus, um in fremden Gasthöfen, Posthäusern, Klubs und in den Schatzkammern hypochondrischer Gelehrter unsichre Anekdoten zu einem Werkchen zu sammeln, indes sich daheim noch unendlich viel für sie zu wirken und zu lernen gefunden haben würde, wenn es ihnen um ihr und andrer Wohl ernstlich zu tun wäre.

      Daß diese Vorsicht verdoppelt werden müsse, sobald man an einem fremden Orte für sich etwas zu suchen oder zu fordern hat, versteht sich wohl von selber. Da alsdann manches Auge auf uns gerichtet ist, so müssen wir den Umgang mit Leuten vermeiden, die, unzufrieden mit der Regierung, sich so gern den Fremden an den Hals werfen, weil sie unter ihren Mitbürgern durch unkluge Aufführung sich einen bösen Namen gemacht und sich auf diese Art den Weg versperrt haben, bürgerliche Vorteile zu erlangen, die sie aber zu verachten scheinen, wie der Fuchs die Trauben. Diese Art Leute sucht sich dann dadurch ein bißchen zu heben, daß sie mit den Reisenden, denen sie sich in den Gasthöfen oder auf andre Art aufdrängen, durch die Gassen der Stadt laufen und dadurch Verbindungen in andern Ländern mutmaßen lassen. Ein Fremder, der nur wenig Tage sich an einem Orte aufhalten will, kann ohne Nachteil mit diesen mehrenteils sehr geschwätzigen und von lustigen und ärgerlichen Märchen aller Art vollgepfropften Ciceronis nach Gefallen herumrennen, und kein vernünftiger Mann wird ihm das verdenken; wer aber länger in einer Stadt verweilen, in den bessern Zirkeln Zutritt haben oder gar ein Geschäft zustande bringen will, dem rate ich, in der Auswahl seines Umgangs auch die Stimme des Publikums zu respektieren.

      Es gibt fast in jeder Stadt eine Partei solcher Unzufriedener; sei es nun mit der Regierung oder nur mit der Gesellschaft. Zu diesen geselle Dich also nicht. Wähle nicht unter ihnen Deinen Umgang. Diese Malcontenten glauben sich nicht geehrt genug oder sind unruhige Köpfe, Lästermäuler, Menschen voll unvernünftiger Prätensionen, ränkevolle und unsittliche Leute. Da sie nun einer dieser Ursachen wegen von ihren Mitbürgern geflohn werden, so suchen sie unter sich eine Art von Bündnis zu errichten, in welches sie, wenn sie können, verständige und wackre Männer zu ihrer Verstärkung durch Schmeichelei hineinziehen. Laß Dich weder darauf, noch überhaupt auf das ein, was Partei und Faktion genannt werden kann, wenn du mit Annehmlichkeit leben willst.

       55.

      Verflechte niemand in Deine Privatzwistigkeiten und fordre nicht von denen, mit welchen Du umgehst, daß sie teil an den Uneinigkeiten nehmen sollen, die zwischen Dir und andern herrschen.

       56.

      Wünschest Du zeitliche Vorteile, Unterstützung, Versorgung im bürgerlichen Leben; möchtest Du in einer Bedienung angestellt werden, in welcher Du Deinem Vaterlande nützlich sein könntest, so mußt Du darum bitten, ja nicht selten betteln. Rechne nicht darauf, daß die Menschen, sie müßten denn Deiner ganz notwendig bedürfen, Dir etwas anbieten oder sich ohngebeten für Dich verwenden werden, wenn auch Deine Taten noch so laut für Dich reden, und jedermann weiß, daß Du Unterstützung bedarfst und verdienst. Jeder sorgt für sich und die Seinigen, ohne sich um den bescheidenen Mann zu bekümmern, der indes nach Gemächlichkeit in seinem Winkelchen seine Talente vergraben oder gar verhungern kann. Darum bleibt so mancher Verdienstvolle bis an seinen Tod unerkannt, außerstand gesetzt, seinen Mitbürgern nützlich zu werden – weil er nicht betteln, nicht kriechen kann.

       57.

      Wenn ich gesagt habe, daß man lieber allen geben, als von irgend jemand empfangen solle, so hebt das den Satz nicht auf, daß man nicht gar zu viel für andre tun dürfe. Überhaupt sei dienstfertig, aber nicht zudringlich. Sei nicht jedermanns Freund und Vertrauter. Vor allen Dingen bessere und demoralisiere die Menschen nicht, rate ihnen nicht ohne entschiedenen Beruf dazu. Die wenigsten wissen Dir Dank dafür, und selbst wenn sie uns um Rat fragen, sind sie gewöhnlich schon entschlossen zu tun, was ihnen gefällt. Man belästige nicht seine Bekannten mit kleinen, unwichtigen Aufträgen, z. B. etwas für uns einzukaufen u. dgl., wenn man auf andre Weise Rat schaffen kann. Auch suche man sich von ähnlichen Besorgungen loszumachen. Gewöhnlich büßt man Zeit und Geld dabei ein und erntet dennoch selten Dank und Zufriedenheit. Mische Dich auch nicht in Familienhändel. Ich bin ein paarmal mit der besten Absicht sehr übel dabei gefahren. Vor allen Dingen hüte Dich, Zwistigkeiten schlichten und Versöhnungen stiften zu wollen. (Es sei denn unter geliebten, geprüften Personen.) Mehrenteils werden beide Parteien einig, um über dich herzufallen. Das Kuppeln und Heiratenschmieden überlasse man dem Himmel und einer gewissen Klasse von alten Weibern.

       58.

      Beurteile die Menschen nicht nach dem, was sie reden, sondern nach dem, was sie tun. Aber wähle zu Deinen Beobachtungen solche Augenblicke, in welchen sie von Dir unbemerkt zu sein glauben. Richte Deine Achtsamkeit auf die kleinen Züge, nicht auf die Haupthandlungen, zu denen jeder sich in seinen Staatsrock steckt. Gib acht auf die Laune, die ein gesunder Mann beim Erwachen vom Schlafe, auf die Stimmung, die er hat, wenn er des Morgens, wo Leib und Seele im Nachtkleide erscheinen, aus dem Schlafe geweckt wird, auf das, was er vorzüglich


Скачать книгу