Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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tat mir wohl, das wilde äußere Leben band mich fester in mich selbst. Als ich nach geschlossenem Frieden in die Heimat zurückkehrte, war ich ein anderer Mensch, und wenn ich noch einen Rest von unreifer Romantik in mir gehabt, so hätte ihn die ernsthafte Zeit, die ich verlebt, mit Stumpf und Stiel ausgetrieben. Ich erfuhr die Genugtuung, sogleich wieder als Offizier in die Armee eingereiht zu werden, und es war der froheste Tag meines Lebens, als ich wieder den dunklen Rock der Artilleristen anziehen durfte. Ich hatte nebenbei die Gewißheit, zum Generalstab berufen zu werden; dies geschah auch, und um meine kühnsten Erwartungen zu übertreffen, wurde ich mit einer Aufgabe betraut, die sonst nur selten einem Offizier meines Dienstalters gestellt wurde; man entsandte mich als Berichterstatter der mazedonischen Vorgänge nach Saloniki.

      Ich war noch nicht zwei Monate auf meinem Posten, da brach in unsern afrikanischen Kolonien der Aufstand der Schwarzen aus. Jetzt lag der Fall anders denn damals, wo ich das Heer hatte verlassen müssen, um ins Feld zu kommen; jetzt konnte ich mich meinem kaiserlichen Herrn und Kriegsherrn selber zur Verfügung stellen. Da man tüchtige Offiziere suchte, wurde mein Anerbieten ohne Verzug berücksichtigt, ich wurde zum Hauptmann bei der Schutztruppe ernannt, und vier Wochen später war ich schon auf See.

      Ist ja richtig; es war eine elende Katzbalgerei mit den schwarzen Rackern, und viel gutes deutsches Blut ist geflossen, aber wars gleich sauer, so wars doch nahrhaft, wie unsere Exzellenz zu sagen liebte. Es war ein schönes freies Leben, wie ich alles noch sehe und spüre! Die sengende Mittagshitze und die Morgenkühle, die zerstörten Pontonks und die infamen Wege, der Feind in Busch und Dickicht und die unaufhörlichen Schüsse aus den Baumkronen! Wie das surrte und schwirrte und sang und heulte, so dicht, daß es einen erstaunte, wenn man seine Gelenke noch zusammenhängen fühlte. Hungrig legte man sich schlafen, den Revolver im Arm, an Feueranzünden nicht zu denken, und weh dem, der vom Durst getrieben zu den Wasserlöchern schlich, er ward in der Frühe mit Kirris erschlagen gefunden. Da war man doch ein Kerl, da konnte man sich bewähren, da spürte man seine Pulse.

      Leider bin ich bei den Gefechten am Waterberg verwundet worden. Ich konnte nicht mehr Dienst tun und mußte alsbald die Heimreise antreten. Dritthalb Monate blieb ich in Berlin; man machte viel Aufhebens mit mir, und viele Leute feierten mich wie einen Blücher, was mir oft die Schamröte ins Gesicht trieb, denn ich war mir nicht bewußt, etwas Sonderliches verrichtet zu haben. Aber dergleichen gibt sich, und wenn man Verdienste hat, empfiehlt es sich, sie den Leuten nicht durch die eigene Gegenwart lästig zu machen. Eine Zeitlang war von meiner Aufnahme als Lehrer in die Kriegsakademie die Rede, doch, vor die Wahl gestellt, zog ich schließlich den subordinierten Posten eines Batteriechefs in der Provinz vor, allerdings mit der baldigen Anwartschaft auf den Majorsrang. Meine Mutter kränkelte, ich wünschte in ihrer Nähe zu leben, und des unruhvollen, weltstädtischen Treibens, an dem ich nie Freude gehabt, war ich ohnedies müde.

      Dazu kam noch, daß mir die Fremde ganz wie mit einem Male den Blick verwandelt hatte. Entweder war ich nicht mehr derselbe, oder die Heimat war nicht mehr dieselbe. Aufrichtig gesagt: die Luft im Reich gefiel mir nicht. Sie war mir zu wetterwendisch; winterlich scharf von oben und giftig süß von unten, fast wie eine afrikanische Nacht. Nichts wurde mit Wohlwollen reguliert, alles mit Manometer, und wer hinten nicht gestoßen wurde, der ging nach vorne nicht weiter. Unsre jungen Herren fand ich so ohne jede Herzlichkeit, daß sich einem der Gaumen zusammenzog, wenn man mit ihnen redete. Immer bloß aufs Elegante versessen, geschniegelt wie die Reitpferde und trocken wie Stiefelsohlen. Die Aristokraten hochnäsig und zimperlich, die Bürgerlichen streberhaft und vom frischen Reichtum verdorben und verweichlicht, das Volk rebellisch und respektlos. Keiner, der aus Eigenem was vorstellte, erst durch sein Geld oder sein Amt oder seine Orden oder seine Hemdbrust. Großes Maul, ja, aber kein freies Wort, keine offene Meinung. Hölzernes Getue galt für Form, kaltschnäuziges Nörgeln für Geist und öde Prahlhanserei für Selbstbewußtsein.

      Wenn man mir die Berechtigung abstreitet, eine solche Sprache zu führen, so habe ich allerdings keine andere Antwort, als den Hinweis auf eine bis dahin ehrenhafte Existenz. Es war mir eben die Laune verdorben, und eher trübgestimmt als hoffnungsvoll kam ich nach der kleinen Garnison. Auch hier fühlte ich mich nicht wohl; ich begann mich zu langweilen; ich merkte alsbald, was das heißt, in einer Provinzstadt zu leben, die trotz ihrer vierzigtausend Einwohner etwas ist wie ein Sparta des Altertums, mit ebenso streng geschiedenen Kasten, nur daß die kriegerische Härte der Vorschriften durch minder folgenschwere, aber keineswegs leicht zu übertretende Bestimmungen gesellschaftlichen Charakters ersetzt werden. Da sind die Spitzen der Behörden, die militärischen Würdenträger, die Industriellen, die Gutsbesitzer, die jungen Leute, die eine Rolle spielen, die andern, die bloß eine spielen möchten; da ist die Generalin oder Oberstin, die das Wetter macht, und die kleine Apothekersgattin, die gerade noch geduldet ist; da ist die reiche Fabrikantenfrau, die ihre Toiletten aus Berlin bezieht, und die Frau Amtsrichter, die aus ihrem Wirtschaftsgeld mittelst rührender Entbehrungen den Preis für ein einziges schwarzes Seidenkleid erübrigt, das sie unter Beihilfe der Köchin und eines Mädchens vom Lande selber näht und das ihr die abendlichen Feste verbietet, wenn der Stoff an den Ärmeln den fatalen Mattglanz zu zeigen beginnt. Zu Kaisers Geburtstag gibt der Regierungspräsident einen Ball; zur Errichtung eines Kriegerdenkmals wird eine künstlerische Soiree veranstaltet, bei welcher allerlei junge Mädchen wegen ihrer Fortschritte in Gesang und Klavierspiel beklatscht werden; man geht ins Theater, man wird zur Enten-und Hasenjagd geladen, und die verheirateten Frauen holen sich aufregende Romane aus der Leihbibliothek. Einmal im Monat ist Parademarsch, am Sonntag nach der Kirche spielt die Regimentskapelle auf dem Residenzplatz, abends sitzt man dann im Kasino oder im Speisesaal des Hotels de l’Europe, und nach elf Uhr nachts lungern nur noch irgendwo hinter abgesperrten Türen ein paar ausgestoßene Existenzen an einem Kartentisch, und zwei Studenten brüllen vor dem Fenster einer begehrten Kellnerin das Krambambuli.

      Alle diese kennen einander und wissen vieles von einander und verbergen sich voreinander und schätzen einander und sind einander im Wege und passen einander auf. Das enge Zusammenleben begünstigt Klatsch und Übelrednerei; jeder kehrt den Schmutz vor des Andern Tür; Dummheit, Bosheit, Neid und Mißgunst lassen selbst den Redlichen nicht ungeschoren, alles, was Aufsehen macht, findet Teilnahme, alles, was in der Mode ist, Nachahmung; für ernsthafte Interessen ist wenig Sinn. Dies erfuhr ich bald. So sehr es anfangs meinem Selbstgefühl schmeichelte, daß ich nun auch zu Hause ein jemand war, der Beachtung verdiente und Ansehen genoß, denn es war ja meine engste Heimat dahier, so wenig wurde ich meines Wirkens froh. Ich kam mir vor wie ein verfaulender Baum.

      Ich erinnere mich nicht mehr genau, an welchem Tag es war, als ich die Majorin Westermark kennen lernte. Ich schließe daraus, daß sie mir damals wenig Eindruck gemacht hat. Ich sah sie zum erstenmal bei der Frau von Rütten, die eine Freundin meiner Mutter ist, und die, wie mir meine Mutter vorsichtig verriet, die löbliche Absicht hatte, mich mit ihrer siebzehnjährigen Tochter zu verheiraten. Ich machte mir aber nichts aus dem Mädchen, und das ist lediglich mein Fehler, da sie ein hübsches und vernünftiges, obschon etwas nüchternes Geschöpf ist. Nach allem, was ich bereits über die Majorin gehört, hatte ich mir eine junonische Gestalt gedacht und war deshalb überrascht, sie so klein, zart und kindhaft zu finden. Ihr Wesen gab in Gesellschaft nichts her, nichts von Welt und nichts von Innerem, ihr Lächeln war kühl, in der Bewegung der Lippen zeigte sich eine gewisse Naschhaftigkeit; am meisten gefielen mir die Augen, die blau, durchsichtig, ausgedehnt und voll Perlmutter waren, mit Brauen, schwarz und fein wie zwei Sepiastriche.

      Eine solche Stadt wie die, in der ich mich befand, hat alle Späherblicke immer auf den Punkt geheftet, wo eine ungewöhnliche Erscheinung hervortritt und sich auf ihre besondere Art gebärdet. Ich habe schon angedeutet, daß das vielfache Gerede über die Majorin auch zu mir geflossen war. »Was sagen Sie zu der Frau? Ach, Sie wissen nicht? Sie wissen nicht, was die Spatzen von den Dächern pfeifen?« Nein, ich wußte es nicht, ich bezeigte auch kein Interesse dafür. »Sie verstellen sich doch wohl. Oder glauben Sie, daß das eine glückliche Ehe ist? Der Mann ist zwanzig Jahre älter. Sie begreifen. Die Frau hatte früher einen reichen, schlesischen Branntweinbrenner, von dem sie geschieden ist. Sie ist schön wie das Laster, und so elegant, daß unsre Damen vor Neid nicht schlafen können; echte Pariser Hüte, echte Brüsseler Spitzen, echte Pelze, Diamanten wie ein persischer Prinz, und Parfüms, Parfüms sage ich Ihnen, überwältigend wie eine Ananasbowle nach einem Jagdritt.« – »Nun ja, der Major ist sicherlich


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