Ãœber den Umgang mit Menschen. Adolph Knigge

Ãœber den Umgang mit Menschen - Adolph Knigge


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soll man nie in Gesellschaften spotten. Man respektiere das, was andern ehrwürdig ist. Man lasse jedem die Freiheit in Meinungen, die wir selbst verlangen. Man vergesse nicht, daß das, was wir Aufklärung nennen, andern vielleicht Verfinsterung scheint. Man schone die Vorurteile, die andern Ruhe gewähren. Man beraube niemand, ohne ihm etwas Besseres an die Stelle dessen zu geben, was man ihm nimmt. Man vergesse nicht, daß Spott nicht bessert; daß unsre hier auf Erden noch nicht entwickelte Vernunft über so wichtige Gegenstände leicht irren kann; daß ein mangelhaftes System, auf welchem aber der Grund einer guten Moral liegt, nicht so leicht umzureißen ist, ohne zugleich das Gebäude selbst über den Haufen zu werfen, und endlich, daß solche Gegenstände überhaupt gar nicht von der Art sind, daß man sie in Gesellschaften abhandeln könne.

      Doch dünkt mich, man vermeidet heutzutage oft zu vorsätzlich alle Gelegenheiten, über Religion zu reden. Einige Leute schämen sich, Wärme für Gottesverehrung zu zeigen, aus Furcht, für nicht aufgeklärt genug gehalten zu werden, und andre affektieren religiöse Empfindungen, scheuen sich, auch nur im mindesten gegen Schwärmerei zu reden, um sich bei den Andächtlern in Gunst zu setzen. Ersteres ist Menschenfurcht und letzteres Heuchelei, beides aber eines redlichen Mannes gleich unwert.

       32.

      Wenn Du von körperlichen, geistigen, moralischen oder andern Gebrechen redest oder Anekdoten erzählst, die gewisse Grundsätze oder Vorurteile lächerlich machen oder gewisse Stände in ein nachteiliges Licht setzen sollen, so siehe Dich vorher wohl um, ob niemand gegenwärtig sei, der das Übel aufnehmen, diesen Tadel oder Spott auf sich oder seine Verwandten ziehn könnte.

      Halte Dich über niemandes Gestalt, Wuchs und Bildung auf! Es steht in keines Menschen Gewalt, diese zu ändern. Nichts ist kränkender, niederschlagender und empörender für den Mann, der unglücklicherweise eine etwas auffallende Gesichtsbildung oder Figur hat, als wenn er bemerkt, daß diese der Gegenstand der Verspottung oder Befremdung wird. Leuten, die ein wenig mit der großen Welt bekannt sind und unter Menschen von allerlei Formen und Ansehn gelebt haben, sollte man darüber billig gar nicht mehr erinnern dürfen; aber leider trifft man hie und da, selbst unter fürstlichen Personen, besonders unter Damen, solche an, die so wenig Gewalt über sich oder so wenig Begriffe von Wohlanständigkeit und Billigkeit haben, daß sie die Eindrücke, welche ein ungewöhnlicher Anblick von der Art auf sie macht, nicht verbergen können. – Das ist schwach, und wenn man noch dabei überlegt, wie relativ und dem verschiedenen Geschmacke unterworfen die Begriffe von Schönheit und Häßlichkeit sind, wie so wenig auf sichre Grundsätze beruhend unsre physiognomische Wissenschaft ist und wie oft unter einer anscheinend häßlichen Larve ein schönes, edles, warmes, großes Herz mit einem feinen, tiefdenkenden Kopf steckt, so sieht man leicht, daß man sehr selten Recht, auf das äußere Ansehn eines Menschen nachteilige Folgerungen zu bauen, und nie Befugnis haben kann, die Eindrücke, welche ein solcher Anblick etwa auf uns macht, zu jemandes Kränkung durch Lachen oder auf andre Art kundwerden zu lassen.

      Außer einer sonderbaren Figur können uns aber noch andre Dinge an einem Menschen auffallend sein, zum Beispiel: lächerliche, phantastische, abgeschmackte Gebärden, Manieren, Verzerrungen des Körpers, Unbekanntschaft mit gewissen Sitten, Unvorsichtigkeiten im Betragen, ungewöhnlicher, altmodischer Anzug, u. dgl. Es gehört nicht weniger zu einer guten Lebensart, hierüber nicht durch Lachen oder durch Zeichen, die man einem der Anwesenden gibt, sein Befremden zu erkennen zu geben und dadurch den armen Mann, der sich dergleichen zuschulden kommen läßt, noch mehr in Verlegenheit zu setzen.

       33.

      Briefwechsel ist schriftlicher Umgang; fast alles, was ich vom persönlichen Umgange mit Menschen sage, leidet Anwendung auf den Briefwechsel. Dehne also Deinen Briefwechsel, so wie Deinen Umgang, nicht über Gebühr aus. Das hat keinen Zweck, kostet Geld und ist Zeitverderb. Sei ebenso vorsichtig in der Wahl derer, mit denen Du einen vertrauten Briefwechsel anfängst, als in der Wahl Deines täglichen Umgangs und Deiner Lektüre. Nimm Dir auch vor, nie irgendeinen ganz leeren Brief zu schreiben, in welchem nicht wenigstens etwas stünde, das dem, an welchen er gerichtet ist, Nutzen oder reine Freude gewähren könnte. Vorsichtigkeit ist im Schreiben noch weit dringender als im Reden zu empfehlen, und ebenso wichtig ist es, mit den Briefen, welche man erhält, behutsam umzugehn. Man sollte es kaum glauben, was für Verdruß, Zwist und Mißverständnis durch Versäumung dieser Klugheitsregel entstehn können. Ein einziges hingeschriebenes unauslöschliches Wort, ein einziges aus Unachtsamkeit liegengebliebenes Papier hat manches Menschen Ruhe und oft auf immer den Frieden einer Familie zerstört.

      Ich kann daher nicht genug Vorsichtigkeit in Briefen und überhaupt im Schreiben empfehlen. Noch einmal! Ein übereiltes mündliches Wort wird wieder vergessen, aber ein geschriebenes kann noch nach fünfzig Jahren, in Erben Händen, Unheil stiften. Briefe, an deren richtiger und schneller Besorgung irgend etwas gelegen ist, muß man immer auf die gewöhnliche Weise mit der Post oder durch eigene Boten abgehn lassen, nie aber, etwa zur Ersparung des Portos, sie Reisenden mitgeben oder sonst durch Gelegenheit und in fremden Kuverts fortschicken; man kann sich gar zu wenig auf die Pünktlichkeit der Menschen verlassen.

      Lies Deine Briefe, wenn Du es ändern kannst, nicht in andrer Gegenwart, sondern wenn Du allein bist, sowohl weil es die Höflichkeit also befiehlt, als aus Vorsicht, um durch Deine Mienen den Inhalt nicht zu verraten.

       34.

      Suche keinen Menschen, auch den Schwächsten nicht, in Gesellschaften lächerlich zu machen. Ist er dumm, so hast Du wenig Ehre von dem Witze, den Du an ihn verschwendest; ist er es weniger, als Du glaubst, so kannst Du vielleicht der Gegenstand seines Spottes werden; ist er gutmütig und gefühlvoll, so kränkest Du ihn, und ist er tückisch und rachsüchtig, so kann er Dir's vielleicht auf eine Rechnung setzen, die Du früh oder spät auf irgendeine Art bezahlen mußt. – Und wie oft kann man nicht, wenn das Publikum auf unsre Urteile über Menschen achtet, einem guten Manne im bürgerlichen Leben wahrhaften Schaden zufügen oder einen Schwachen so niederdrücken, daß aller Ehrgeiz in ihm erlöscht und alle Keime zu bessern Anlagen erstickt werden, indem man ihn, durch Hervorziehn seiner uns lächerlich scheinenden Seiten, der Verachtung preisgibt.

       35.

      Schrecke, zerre und necke auch niemand, selbst Deine Freunde nicht, mit falschen Nachrichten, mit Witzeleien oder was sonst auf einen Augenblick beunruhiget, in Verlegenheit setzt! Es gibt der wahrhaftig, mißvergnügten, unangenehmen, ängstlichen Augenblicke so viele in der Welt, daß es wohl brüderliche Pflicht ist, alles hinwegzuräumen, was die Last der wirklichen und eingebildeten Plagen auch nur um ein Sandkorn erschweren kann. Für ebenso unschicklich halte ich es, einem Freunde aus Scherz, wie es die Gewohnheit mancher Leute ist, mit selbst erfundenen erfreulichen Neuigkeiten ein kurzes Vergnügen zu machen, das nachher vereitelt wird. Das alles ist Neckerei, durch welche die Freuden des Umgangs nicht gewürzt, sondern versalzen werden. Auch soll man nicht die Neugier reizen oder die Leute durch halb abgebrochene Worte ängstigen, sondern lieber gänzlich schweigen, wenn man nicht ausreden will. Es gibt Menschen, welche die Gewohnheit haben, ihren Freunden solche mystischen Warnungen hinzuwerfen als z. B.: »Es läuft ein böses Gerücht von Ihnen herum, aber ich kann, ich darf Ihnen noch nichts darüber sagen.« Dergleichen hat gar keinen Nutzen und beunruhigt.

      Überhaupt muß man so wenig als möglich die Leute in Verlegenheit setzen, vielmehr sich bemühn, wenn auch jemand im Begriff ist, eine Unvorsichtigkeit zu begehn (z. B. schlecht von einem Buche zu reden, dessen Verfasser gegenwärtig ist) oder sonst beschämt zu werden, ihm diese Verlegenheit zu ersparen oder die Sache auf irgendeine Weise wieder ins Feine zu bringen.

       36.

      Man hüte sich, bei Personen, mit denen man umgeht, unberufen unangenehme Dinge in Erinnerung zu bringen. Oft bewegt eine Art von unkluger Teilnehmung die Leute, uns um die Beschaffenheit unsrer ökonomischen und andrer verdrießlicher Sachen zu befragen, obgleich sie uns nicht helfen können, und zwingen sie uns dadurch, Gegenstände, die wir in Gesellschaften, wo wir uns aufzuheitern dachten, so gern vergessen möchten, ohne Unterlaß vor Augen zu behalten. Man muß so viel Menschenkenntnis haben zu unterscheiden, ob der Mann, den wir vor uns sehen, seinem Temperamente, seiner Lage und der Art seines Kummers nach, durch solche Gespräche erleichtert werden kann, oder ob nicht vielmehr sein Leiden


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